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Führte der Bildhauer Veit Stoß Regie?

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War der große Bildhauer Veit Stoß auch Inszenator von Passionsspielen in Krakau? Die Frage wirft Gerda Hagenau in ihrem umfangreichen Werk „Polnisches Theater und Drama” auf. Es ist vorerst ein Analogieschluß: Etwa zur gleichen Zeit, als der gebürtige Schwabe Veit Stoß in Krakau wirkte, schuf Wilhelm Rollinger das Chorgestühl für den Wiener Stephansdom. Es ist 1945 verbrannt, allerdings kurz vorher noch von Lucca Chmel fotografisch dokumentiert worden. Wenn man weiß, daß Rollinger die Wiener Passionsspiele leitete, sieht man, wie lebensecht die Passions-Szenen des Chorgestühls waren.

Unersetzliches vernichtet

Sie wirkten wie Kopien der Passionsspiele. Ähnliches kann man auf den Reliefs des Krakauer Marien-Altars feststellen. Aber Gerda Hagenau bringt noch andere Indizien für ihre These. Und wünscht sich, daß jüngere Forscher dieser Frage nachgehen.

Denn leider ist die Quellenlage für die Kulturgeschichte Polens bis zum 16. Jahrhundert dürftig. Hagenau beruft sich auch auf polnische Historiker, wenn sie behauptet, vieles Unersetzliche sei durch Schlamperei und Nachlässigkeit verlorengegangen, mitunter auch durch Intoleranz und Fanatismus zerstört worden. So ist das Unterfangen, eine Theatergeschichte Polens zu schreiben (die natürlich nur im Zusammenhang mit der allgemeinen politischen und kulturellen Entwicklung möglich ist) sehr kühn. Wobei Gerda Hagenau, 1918 in Lodz geboren und zweisprachig aufgewachsen, durch jahrzehntelanges Wirken im Kulturaustausch die besten Voraussetzungen mitbringt.

Die Entwicklung der mittelalterlichen geistlichen Spiele aus der Liturgie, die große Zeit der humanistischen Schulspiele, dann in der Barockzeit die von Land zu Land reisenden Wanderbühnen: das sind Entwicklungen, die in Polen ziemlich parallel mit Mitteleuropa verlaufen. Die theatralischen Ereignisse des Mittelalters sind in Krakau am besten überliefert. Hier gab es vor allem in der Kaufmannschaft ein

wohlhabendes deutsches Bürgertum mit engen Kulturbeziehungen nach Mitteleuropa, so daß es neben Aufführungen in polnischer auch oft zu solchen in deutscher Sprache kam. Es waren meist Krippenspiele rund um Weihnachten, vor allem aber die großen Aufführungen der Passionsund Osterzeit.

Als 1454 der Jagellonen-König Kasimir IV. die Habsburgerin Elisabeth heiratete, verstärkte sich der deutsche Einfluß in Krakau. Die dynastischen Beziehungen nahmen zu: die Tochter des Königspaares, Jedwi-ga, heiratete 1475 Georg den Reichen von Bayern in Landshut, der Sohn Wladislaw wurde 1490 König von Ungarn - nach dem Aussterben der Jagellonen kam 36 Jahre später die Stephanskrone an Habsburg.

Für Polen begann mit Kasimir IV. eine Goldene Epoche. In der Zeit des Humanismus und der neuen Buchdruckerkunst finden wir in Krakau Konrad Celtis, Nikolaus Copernicus, Filippo Buonacorsi, genannt Calli-machus aus dem römischen Humanistenkreis, etwas später als Hofmaler Hans Dürer, den Bruder von Albrecht. Als König Sigismund I. in zweiter Ehe Bona Sforza geheiratet hatte, gab es Einflüsse auch aus dem Renaissance-Italien, Aufführungen in lateinischer, polnischer, deutscher Sprache, festliche Turniere und viel Musik.

Die Reformation Martin Luthers

wirkte vor allem auf den 1515 geborenen „Vater der polnischen Dichtung”, Mikolaj Rey. Luther hat sich ausführlich über die Nützlichkeit des Schultheaters geäußert, vor allem aber die Sprache des Volkes bevorzugt. Nun entstehen polnische Dramen mit religiöser Thematik. In der kommunistischen Zeit griff man wieder auf sie zurück. Kazimierz De-jmek, später Kulturminister in Polen, erregte mit seiner Neuinszenierung von „Das Leben Josephs aus dem jüdischen Geschlecht” und anderer Stücke europaweit Aufsehen.

Die Barockzeit brachte dann eine Blüte des katholischen Schultheaters und am Hofe König Wladislaws IV. den Einzug der italienischen Oper. Mit August dem Starken von Sachsen kam - trotz aller Kriege - die große Prachtentfaltung und internationaler Glanz, nun allerdings - neben Oper und Ballett - nach der Mode der Zeit das französische Schauspiel. Die Verbindung zu Dresden wurde unter August III. noch enger. Während des Siebenjährigen Krieges ging die Dresdener Oper so-

gar nach Warschau ins Exil.

Neben die französische Klassik traten die Komödien von Goldoni. Durch August III. Gemahlin, die ”Kaisertochter Maria Josepha, kam auch wieder eine engere Beziehung zu Wien zustande. Deutsches Bürgertum zog zu und brachte wirtschaftlichen Aufschwung und zahlreiches Theaterpublikum. „Unter dem Sachsenkönig iß, trink und mach den Gürtel weiter” sagten die Polen. Die Magnaten aber wetteiferten mit dem König und gaben Unsummen für eigene Bühnen aus.

Harems-Ersatz der Könige

War schon unter den Sachsen die Aufklärung auch ins Theater eingezogen, verstärkte sich diese Tendenz mit dem letzten polnischen König Stanislaw August Poniatowski. Unter seiner Regierung machte Fürst Czartoryski die Ritterschule (eine Militär-Akademie) auch zur Schule des guten Benehmens. Die Kadettenbühne ersetzte zeitweilig ein polnisches Nationaltheater. Ein wahrer

Theaternarr, schrieb Czartoryski auch belehrende Komödien, wobei er meist auf ausländische Vorlagen zurückgriff. Er kümmerte sich um die Schulung der Schauspieler und Tänzer, und es tat dem aufklärerischen Wirken vermutlich wenig Abbruch, wenn der König und die Magnaten das Theater auch als Harems-Ersatz nutzten. Übrigens ließ der König 1*786 eine Komödie über den Betrüger Cagliostro aufführen, deren Verfasserin die Zarin Katharina II. war. Mit den drei Teilungen war 1795 das Ende des Staates, „Fi-nis Poloniae”, gekommen. Aber schon war der große Theatermann Wojciech Boguslawski im Lande tätig. Über sein Wirken unter russischer und preußischer Oberhoheit und über das seiner Nachfolger bis in die Gegenwart will Gerda Hagenau im zweiten Band ihrer Theatergeschichte berichten.

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