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Franzsische Lichtbildkunst

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Nach jahrelanger Abgeschlossenheit und Einzwängung in die Schablone einseitig ausgerichteter Bestrebungen auf allen Gebieten der Kultur und der Äußerungen menschlichen Lebens bringt uns ein frischer Wind aus allen Richtungen wieder den Zauber fremden rufen schien, durch bereitwilliges Aufnehmen und Umgestalten zum Verstehen der Völker Entscheidendes beizutragen, mag uns Heutigen diese Rolle oft schwer fallen, -weil wir die lebendige Quelle österreichischer Tradition an der Schwelle unseres Lebens vf*iegt 1b Äe SwJe dringt, aber doch keinen Widerhall findet; daß wir ratlos über einem Buch sitzen, dessen Leuchten uns berauscht, aber auch blendet (so sehr sind wir dem Lichte entwöhnt); daß wir vor dem Klang eines Musikwerkes wohl die Schauer ewiger Gültigkeit empfinden, aber zugleich auch niedergedrückt werden von dem Bewußtsein, dem Fluge in neue Reiche des menschlichen Geistes nicht folgen zu können, weil uns allzulange die Flügel genommen waren.

Nun wird vieles versucht, um uns Jungen, dem Lichte so lang Entwöhnten, die Schranken zu öffnen, die seit unserer Kindheit zwischen uns und der Welt aufgerichtet waren. Von den Bühnen kommt der Ruf nach Verstehen des Menschlichen jenseits aller Grenzen, in den Konzertsälen nimmt uns wieder der Zauber fremden Ausdrucks gefangen, und wir gehen beglückt durch die Hallen der Ausstellungen, wo uns der Genius ewig verwandter Künstlerschaft behutsam an der Hand nimmt und uns durch sein Reich führt, in dem statt Haß und gegenseitiger Verachtung nur Liebe und Begeisterung für das Wahre und Schöne herrschen.

So erlebten auch wir die Ausstellungen französischer Kunst und Kultur, und fühlten besonders tief jene Verwandtschaft, die das Wissen um den gemeinsamen Besitz abendländischer Geisteswerte zwischen zwei Völker legt, die seit jeher berufen und gewillt waren, den lebendigen Begriff „Europa“ rein zu bewahren und in die Zukunft zu tragen. Uns verbinden die uralten Ströme verwandter christlicher Kulturen, uns verbinden aber auch die Erlebnisse der jüngsten Vergangenheit, die gemeinsame Sehnsucht nach Freiheit und endlich verwirklichter Ideale von Menschlichkeit und ewigem Frieden. Uns verbindet — und wie sehr fühlen wir gerade hier das Glück gemeinsamen Weges — das ehrliche Streben nach Ver-innerlichung des Lebens, das Suchen einer letzten gültigen Sinngebung nach so langen Jahren der Verlorenheit und Leere, uns verbindet das Wollen zum Glauben.

Es gibt Menschen, die sich wunderten, in der gegenwärtig in Wien gezeigten Ausstellung französischer Malerei der Gegenwart „Salon d'Autpmne“ eine so große Zahl religiöser Kunstwerke vorzufinden, und ebendieselben Menschen mögen auch staunen, daß in einer Ausstellung jrrnzqsischer Licrjtbild-kunst, wie sie seit einiger Zeit in den Räumen Mariahilf er 1Straße 47 geboten wird, eine Reihe religiöser Motive zu Objekten der Kamera gewählt worden sind. Noch dazu, da eine militärische Dienststelle, der Französische Lichtbilddienst unter Leitung Robert Moisys, des Chefphotographen General Be-thouarts, diese Auswahl zusammengestellt hat.

Ähnlich wie der Film zum Theater, verhält sich wohl auch die Photographie zur Malerei. Über Berechtigung der beiden: Film und Lichtbild als künstlerische Ausdrucksform ist (auch in der „Furche“) viel für und wider geschrieben worden, ohne daß je eine klare Entscheidung gefällt werden konnte. Auch hier soll dieser Versuch nicht gemacht werden. Wenn der Photographie, wie man behauptet, allzu viele Voraussetzungen — wie: intuitive Gestaltung durch den Schaffenden, Ausdruck seelischer Werte, Loslösung von der Wirklichkeit usw. — fehlen, um als Kunst gleichwertig neben Malerei und Zeichnung bestehen zu können, die Bezeidinung: „künstlerisches Handwerk“ wird man ihr nicht versagen wollen; so unleugbar nämlich ein Unterschied besteht zwischen der zweckgebundenen Konstruktionszeichnung eines Ingenieurs und einem Kupferstich Albrecht Dürers, obwohl die technischen Grundlagen, die rein handwerksmäßigen Vorgänge ein und dieselben sein mögen, so liegt ein weiter Weg zwischen dem Schnappschuß eines Zeitungsreporters und den Bildern, die wir in dieser Ausstellung zu sehen bekommen.

Mit diesen Erwägungen vorbelastet, mit jenem kritischen Dilettantismus, der uns Jungen von heute in vielen Dingen anhängt, betreten wir die hellen, sachlich schlichten Räume. An den Wänden hängt Bild an Bild. Wir sind keine Fachleute, weder auf dem Gebiete der Malerei noch in der Technik der Photographie, wir sind nur gekommen, um mit offenen Augen und bereitem Herzen zu schauen. Fremdes zu schauen, um es verstehen zu lernen“; und etwas von einem Heißhunger ist an uns, geboren aus der Erkenntnis, viel, fast zu viel, für unser junges Leben versäumt zu haben, das es nun nachzuholen gilt; Ein Hunger nach der Antwort auf die tausend ungelösten Fragen, die wir seit dem großen Zusammenbruch aller bisher gelehrten Werte mit uns herumtragen, auf die bange, auf die stürmische Frage nach dem Sinn, der über allem Sein herrschen muß; und insgeheim, ohne es vor dem lauten Treiben der Straße zu erkennen, hat uns auch hierher diese Frage begleitet.

WTfl man uns enttäuschen-? Bei dem ersten

Bilde und im zögernden Weiterschreiten will es uns so scheinen. Bilder aus dem großen Kriege, den wir -elbst erlebt hben, an den wir nur selten denken wollen und über den zu sprechen uns Qual bereitet. Haben wir je davon erzählt? In jener lauten Art, die unter all dem tausendfachen Leid immer noch eigenes Erleben hervorholt?

„Circonspection“ — „Progression“ ... ein Spähtrupp, Stahlhelme, Panzer, Waffen und Soldaten. Und dann stehen wir doch still vor diesen Bildern. Da gHiht die Landschaft der Champagne unter dem Feuer südlicher Sonne, von den hellen Straßen wehen vergängliche Fahnen weißen Staubes, freundliche Dörfer grüßen von den lieblicher Hügeln, wo sich Garten an Garßen reiht. Eine Kolonne müder Soldaten marschiert durch den Staub. Das ist der Krieg. Das war der Krieg. Keine Lust und keine Leidenschaft, auch für sie nicht, die ausgezogen sind um zu siegen.. Und das ist Frankreich, in diesen Dörfern leben Menschen, die unsere Brüder sind, mit demselben Wunsche, der auch uns beseelt: Arbeit, Friede, Verstehen.

Länger als gewollt bleiben wir vor diesem Bilde stehen. Progression ...

Durch den Are de Triomphe ziehen die siegreichen Regimenter, Parade in Berlin, Einzug in Tirol. Ein blondes Kind überreicht dem General einen Strauß frischer Wiesenblumen. Und der General lächelt. „Solitude glajee“... ein beschneites Bergtal atmet feiertägliche Ruhe und Frieden. „Avril“...ein zarter FöWingsmorgen, fast wie nimpressionistisches französisches Aquarell.

„La Pastorale“... ein Sonntag im Sommer in Tirol, von der Dorfkirche läuten die Glodten, als hätte es nie Haß und Krieg gegeben.

Und dann stehen wir plötzlich vor jenem Bild, das uns klar und unerbittlich die Antwort ins Gesicht schleudert auf die einzige große Frage: Herr, wie konnte dies alles geschehen? Wie konnte so viel Haß und Leid über uns kommen?

„Le Christ“ ... ein Kreuz, wie sie an den ländlichen Feldwegen in Österreich stehen, über den wogenden Ähren reifender Felder und inmitten blühender Wiesen. Von einer Granate zerschmettert liegt die Gestalt Christi mit ausgebreiteten Armen am Boden. Es ist nur eine Photographie; wir wissen nicht, ob es ein Kunstwerk ist, aber es ist uns wie eine erlösende Antwort, . auf? die, letzte große Frage, die unser Leben unstet macht.

Und dann gibt es doch noch einen Trost, daß wir mit einem Lächeln, mit einem gläubigen hoffnijngsFrohen Lächeln, wieder hinaus treten dürfen ins lärmende Treiben der Großstadt: So beginnt ein französisches Weihnachtslied: „Ii est ne divin enfant“ ... ein Kind blickt mit großen staunenden Augen empor zu den strahlenden Kerzen des weih“ nachtlichen Wunders. Und in diesen Augen liegt der Glaube und die Hoffnung einer ganzen Welt und ihrer leidenden Mensch-, h*it; ./ . -; i . . .-. ■ t:.

„II est ne divin enfant“ ... ?

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