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Festspiele überall in der Welt

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en mageren Nachkriegsjahre. Es gibt geistlosere, unerfreulichere — und gefährlichere Betätigungen, als dem Spiel, Gesang und Vortrag der Künstler zu lauschen, als Ausstellungen zu besichtigen und Dichterlesungen beizuwohnen. Und wie viele menschliche Begegnungen finden hier statt, die das Bewußtsein der Zugehörigkeit zur freien Weit, zu ihrer Kultur und Kunst stärkenl

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en mageren Nachkriegsjahre. Es gibt geistlosere, unerfreulichere — und gefährlichere Betätigungen, als dem Spiel, Gesang und Vortrag der Künstler zu lauschen, als Ausstellungen zu besichtigen und Dichterlesungen beizuwohnen. Und wie viele menschliche Begegnungen finden hier statt, die das Bewußtsein der Zugehörigkeit zur freien Weit, zu ihrer Kultur und Kunst stärkenl

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Kommt man aus Marseille, dieser riesigen, tumul-tuösen, vor Hitze, Farben und Leben explodierenden Stadt, dann wirkt das nur eine knappe Autostunde entfernte Aix aristokratisch-ruhig und kühl, nicht nur wegen seines schattigen, von zwei doppelten Baumreihen flankierten Cours Mirabeau. Die alte Bäderstadt aus römischer Zeit ist der Ort der französischen Nobel-Festspiele geworden, die heuer zum achten Male stattfinden Gespielt wird unter freiem Himmel in schönen historischen Höfen, die mit raffinierten Bühnen und kostbarem Gestühl ausgestattet sind. Die festliche Kleidung beim überwiegenden Teil des Publikums verstärkt den Eindruck, daß man sich in einem geschlossenen Raum befindet. Im Juli ist das Wetter hier so beständig, das von den insgesamt 180 Aufführungen, die bisher im Rahmen der Festspiele stattfanden, nur eine einzige ausfallen mußte, und zwar nicht wegen Regen, sondern infolge eines allzu heftig wehenden Mistrals.

Der Regent der Opernbühne, in die man für einige Wochen den Hof der Archeveche umgewandelt hat, heißt — Mozart. „Die Hochzeit des Figaro“ und „C o s i f a n t u 11 e“ werden unter der Leitung von Hans Rosbaud vom Orchestre de la Societe des Concerts du Conservatoire von Paris und einem internationalen Sängerensemble in italienischer Sprache gegeben. Regisseure und Bühnenbildner sind Franzosen. Interessant ist, wie man hier den „Figaro“ veristisch-spanisch ausstattet und beide Opern im Stil des entfesselten Theaters zu spielen versucht. Die dritte Oper ist Glucks „O r p h e u s“, von dem deutschen Dirigenten Karl Ristenpart geleitet, in französischer Sprache gesungen und im Stil der Zeit, als nobles Divertissement im Hause eines reichen Herrn, inszeniert. Die Mozart-Aufführungen von Aix können sich, was die Solisten betrifft, durchaus mit denen der Wiener Staatsoper messen; Regie, Ausstattung und Kostüme wirken weniger einheitlich.

Wenn man während der Konzertpausen und nach den Aufführungen in Aix-en-Provence gelegentlich von einer „germanischen Invasion“ sprach, so geschah dies scherzhaft-wohlwollend, soweit man das vielbewunderte und mit Beifall überschüttete Südwestfunkorchester und seinen eminenten Leiter Hans Rosbaud meinte. Einen kritischen Unterton bekam dieses Schlagwort erst mit Bezug auf eine Reihe der vorgeführten Werke, von denen man in Deutschland sagt, daß sie aus der „Wiener Schule“ stammen oder von ihr beeinflußt sind ... Gleich auf dem Programm des ersten Konzertes des Südwestfunkorchesters stand das überaus schwierige, 1927/28 geschriebene „Kammerkonze r.t“ von Alban Berg, in dem sich Maria Bergmann und Ludwig Bus als Solisten (Violine und Klavier) auszeichneten, sowie Anton von Weberns „Fünf Stücke für Streichorchester“, die zwar schon 1909 geschrieben wurden, also noch nicht „seriell“ sind, aber bereits alle Merkmale eines sich verfeinernden, punktuellen Stils zeigen. Zwei wesentlich gefälligere Stücke bildeten den Rahmen für die Wiener Esotheriker: Honeggers „Pastoral d'e t e“ und M i 1 h a u d s Ballettmusik zu „L a Creation du monde“ von 1923.

Die serielle und punktuelle Technik hat Pierre B o u 1 e z in seinem „M arteau sans Maitre“ auf die Spitze getrieben, und die sieben Solisten des Orchesters, Sibylla Plate, die die Gesangspartie (auf einen Text von Rene Char) meisterte, sowie Hans Rosbaud wurden angestaunt ob dieser unwahrscheinlichen Leistung; die Komposition von Boulez stieß — besonders bei den jugendlichen Hörern dieses in jeder Hinsicht „außerordentlichen“ Konzertes — auf begreiflichen Widerstand.

Das zweite „ordentliche“ Rosbaud-Konzert war wesentlich gefälliger. Eine Haydn-Symphonie, die von Rita Streich gesungene Zerbinetta-Arie aus „Ariadne“ und der auch in diesen Breiten unvermeidliche „Till Eulenspiegel“ bildeten die effektvollen Vor- und Nachspiele für Bartöks 3. Klavierkonzert und Schönbergs „Varia-tioifen für Orchester“ von 1928.

Nicht nur Bartök, sondern auch Schönberg wirkte, mit Boulez und dem im nächsten Konzert aufgeführten Werk von Luigi Nono verglichen, geradezu klassisch, einfach und eingängig. Für das bereits erwähnte Werk von Boulez und die „I n c o n t r i per 24 Instrument i“ von Luigi Nono fehlen uns heute noch die Maßstäbe. Immerhin war man auf ein neues Werk von Nono gespannt und wurde etwas enttäuscht. Denn: so kunstvoll diese Begegnungen der Instrumente herbeigeführt, so systematisch die einzelnen Stimmen gesetzt sein mögen — in der Erinnerung blieb kein geschlossener Eindruck, sondern lediglich der Nachklang an einige heftige, wenig motivierte dynamische Explosionen und eine hypernervöse Faktur. Dieses dritte Konzert stand überhaupt unter keinem sehr glücklichen Stern. Eines seiner Hauptwerke. Wolfgang Fortners „The Creation“, mußte entfallen und wurde durch ein nichtssagendes Kammermusikwerk eines Amerikaners ersetzt, und Hindemiths „Kammermusik für Klavier und zwölf Instrumente“, mit der brillanten Maria Bergmann als Solistin, kam unter dem südlich strahlenden Himmel nicht recht zur Geltung, dagegen mußte das letzte der beiden kleinen Stücke von S t r a w i n s k y, die Zirkuspolka, wiederholt werden. (Uebrigens gab es auch beim ersten Konzert ein „Cis“ für Milhauds mit Jazzrhythmen, Saxophon und großem Schlagwerk gepfefferte Ballettmusik.)

Waren bei diesen Konzerten „Germanen“ aller Art als Ausführende und Komponisten führend, so brachte Jean M a r t i n o n, ein effektvoller und sensibler Schaudirigent, ein rein romanisches Programm: eine Ouvertüre von Rossini, de Fallas

„L i e b e s z a u b e r“ (von Nan Merriman echt spanisch-rauh gesungen), R o u s s e 1 s aus einem Symphoniesatz entstandenes Poem „Pour une fete de printemp s“, ein recht konventionelles Stück von Jean R i v i e r und als effektvollen Abschluß „La V a 1 s e“ von Ravel. Daß der Applaus nach diesem gefälligen Programm nicht stärker war als nach den weit schwierigeren des Südwestfunkorchesters, bezeugt dessen hervorragende Leistungen, besonders die seines Leiters Hans Rosbaud, und die überaus freundliche Anerkennung, die sie bei dem vorwiegend französischen Festspielpublikum fanden.

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