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FEST DER FARBEN UND GESTALTEN

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Mit seinen großen Kunstausstellungen im Stift Altenburg öffnet IVA das Lani Niederösterreich, das sonst gern in Bescheidenheit geneigt ist, sich das „schlichte“ zu nennen (wobei als Kriterium vielleicht die fremdenverkehrswirtschaftliche Relation zu den westlichen Bundesländern gilt), seine Schatzhäuser und offenbart überzeugend seinen großen Reichtum. Jede dieser Ausstellungen aktiviert einen langen Sommer hindurch größere oder kleinere alte Kulturzentren und Landschaften und setzt Brennpunkte außerhalb der Hauptstadt mit ihrem Großangebot an Museen und Veranstaltungen. Es gibt kein „bewährtes Muster“ für die Planung und Durchführung einer solchen Schau, jedes Thema stellt räumlich und geistig vor neue Situationen.

Was diese Ausstellungen über ein wenn auch anspruchsvoll bestimmtes Normalmaß erhebt, ist ihre innere Dimension. Ob nun Gotik in Krems, Prandtauer in Melk, Gauermann in der Gutensteiner Gegend oder nun Troger in Altenburg: immer eignet ihnen der Charakter eines Festspiels der bildenden Künste, das in seine Gesamtheit die Manifestationen des Geistes und Lebensgefühles einer ganzen Epoche einbezieht.

In diesem Zusammenhang seien einige Bedenken nicht verschwiegen, welche die vorauszusehende mögliche Entwicklung nahelegt. Man dürfte in Niederösterreich nicht der Verlockung nachgeben, die Einmaligkeit jeder dieser großen Ausstellungen durch Wiederholungen und Variationen abzuwerten und abzuschwächen. Die Frage: „Und was machen wir als nächstes?“ riefe allzu leicht mehr oder weniger lokalen Ehrgeiz auf den Plan. (Aus Erfahrung weiß man, daß beispielsweise gerade in einem Mozart-Jahr mit seiner Überfülle an Aufführungen und Konzerten das Interesse an Mozart erlahmt.) Lassen wir jede Schau bedeutender Kunst in Niederösterreich wie ein wirkliches Fest auf uns wirken. Man vermag sich ein ungefähres Bild der weiteren Entwicklung auf ,.Festspiel“-Ebene zu machen: die Romanik-Ausstellung ist bereits angekündigt, wahrscheinlich wird eine Maulpertsch-Ausstellung den Barock-Zyklus abrunden, es wäre erfreulich, wenn auch die Landschaftsmaler des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu Ehren kämen, mit Emil Jakob Schindler als Zentralgestalt, dessen einstiger Landsitz Plankenberg, leicht erreichbar in der Nähe des Tullnerfeldes gelegen, allerdings Privatbesitz ist und als Ausstellungsort kaum in Betracht käsae. Mittlerweile wird übrigens eine Schwerpunktverlagerung nach Oberösterreich eintreten, wo bereits die Vorbereitungen für die Donauschule-Ausstellung in St. Florian im Gang sind, und es ist wohl abzusehen, wann das Land ob der Enns seine Schätze an Barockplastik von Zürn bis Guggenbich-ler in einer großen Schau vereinigt.

Soweit die Erwägungen „aus gegebenem Anlaß“. Sie sollen und dürfen die Freude an dem Fest, das Stift Altenburg bietet, nicht mindern, einem Festspiel der Farben und Gestalten in den Prunkräumen des Stiftes, die Josef Munggenast, der Neffe und Schüler Prandtauers, schuf. In der Helligkeit und Gelöstheit eines phantasievoll blühenden Formenreichtums klingt das späte Barock aus. Diese Gemächer und Stiegenaufgänge und vor allem der Bibliothekssaal sind — ähnlich wie der Innenraum der Stiftskirche von Wilhering bei Linz — Denkmäler der grandiosen

architektonisch-malerischen Endphase der Epoche, gestaltet aus einer unerschöpften inneren Fülle, die dem Zusammenklang aus Stuck, Vergoldung, Marmor und Farben den Zauber einer aus Heiterkeit und Tiefsinn, Gläubigkeit und Daseinsfreude gefügten Welt verleiht.

*

Tiroler, aus dem Pustertal gebürtig, einfacher Leute Kind, war der Maler Paul Troger. Wie so viele andere schöpferische Menschen aus dem Gebirgsland — fast alle bedeutenden österreichischen Bildhauer des 18. Jahrhunderts kamen aus Tirol, auch Baumeister wie Prandtauer und Munggenast — verließ er bald die Heimat. Iatlien gab ihm die entscheidenden Anregungen, wirkte mit seinen vielfältigen Einflüssen bildend und bestimmend auf sein Künstlertum ein, machte seine ureigensten Wesensanlagen frei und wies ihm die Wege zur Entfaltung seiner Gestaltungskräfte. Entscheidend für sein späteres Wirken wurde die Begegnung mit Francesco Solimena in Neapel, der dem jungen Tiroler die Augen für die Freskomalerei öffnete.

Die Tätigkeit als Hofmaler des Bischofs von Gurk war die Vorstufe für Wien, wo Troger 1728 wohl so in Erscheinung trat,

wie er sich auf seinem Selbstbildnis darstellte: ein junger Meister, gefestigt, männlich, selbstbewußt und, wie die Überlieferungen berichten, bei aller tiefen Religiosität den Freuden der Welt zugetan.

Josef Munggenast wurde auf den Landsmann aufmerksam und verhalf ihm zu Aufträgen. Man darf nicht vergessen, daß die Künstler, die unter ihren geistlichen Bauherrn die barocken Stifte Niederösterreichs schufen, Arbeits- und Interessengemeinschaften bildeten, wobei sich die Tiroler besonders eng zusammenschlössen. Die Architekten empfahlen die Maler, und die Maler brachten Kunsthandwerker, Stukkateure und „Quadraturisten“ mit, die bei Fresken die Scheinarchitekturen malten. Auf die Zeit der Prandtauer und Rottmayr folgte die Ära Munggenast-Troger.

Die Ausstellung gibt einen eindrucksvollen Überblick über die drei Schaffensgebiete Trogers: die Ölmalerei, das Fresko und die Graphik. Bei den Gemälden wurde das Hauptgewicht auf die reifen Spätwerke gelegt, die zwischen 1745 und 1750 entstanden. Sie zeigen Troger als einen Maler von ausgeprägter dramatischer Erfindungsgabe und meisterlicher Beherrschung der temperamentgeladenen Farbgebung und der Lichtkontraste. Er faßt das Geschehen rein expressiv auf, übersteigert die Erscheinungsform des Körperlichen oft bis ins Kraftgenialische wilderregten Muskelspiels, stellt seine Gestalten in kühnen Verkürzungen und jäh ausbrechenden Bewegungsrhythmen ins Bild. Man weiß, daß er bei Studien von seinen Modellen nicht selten krasse Verrenkungen und ungewöhnliche Körperhaltungen forderte, um seine Vorstellungen vom kompositorischen Aufbau veranschaulicht zu finden. Dem barocken Expressionisten Troger galten das Individuelle der Physiognomie, das Kostüum und alles Beiwerk gering, und mit Recht verweisen die Kunsthistoriker darauf, daß der Meister zeit seines Schaffens mit etwa zehn Gesichtstypen arbeitete. Alles ist der monumentalen Gesamtwirkung seines Stils untergeordnet.

Trogers Gläubigkeit, der Nährboden seiner Kunst, war die unmittelbare Gottesbeziehung des bäuerlichen Menschen eruptiv und im ekstatischen Ausbruch der inneren Gesichte umfaßte sie das Himmlische und das Irdische, wie die religiöse Hingabe der verzückten Heiligen und Märtyrer auf seinen Bildern. Im Festsaal des Stiftes fand eines der Hauptwerke des Künstlers seinen beherrschenden Platz: das Altarbild „Die Steinigung des heiligen Stephanus“ aus der Pfarrkirche Baden bei Wien, gewaltig in den äußeren Maßen, erfüllt von ungeheurer innerer Spannung. Unentrinnbar umschließt der Ring gemeiner nackter Gewalt rotbrauner Schergenleiber und zum Wurf erhobener Steine die helle Gestalt des Heiligen, der einzige Ausweg führt nach oben, zu Gott, dessen Engel dem Niederbrechenden über rauchigem Gewölk erscheinen. Wie Troger hier die vielfältige erregte Bewegung der Figuren unter dem gewitternden Lichtschein aus der Höhe zu einer Gruppe zusammenschließt, dies gehört wohl zu den bedeutendsten Leistungen der österreichischeen Barockmalerei.

Aus der gleichen Schaffensepoche stammt „Das letzte Abendmahl“, das aus dem Refektorium des Stiftes Zwettl nach Altenburg gebracht wurde. Christus ist darauf nicht der Segnende, der

in erhabener Ruhe das Brot bricht, sondern die dramatische Hauptgestalt, in zutiefst menschlicher, ja kreatürlicher Haltung, die schon die Not der Ölbergstunden vorausahnen läßt, über den Tisch zu Petrus gebeugt, geistiges Zentrum, von dem das Licht und die seelischen Impulse ausgehen, die in den Dämmer des Raumes strahlen und die Apostel im Innersten aufrühren, indes Judas unsicheren Schrittes den Tisch verläßt, das angstvolle Gesicht zwischen den hochgezogenen Schultern direkt dem Beschauer zugewandt.

Um den Schaffensprozeß an Hand von Vergleichen deutlich zu machen, wurden, soweit vorhanden, den Gemälden die Entwurfzeichnungen und Ölskizzen zugeordnet, welche die Entwicklung und Wandlung der Bildidee bis zur endgültigen Gestaltung zeigen.

Für die Kunst des Freskenmalers Troger bieten die Stiftskirche und die Prunkräume selbst die schönsten Beispiele. Nicht zu unrecht setzte der Meister zu seiner Signatur die Worte „invenit et pinxit“, er malte die Fresken nicht nur, er „erfand“ auch den kompositorischen Aufbau mit allen Einzelheiten und konnte sei-

ner bildnerischen Phantasie freien Lauf lassen, zum Unterschied von anderen barocken Freskanten, denen die Aufgabe zufiel, ein bereits ziemlich genau festgelegtes ikonologisches Programm durchzuführen.

Mit allem Aufwand barocker Theatralik und dem reichen Personarium der Allegorie inszenierte Troger seine Deckengemälde. Wie bei vielen barocken Stiften, galt es auch in Altenburg, in der Gesamtanlage und im Gesamtkunstwerk der Raumschöpfungen einen geistig-religiösen Grundgedanken darzustellen, zu des Menschen Erhebung über die Niederungen des eigenen Ich hinaus. In diesem Fall bestimmte der Gedanke des Weges zum wahren, göttlichen Licht die Gestaltung. Doch welcher Fülle gibt diese Idee Raum! Vom triumphalen Gloria der Hauptkuppel in der Stiftskirche, in der Gott im Strahlenkranz mit ' seinen Heerscharen durchs Gewölk niederstürzender Engel erscheint, bis zum sieghaft den hellen strahlendblauen Morgen heraufführenden heidnischen Helios reicht die himmlisch-irdische Symbolwelt dieser Fresken. Mit liebevoller Natürlichkeit stellt Troger rosige, dralle, nackte „Kindein“ in den Reigen der Sinnbilder der Jahreszeiten, und erdig braun heben sich am Jüngsten Tag aus dem Grund, ziehen die modernden Leichentücher von den fahlen Schädeln. Mit bäuerlicher Freude an der Drastik setzt der Künstler der Erhabenheit die Mißgestalt höllischer Untiere entgegen, wie jenen dickbäuchigen, glotzäugigen Drachen, der einen dampfenden Wasserschwall ausspeit und dem man anmerkt, daß sich der große Troger auch ein wenig von den Vorbildern seiner heimatlichen naiven „Tuifelemaler“ anregen ließ.

Von besonderem Wert als Dokumentation sind die großformatigen Farbdias, die einen Überblick über Trogers Gesamtschaffen als Freskant geben. Bei der „Apotheose Kaiser Karls VI.“ in Stift Göttweig sprengen zwei kräftige Lipizzaner mit dem Apollinischen Wagen durch den Himmel des habsburgischen Heldenzeitalters. In diesem Bild ist Österreich.

Kraftvoll und männlich wie sein Wesen ist der Strich von Trogers Zeichnungen. Auch hier stellt der Künstler im Kreis der österreichischen Barockmaler einen Sonderfall dar, denn die Zeichnung hatte für ihn nicht nur die Funktion einer Vorstudie für größere Arbeiten, er pflegte das graphische Schaffen um 9einer selbst willen und machte sich auch mit der strengen Technik der Radierung und des Kupferstichs vertraut. Manche der Blätter verraten, daß sich der Meister bewußt malerischer Mittel bedient, doch neben Landschaften, deren Strichführung an die Niederländer der Rembrandt-Zeit erinnert, finden sich Allegorien in kühler, klarer, vielleicht sogar ein wenig akademischer Konturierung, die den Klassizimus vorausahnen lassen. Auch mit Zeichenfeder und Grabstichel stand Troger mitten im Spannungsfeld seiner Zeit.

Der Tod ist ein Teil des Seins und wird vom Barockmenschen auf die Bühne dieses Lebens gerufen. Deshalb bezog man auch die Krypta des Stiftes in die Schau ein. Sie ist ein stilistisches Kuriosum, eine sonderbare Spätblüte des Manierismus. Hier konnten sich Trogers Schüler als Freskanten versuchen, und sie schufen eine bunte farbige Unterwelt, halb Hades, halb Wundergarten eines Traummeeres — Vorläufer der Surrealisten. Die mit grotesken Zieraten und Gestalten bedeckten Wände ließen eher an einen Parkpavillon denken, wenn nicht immer wieder zwischen Rankenwerk und Wasserkünsten Totenschädel und Gerippe daran erinnerten, daß der Tod die letzte Majestät ist und die knöcherne Hand oft nach kaum geöffneten Blüten ausstreckt.

So gleicht, im tieferen Sinn, der Gang durch die Ausstellung einer Wanderung durch die drei Welten im Geist des Barock: die Erhebung zu den himmlischen Höhen, die sich in blauen Weiten, von goldig angestrahlen Wolken umrahmt, in den Fresken öffnen, die irdische Welt mit ihrer Pracht und Fülle, und als Memento das Reich der Schatten, aus dem der Weg wieder ins Leben zurückführt, auf den Altan, von dem der Blick über die grünen Wälder und Wipfel im sommerlichen Licht seht...

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