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Funde in Torfmooren

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Torfmoore bilden sich, wenn Wasserbecken Und auch Seen sich mit Schilf, Sauergräsern und Torfmoosen zunächst oberflächlich überziehen und hiedurch „erblinden", wie der Geograph sich auszudrücken pflegt. Es entsteht Torf, der schließlich den bisherigen Wasserraum bis von Grund aus erfüllt. Die Pflanzenreste sind schwer verweslich und lassen sich später noch genau erkennen. Es gibt Torfmoore bis zehn Meter und mehr Mächtigkeit.

Je nach den Pflanzen, aus denen Moore hervorgegangen sind, nennt man Flachmoore, jene, die eine ziemlich ebene Gestaltung besitzen, während Hochmoore eine Aufwölbung nach der Mitte zeigen. Die Flachmoore stellen die vertorften Reste von Schilf, Seggen und Riedgräsern dar, die letzteren sind aus Torfmooren, verschiedenen weichen, polsterartigen Pflanzen hervorgegangen. Besonders die Hochmoore überwuchern, sich zentrifugal ausbreitend, alles, was sich an ihren Rändern befindet, sogar ganze Wälder, so daß man nicht selten in tieferen Lagen wohlerhaltene Holzreste, manchmal auch Baumstämme mit ihrer Harzausscheidung findet, zum Beispiel auch die heute leider schon so selten gewordene Eibe.

Im Chiem9eemoor (Oberbayern) wurden die Reste von Bohlenwegen entdeckt, die auf die Zeit der römischen Besiedlung zurückgehen, wie aus Münzfunden in der Umgebung solcher Prügelwege zu schließen ist. Die Römer hatten, um dis Einsinken von Fußgängern und Wagen hintanzuhalten, das Moor mit starken Holzprügeln quer über den Weg belegt. Sie ließen ihre Heeresstraßen immer möglichst geradlinig ohne Rücksicht auf ein unwegsames Gelände verlaufen, um im Notfall, zum Beispiel bei Aufständen, ihre Truppen möglichst schnell heranziehen zu können. So hatten sie auch den Chiemsee nicht umgangen, sondern nur die Straße Salzburg — Augsburg überquert.

In den verschiedenen Schichten der Moore findet man bei m ik ros kopischer Untersuchung jetzt nach Jahrtausenden selbst noch die Pollen von Waldbäumen, ihren männlichen Blütenstaub.

Zahlreiche Gelehrte Europas haben sich mit der Pollenforschung beschäftigt. Nach besonderen Methoden mit Hilfe chemischer Agentien müssen die Pollen erst aus dem Torfe freigemacht werden, um dann mikroskopisch untersucht zu werden. Ohne diese mühsame Arbeit wüßten wir nicht, in welcher Reihenfolge der Wald in Europa nach der Eiszeit wieder zurückgewandert ist. Die Eiszeit hatte die Holzarten verdrängt, in der Nacheiszeit waren zunächst baumlose Tundren entstanden, wie sie heute im hohen Norden zu finden and. Der Boden mußte erst wieder, von Bäumen neu besiedelt, zurückerobert werden. Der Wald bildet das natürliche Schlußglied der Vegetation in der ungestörten Natur. Zuerst kam auf weite Flächen hin die Birke und mit ihr die Zitterpappel in lichten Beständen. Im Hochgebirge gegen die Baumgrenze hin vermögen beide ja heute noch der Kälte und dem Wind Widerstand zu leisten. Heidelbeere, Faulbaum und Weidenarten iebten unter den schützenden Birkenbaumkronen Bald folgte von Süden und Südosten her die Kiefer nach und verdrängte stellenweise die Birke. Mit zunehmender Temperatur fand sich die Schwarzerle mit Schneeball und Hartriegel ein. In den Kiefernwäldern erschien die Vogelbeere, Haselstrauch und Spitzahorn, Linde und Ulme, also entstand ein richtiger Mischwald. Dann wanderte langsam die Eiche nordwärts. In dem sehr feuchten Klima bildeten sich Moore aus. In die Wälder drangen jetzt Eibe, Esche, Feldahorn ein. Endlich kam auch die Fichte und verbreitete sich dank ihrer geflügelten Samen ausgiebig. Als letzte kehrte langsam die Buche zurück, die aber kalkhaltigen Boden, zum Beispiel Moränen, bevorzugte und andere Holzarten unterdrückte. Die geschilderte Reihenfolge entstand unter dem Einfluß allmählich ansteigender Wärme.

Verlassen wir das Gebiet der wissenschaftlichen Forschung und wenden wir uns Funden in den Mooren zu.

In der Nahe von Franzensbad haben sich an Stelle eines Sees Moorlager ausgebildet. Im tonigen Untergrund fand man zugespitzte Holzpfähle, deren Oberteil von drei Meter mächtigem Torf bedeckt war. Sie stammten offenbar von Pfahlbauten. In der Moormasse wurden, aus dem Ende der Steinzeit herrührend, bearbeitete Knochen, Geweihe, Beile und Urnenscherben ent deckt. Auch menschliche Überreste hat uns der Torf aufbewahrt. So wurden Schädel gefunden, deren Hinterhaupt eingeschlagen worden war, vermutlich um das Gehirn bloßzulegen, denn es wird angenommen, daß die ältesten Pfahlbaubewohner Kannibalen waren.

Knochen, die lange im Moor gelegen waren, weisen braune Farbe auf (Funde im Naturhistorischen Bundesmuseum). Ist jedoch die Moorfeuchtigkeit stark sauer (Gehalt an Humussäure), so wird jener Anteil der Knochen, der aus phosphorsaurem Kalk besteht, völlig ausgelaugt. Dennoch bleibt die ursprüngliche Form der Knochen erhalten, denn ihr „leimgebendes“ Gewebe ist unlöslich. Haut, Haare, Nägel und Muskelfasern leisten selbst durch Jahrtausende Widerstand und solche Moorleichen lassen noch die ursprüngliche Körperform ausgezeichnet erkennen.

Die meisten menschlichen Leichen wurden bisher im Norden Europas, zum Beispiel in Dänemark, aufgefunden. Man kennt im ganzen etwa fünfzig. In Holstein wurde eine Leiche mit einer Kopfwunde entdeckt, die so gut erhalten war, daß man an ein Verbrechen in jüngster Zeit dachte. Nach Kleidung und Schuhen mußte sie aber schon hundert Jahre im Moor gelegen sein.

Es war nach altgermanischem Recht gebräuchlich, manche Arten von Verbrechen durch lebendiges Begraben der Missetäter im Sumpf oder Moor zu bestrafen. (Tacitus in der „Germania“).

Im dritten Gudrunlied der älteren Edda heißt es, Herkia, Etzels Magd, habe Gu- drun bei diesem der Untreue bezichtigt, doch ergab das Gottesurteil ihre Schuldlosigkeit. Herkia bestand die gleiche Probe, Steine aus siedendem Wasser herauszuholen, nicht und verbrannte jämmerlich ihre Hände. „Sie führten die Magd zum faulenden Sumpf. So ward Gudrun vergolten der Harm.“

Wiederholt stellte man fest, daß Moor- leidien mit Verletzungen am Kopf mit Bastseilen gefesselt waren. Andere waren durch Haken niedergehalten, wiederum zur Sühne eines Verbrechens. Zuweilen waren die Verurteilten wohlhabende Leute, wie ihre reichere Kleidung, ihr besseres Schuhwerk beweisen. Der Schmuck (silberne Kapseln, Bernstein, Spangen) bei weiblichen Leichen läßt erkennen, daß auch reiche Frauen dem Strafgericht nicht entgingen.

Mandie lagen völlig nackt im Moor, daneben ein Bündel Kleider. Vereinzelt fand man Leichen von Kindern, die wohl Un- glüdcsfäilen zum Opfer fielen; so manches mag im Moor auf sogenannten „Wasserkissen“ zugrunde gegangen sein, auf jenen trügerischen Decken von verfilzten Moorpflanzen auf dem Wasser, die zu betreten sicheren Tod bedeutet, Es handelt sich dabei um junge Vermoorungen, um „Schwingrasen“.

Mitunter sind im Moor auch Leichen bestattet worden. So fand man im Süd- Dithmarsdien einen Körper, der in einer sorgfältig errichteten Kammer auf Birkenreisig gebettet war, eine andere in einer Grube, die mühsam mit Moos ausgepolstert war, auch ein Frau, in deren Armen ein Kind ruhte.

Von größtem Wert für die wissenschaftliche Bestimmung der Zeit, aus der solche Überreste herrühren, sind Beigaben, Kleider, Gewebe überhaupt und Schuhe. Manche stammen aus dem zweiten bis vierten Jahrhundert nach Christi. Es wurden damals Kittel ohne Ärmel, als Mäntel viereckige, große Wolltücher, Kapuzen, Fußbinden, Gürtel, audi Pelze getragen. Mitunter weisen die Gewebe schon große Feinheit auf, Rautenmuster, Fransen und Borten, grün, rot oder gelb gefärbt. Die Schuhe waren aus einem Stück Leder angefertigt, mit einer Kappe und gitterartig durchbrochenem Oberleder versehen. Bei einer durch Eidienreste und Pfähle niedergehaltenen Leiche fanden sich Schuhe mit Kerb- schnittverzierung. In einem schleswigschen Torfmoor wurde ein Boot freigelegt, an den Enden spitz zu'.aufend, mit einem Steuerruder seitwärts, brauchbar für die See und gleichfalls für schmale Wasserläufe, offenbar ein Kriegsboot. Ganz anders geartet ist ein Fischerboot, aus einem 12 Meter langen Eichenstamm gearbeitet, ein Einbaum (Vaaler Moor in Holstein). Das Museum zu Kiel bewahrt einen ganz beson deren Fund, der aus dem Moor von Nydam stammt: Tausende von Waffen, Schmuckstücken und Kleidern, die im ersten Jahrhundert n. Chr. als Weihegabe für die siegverleihende Gottheit (nach dem Sieg über die Römer) niedergelegt worden waren.

Etwa viertausend Jahre v. Chr. war der Mensch in Dänemark eingewandert. Aus jenen Zeiten stammen Gegenstände, die der Jäger und Fischer gebrauchte: gezähnte Beinspitzen zum Fischstechen, Geräte aus Tierknochen und Hirschhorn, viele Tausende bearbeiteter Feuersteine und massenhaft Pfeilspitzen.

Nach der Mitte des zweiten Jahrtausends setzte in Dänemark als ein Zeichen von Kulturfortschritt die Bronzezeit ein. Bronze und Gold kam im Tauschwege gegen den im Süden Europas hochgeschätzten Bernstein ins Land. Aus der jüngsten Bronzezeit, beginnend etwa achthundert v. Chr., sind reichliche Moorfunde gehoben worden. Ein einziger Opferfund wurde im Trund- holmmoor bei Nykjöbing ausgegraben: ein Sonnenbild in Form einer goldbelegten, reichverzierten Bronzescheibe auf einem sechsräderigen Wagen, gezogen von einem Pferd aus Bronze.

Die wärme- und lichtspendende Sonne dachte man sich damals als Gottheit. In einem Moor bei Döstrup fand sich ein Pflug einfachster Art.

Aus der jüngeren Bronzezeit stammen gewaltige Trompeten, meist paarweise und im Ton übereinstimmend. Heute noch kann man auf ihnen blasen; reich verziert ist die Mundung dieser Opfergaben.

Eiserne Geräte kamen in Dänemark erst im vierten Jahrhundert v. Chr. in Gebrauch.

Opfer und Depotfunde aus der folgenden Zeit werden von nun ab selten.

Zwei hölzerne Wagen, reich mit Bronze beschlagen, wurden in zerlegtem Zustand und ihre Teile über eine größere Häche hin zerstreut im Torfmoor bei Ringkjöbing aufgelesen. Wie mehr und mehr ausländische Kultur eindrang, machen wiederum Funde ersichtlich, zum Beispiel ein großer silberner Kessel, der mit Bildern von Göttern, so von dem gallischen Gott Cernun- nos geschmückt, aus dem Gundestrupmoor stammt. Ein ähnliches, in Teile zerlegtes Stück wies auch Abbildungen von Kriegern in festlichem Zug und Stierkämpfen auf.

In Mooren der jütischen Ostküste und auf Fünen ist man auf Funde gestoßen, enthaltend Kriegsgerät aller Art und Hausrat, großenteils zerhackt oder verbogen und den Göttern als Opfer aufs Moor gelegt. In der nachrömisdien Zeit kommen Goldgegenstände als Weihegaben vor, bis endlich das Christentum einen anderen Ideenkreis erschließt. Doch auch aus dieser Periode trifft man noch auf Opfergaben für die alten Gottheiten.

Im Süden Deutschlands und im Bereich der Alpen und V o r a 1 p e n Österreichs gibt es zwar ziemlich viele und große Torfmoore, doch ist von hier gemachten Funden wie den erwähnten kaum etwas bekannt. Vielleicht hat man zu wenig darauf geachtet. Es ist auch möglich, daß in diesen Gegenden die Bevölkerung in abergläubischer Furcht die Moore als Sitz böser Geister gemieden hat. Der Hauptgrund für das Fehlen von Moorfunden dürfte aber darin zu suchen sein, daß noch zu Zeiten des berühmten Kartographen Philipp Apianus (Mitte des sechzehnten Jahrhunderts) viele heutige Moore noch Seen waren; auf einer Landkarte Bayerns sind sie als solche eingetragen.

Wir verdanken den Mooren viel Auskunft über die Waldgeschichte Europas, aber auch über Kultur und Kunst des nördlichen Europas, zumal in der prähistorisdien Periode. Wer in den Mooren schürft, kann vielleicht heute noch manch köstliches Kleinod heben.

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