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Funken in das Pulverfaß?

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Ganz unscheinbar hatten die Prognosen für den Besuch des sowjetischen Ministerpräsidenten Kossygin in der Türkei ausgesehen. Man war nicht ganz zu Unrecht der Ansicht, viel mehr als ein Tauschhandel zwischen russischen Industrie- und türkischen Agrarprodukten würde bei der ersten Visite eines Moskauer Regierungschefs in der Türkei kaum herausschauen.

Erfolgreiche diplomatische Jahresbilanz

Der Besuch Kossygins in Ankara, Izmir und Istanbul sollte der Höhepunkt des für die türkische Diplomatie äußerst ergiebigen Jahres 1966 sein, in dem Ankara durch den zwischen den Außenministern Cag-layangil und Toumbas seit Mai geführten griechisch-türkischen Zyperndialog die bilateralen Spannungen mit Athen zu Lasten Nikosias abbaute, während es gleichzeitig durch Annäherung an Griechenlands balkanische Nachbarn und intensive Kontakte mit den Arabern Bundesgenossen für seine zyprischen Ansprüche warb.

Noch leichter fiel es Außenminister Caglayangil, der unentwegt zwischen Beirut, Bagdad und Amman unterwegs war, mit den arabischen Staaten — sie waren noch vor 50 Jahren türkisches Reichsgebiet — zurechtzukommen: Er bot türkische Unterstützung in Palästina und bekam die arabische für die islamische Minorität auf Zypern. Unter diesen Auspizien öffnete die Türkei selbst den pan-islamiscben Tönen König Feisals von Saudiarabien ein williges Ohr und Tür und Tor für seinen sommerlichen Besuch in Ankara. Ganz so ernst scheinen es die laizistischen Türken mit ihrer alMslamischen Einkehr nicht zu meinen, ließen sie doch den über ihre Zusammenarbeit mit Riad beunruhigten Nasser wissen, daß sie nicht an Feisals Moslemkonferenz teilzunehmen gedächten.

Plötzlicher Szenenwechsel

Am Vorabend des Eintreffens des sowjetischen Ministerpräsidenten im tiefverschneiten Ankara, der schon ohne Hoffnungen und Gromyko angereist kam, änderten sich die Dinge mit einem Schlage: Die NATO-Kon-ferenz in Paris hatte die Türken belehrt, daß ihr Traum von der NATO-Führungsrolle im Mittelmeer, die sie nach dem Exodus de Gaulies anstrebten, nicht nur für die Griechen ein Alptraum war.

Zu dieser herben Enttäuschung kam für die Türken noch das Leichenbegängnis ihres Dialogs mit den Griechen, bei dem sich Caglayangil und Toumbas 14 Stunden lang den Kopf zerbrachen, wie sie ihren im stillen Kämmerlein ausgeheckten Teilungsplan dem widerspenstigen Makarios präsentieren sollten, der inzwischen mit tschechischen Waffen aufrüstete. Man fand keinen Ausweg, und so warf Sich Ankara Väterchen Kossygin in die Arme, während in Athen die Regierungskrise ausbrach.

Die Ankündigung von Neuwahlen, die beim Amtsantritt des Ubergangskabinetts Paraskevopoulos erfolgte, gab den Türken die endgültige Gewißheit, daß jetzt ihr Dialog in den Monologen patriotischer Wahlredner untergehen werde, die sich und ihre Liste für eine radikale, „nationale“ Endlösung der Zypem-frage verbürgten. So kam es, daß Ministerpräsident Demirel seinem Amtskollegen Kossygin nach Ab-

Schluß der offiziellen Gespräche, die sich in der Hauptsache um einen sowjetischen Lieferkrediit in Höhe von 180 (nach „Hürriyet“) beziehungsweise sogar 280 (laut „Vadan“) Millionen Dollar für sieben Industrieanlagen und zwei Stauwerke bei 15jähriger Laufzeit und einem Zinsfuß von nur 2,5 Prozent drehten, nach Istanbul nachreiste und mit diesem jene politischen Rückversicherungen traf, die in dem Kommunique vom 27. Dezember zwar nur andeutungsweise aufschienen, deren Auswirkungen sich hingegen schon bemerkbar machten.

Zypern betreffend spricht die gemeinsame Erklärung der beiden Regierungen von einer Erneuerung der sowjetischen Garantie für die Zyperntürken, aber unter der Hand dürfte Demirel ziemlich massive Zusicherungen erhalten haben. Anders lassen sich die Entwicklungen der letzten Tage nicht erklären:

• Unmittelbar nach dem Kossygin-Besuch begeben sich der Direktor des türkischen Außenminiisteriums und der Leiter der Zypernabteilung überraschend nach Nikosia.

• Am nächsten Tag protestiert der todkranke Vizepräsident Kücük über die ihm nahestehende Zeitung „Hal-kin Sesi“ gegen von Ankara ausgehende Bestrebungen, ihn aus seinem Amt zu vertreiben und Zypern durch verschärften Extremismus an den Rand der Katastrophe zu bringen.

• Im Parlament in Ankara bestätigt der Sprecher der Regierungsfraktion bei der Budgetdebatte über das Kapitel Äußeres die endgültige Einstellung des Zyperndialogs.

• In Athen schuf Georgios Papandreou die Einberufung des Kronrats zur Zypernfrage.

• In der Neujahrsnacht erwähnt König Konstantin Zypern nur floskelhaft am Rande, während Ministerpräsident Paraskevopoulos in seiner Botschaft zum Jahresende den Standpunkt vertritt, das Zypernproblem werde im neuen Jahr „so oder so“ seine Lösung finden.

• In Nikosia erläßt General Grivas zu Silvester einen Tagesbefehl an die Truppen, in dem er Mut und Entschlossenheit für die Stunde der Entscheidung fordert...

„Zone des Friedens“

Die sowjetische Rückendeckung für Zypern haben die Türken offenkundig mit ihrem Stillhalten im arabischen Raum erkauft, denn die farblose Vietnamerklärung kann der Kreml überall einkassieren. Wenn jedoch das Kommunique davon spricht, daß „der Nahe Osten zu einer Zone des Friedens und der Sicherheit“ werden müsse, und zwei Tage später die türkische Regierung im Parlament erklärt, die amerikanischen Basen in der Türkei dürften zu keinen Interventionen im Nahen Osten „mißbraucht“ werden, während in Jordanien am selben Tag eine Terrorwelle gegen das Regime König Husseins abläuft, sieht selbst ein Blinder die Zusammenhänge.

So darf es nicht wundernehmen, wenn die lautstarken Treuekundgebungen zum Westen und zur NATO, die Ankara während und nach Kossygins Weihnachtsbesuch von sich gab, auf spürbare Skepsis stoßen.

Aber auch im Inneren erheben sich die Stimmen des Bedenkens. Die „Yeni Gazet“ erinnert Demirel an das Los von Ministerpräsident Men-deres, der am Vorabend seiner Moskaureise gestürzt wurde.

Das ist eine unverhüllte Drohung jener Militärkredse, die nur mit Unwillen zusahen, wie die einseitige Demokratische Partei von Menderes als „Adalet-Gerechtigkeitspartei“ unter Urgüpiü und Demirel neue Triumphe feierte. Ihr Druck könnte die Regierung in Ankara zu unüberlegten Ausweichmanövern auf Zypern verleiten. Damit spränge der Funken ins hochexplosible nahöst-liche Pulverfaß.

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