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Festesglanz der „Musica antiqua”

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Barcelona ist seit Jahren eine Stadt der internationalen Kongresse, und das alljährlich stattfindende Internationale Musikfest — von Ende September an wurde heuer über einen Monat lang das sechste Festival gefeiert — ist stets der Höhepunkt des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens. Die prachtvoll-großzügig gestaltete Stadt am Meer, durch mildes Klima und imponierende Lage begünstigt, ist mehr als nur eine Touristenattraktion. Ein gutes Dutzend eleganter Boulevards von ungewöhnlichen Ausmaßen und pariserischer Atmosphäre mit einem stark südlichen Akzent, die einander überlagernden Kulturschichten von der Römerzeit bis zur Gotik, als der Tinell, die Königsburg Barcelonas, Residenz der Herrscher von Aragon war, dann eine gigantische Erweiterung der Stadt im späten neunzehnten Jahrhundert und schließlich die starke Weiterentwicklung nach dem Bürgerkrieg haben die Stadt zu einem Zentrum des Handels, der Industrie, des Kunstgewerbes, der Künste gemacht;. Erst jüngst wurde hier ein beachtliches Picasso-Museum eröffnet’ Joan,Miro wird eben hier gefeiert. Und musikalische Prominenz steht neben ungewöhnlichen Programmen und vielen selten auf geführten Werken im Vordergrund.

So werden im kommenden Jahr laut Generalsekretär Manuel Cap- devila Font, Chef der Musikalischen Jugend Spaniens, die Wiener Philharmoniker unter Karl Böhm in einem Zyklus alle größeren Mozart- Symphonien spielen, die Solisti Veneti und der Starflötist Jean- Pierre Rampai wunden bereits für barocke Flötenkonzerte engagiert. Ebenso wie heuer wird erneut eine Menge alter Musik zu hören sein, der man neue Meisterwerke, wie Pendereckis „Lukas-Passion”, gegenüberstellen wird.

Das heurige, vorzüglich organisierte Musikfest präsentierte sechsundzwanzig Konzerte, in deren Rahmen etliche der großen Glanzstücke alter Musik, so von Gabrieli, Gražio Vecchi, den Komponisten am Hofe Kaiser Maximilians I., deutsche Liedwerke der Renaissance und des frühen Barock, aufgeführt wurden. Sie standen neuen Kompositionen gegenüber, so eines Xavier Benguerel, Alberto Ginasteras Violinkonzert von 1963, Kompositionen von Georges Enescu, dem 1935 geborenen Holländer van Vlijmen und dem Spanier Salvador Pueyo, der „Clockwise and Anti-Clockwise” (1967) von Peter Schat, Joan Brossas und Carlos Santos’ musiktheatralischer Arbeit zu Miros 75. Geburtstag u. a. Yehudi Menuhin geigte und dirigierte an drei Abenden im Palacio de la Musica, die Tschechische Philharmonie unter Vaclav Smetacek, der Bukarester Madrigalchor, das Niederländische Bläserensemble stellten wichtige Beiträge. Victoria de los Angeles, Montserrat Alavedra, Anna Ricci, Anton Dermota sangen Lieder. Paul Badrura-Skoda spielte Schubert-Sonaten im Thronsaal des gotischen Königspalastes.

Drei von Generalsekretär Wolfgang Hartl sorgfältig organisierte Abende der Wiener „Musica antiqua”, des ständigen Kammerensembles der „Internationalen Gesellschaft für alte Musik”, beschlossen die erfolgreichen Festwochen. Gerade diese Konzerte im Tinell waren für das Publikum von größtem Interesse. Das international hochgeschätzte Vokalisten- und Mu. Eikerteam, das erst vor kurzem Triumphe in Leningrad, Moskau, Helsinki und Warschau gefeiert hat, stellte sich allerdings auch mit ungewöhnlichen Programmen vor: Orazio Vecčhis Comedia armonica „L’Amfipamasso”, 1597 in Venedig gedruckt und übrigens erst heuer wieder in Wien aufgeführt, war eine der großen Attraktionen des Festivals. Unter Bernhard Klebeis straffer, exakter Leitung wurde das amüsante, hier mit Instrumentaleinlagen kunstvoll verbrämte Opus Orazio Vecchis ungemein exakt vorgetragen. All die witzigen Formulierungen dieser Madrigalkomödie, die nach Riemann und Eitner vermutlich als Frühform der florentinischen Oper angesprochen werden kann und demnach auch für szenische Wiedergaben gedacht war, blitzten hier auf, wurden dank akkurater Artikulation der zehn Gesangssolisten in all ihren feinen Pointierungen verstanden, so daß man über die heitere Anmut der Szenen manchmal wirklich lachen konnte.

Mit imponierendem instrumentalen Aufwand exerzierte die Musica antiqua die beiden anderen Konzerte vor: Meisterwerke weltlicher und geistlicher Musik der Renaissance mit besonderer Berücksichtigung der für Kaiser Maximilian I. entstandenen Kompositionen und Deutsche Tanz-, Eß- und Trinklieder des 16. und 17. Jahrhunderts, die in Spanien fast durchweg zum erstenmal zu hören waren, faszinierten die oft von weit herbeigereisten Hörer. Glanzvoll strahlten da etwa Speers pompöse Musikstücke für Trompeten, die vom Clarinenconsort der Musica antiqua bravourös ausgeführt wurden, durchweg blitzende’’ Intraden und Ballett}. Voll Anmut und Grazie gerieten W kostbaren. Tanzsätze aus der „Terpsichore” von Michael Praetorius. Elegant und doch massiv klangen die Roßballettstücke von Schmelzer und Pezelius’ steife Tänze, hymnisch die klassischedlen Humanistenoden eines Trito- nius oder Feuert („O Musica”), die von Gundi Klebel, Hans Breitschopf, Franz Lukasovsky und Ivo Beikircher mit Stimmkultur gesungen wurden. Einen Höhepunkt der Liedwiedergaben stellten die Nummern aus dem Forsterschen Liederbuch sowie Stücke von Hammer- schmidt, Krieger und Rathgeber dar: Bernhard Michaelis pointierte diese Kabinettstücke feinen Humors mit stimmlichem Raffinement, setzte alle Nuancen seines schlanken Tenors ein und gestaltete jede dieser Miniaturpiecen zu einem wahren Triumph für sich, das Ensemble Musica antiqua und seinen neuen künstlerischen Leiter Bernhard Klebel.

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