Feuerwerk in Farben

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Die erste umfassende Max-Weiler-Retrospektive wird einer großen Aufgabe gerecht: Anschaulich führt sie anhand von etwa 123 Bildern durch mehr als siebzig Jahre Malerei.

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Die erste umfassende Max-Weiler-Retrospektive wird einer großen Aufgabe gerecht: Anschaulich führt sie anhand von etwa 123 Bildern durch mehr als siebzig Jahre Malerei.

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Max Weiler blieb immer Max Weiler: diese Beständigkeit wider alle Modeströmungen macht die besondere Faszination des Tirolers aus. Umso schöner, daß das malerische Werk des 1910 geborenen Individualisten nun noch zu seinen Lebenszeiten in Wien zweifach gewürdigt wird.

"Als alle Dinge in tiefem Schweigen lagen und die Nacht in der Mitte ihres Laufes war, da kam vom Himmel, vom königlichen Throne, o Herr, Dein allmächtiges Wort." Mit diesem Spruch Meister Eckharts empfängt die Schau im Künstlerhaus den Besucher. Weiler legte jedes Wort dieses Satzes 1960-62 in expressiven, großformatigen Farbexplosionen aus. Erstmal begegnet einem das Eckhart'sche Zitat schon viel früher im Werk: Auf die Rückseite des "Weihnachtsbildes" von 1933 hat es Weiler notiert. Er interpretierte diesen Satz als Inkarnationsgeschehen.

Die Menschwerdung als Zentrum der christlichen Offenbarung stellte er bereits damals auf einem kleinformatigen, quadratischen Werk von anrührender Innigkeit erstmals dar. In tiefem Nachtschwarz strahlt zentral die Figur eines gesichtslosen, in hellem Rot und Orange gehaltenen Engels, an den linken Rand gedrückt harrt eine dunkelnachtblau gewandete Maria mit blassem skeptisch ängstlichen Gesichtsausdruck der Dinge, die da kommen mögen. Dennoch fügt sie sich demütig, weist auf den Überbringer der Nachricht, ohne ihre menschliche Würde zu verlieren.

Ein Jahr später interpretiert Weiler dasselbe Thema auf der eindrucksvollen Fläche von 2 x 3,5 Meter schon selbstbewußter, immer noch figurativ, bis auf den leuchtend roten Kopf des Jesuskindes, das mit der Mutterbrust beinahe verwachsen scheint, bereits in einer ziemlich einheitlichen Tonigkeit, braunschwarz, um sich später zu immer abstrakteren Interpretationen derselben Thematik vorzuarbeiten. Der Inhalt schimmert immer durch die Oberfläche hindurch, in vielschichtiger Tiefe.

Typisch für Weilers Werk ist das Wiederaufnehmen eines Themas. Besonders exemplarisch zeigt es sich in der "Bauernfamilie", die in der Erstfassung des Jahres 1941 atmosphärisch noch stark an van Goghs "Kartoffelesser" erinnert. 1958 findet sich dann eine "Verwandelte Bauernfamilie" als Malerei in Grau, ein Jahr darauf folgt eine Metamorphose in Gelborange und Grün. Die letzte Verwandlung 1960 transformiert das Familiensujet in urtümlich strukturierte Kreise und Formen, durchsetzt von grauen Schlieren auf hellem Grund. In einem eigenen Raum widmet sich das Künstlerhaus diesem Themenkreis derVerwandlung, der auch am "Hohen Lied" zu beobachten ist.

"Bin ich abgeschieden, dann richtig wach und bewußt. Denn solange ich es bin, gibt es keine andere Sehnsucht. Abgeschieden bin ich und Abgeschiedenheit ist meine Losung, ist mein Werk", sagte Weiler einmal über sich selbst. Sätze wie dieser verleiten dazu, dem großen Maler das Etikett des weltabgeschiedenen Einzelgängers zu verpassen. Dabei wäre falsch, ihn auf Eigenbrötlertum, Landschaft und die Gebirgswelt Tirols zu reduzieren.

"Es sind absurde Vorurteile, Weiler nur durch die Tiroler Berge, mit den Sun-Chinesen und Grünewald zu erklären," widerspricht Edelbert Köb, der Kurator der beiden Ausstellungen, vehement: "Weiler war immer ein Kind seiner Zeit, er trägt die Moderne voll mit. Einzig sein spiritueller Hintergrund unterscheidet ihn. Durch alle Schichten seiner reinen, radikalen Malerei dringt das Bedürfnis nach Spiritualität." Besonders deutlich sichtbar ist das im Anfangswerk Weilers, der stark von der "Neuland-Bewegung" beeinflußt war.

"Ehre sei dem Vater durch Christus im Heiligen Geist" heißt ein Tusche-Aquarell-Entwurf auf goldenem Hintergrund. Ein kleiner, gebeugter Mensch zu den blutenden Füßen Christi fügt sich dem Göttlichen. Jesus hat zwar den Querbalken eines Kreuzes hinter sich, doch er weist auf den Vater, der schemenhaft hinter ihm sitzt. Alle Gestalten werden eingefaßt von flammendem Rot, bei näherer Betrachtung erkennt man die innovativ umgedrehten Flügel eines riesigen roten Heilig-Geist-Vogels.

Ein titelloses Bild aus dem Jahr 1934 steht fast prophetisch für die beiden Eckpfeiler, die Weilers Werk ein Leben lang durchdringen und begleiten sollen: Eine goldene Gestalt mit Krone hält eine schematisierte Landschaft in ihren Händen. Der Schöpfergott, dessen Geist auch den Schöpfermaler Weiler durchdringt. Natur als Schöpfung: Der Wunsch, sie darzustellen durchdringt fast alle Phasen in Weilers Werk. Er war zeitlebens ein Suchender. "Ein total neugieriger Lehrer, der immer geschaut hat, was vorgeht", erinnert sich Köb. Im Gegensatz zu anderen Akademieprofessoren berief er Assistenten, die bereits bedeutende Künstler waren. Länger als drei Jahre durften sie nicht Assistenten bleiben, um nicht zu programmierten Pseudokünstlern mit der sicheren Universitätslaufbahn im Rücken zu verkommen.

"Jede gute Malerei kommt aus ihrer Zeit." Dieser Satz gilt auch für Max Weiler, der in einer bestimmten Phase sogar die Natur hinter sich ließ, um wild mit gegenstandsloser Malerei zu experimentieren. Freilich, um nach eineinhalb Jahren bewußt wieder zu ihr zurückzukehren.

Der zweite Schauplatz dieser Retrospektive, die Akademie der bildenden Künste, wendet sich den Entwürfen Weilers im öffentlichen Raum zu. Zu ihrer Entstehungszeit wirbelten sie in ihrer bunten Farbigkeit, in der damals revolutionären Anordnung und Darstellung der Figuren, viel Staub auf. Sie gewähren Einblick in die Fähigkeiten Weilers, mit Fläche, Linie, Strich und Gesamtkomposition umzugehen. In jedem Fall eine wesentliche Ergänzung, die den Blick auf einen bisher kaum entdeckten Aspekt des Weilerschen Schaffens lenkt. Abgesehen von diesen beiden Wiener Ausstellungorten gibt es den Katalog zur Retrospektive auch im Internet: unter http://www.diepresse.at/weiler/weiler. Eine Begegnung mit den Originalen ersetzt das freilich nicht.

Max Weiler.

Malerei seit 1927, Künstlerhaus, 1010 Wien, Karlsplatz 5, bis 6. Februar 2000. Der große Entwurf, Akademie der bildenden Künste, 1010 Wien, Schillerplatz 3, bis 23. Jänner 2000.

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