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Geistige Wärmestabe

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Hubert Christian Ehalt hat sichtbare Freude an dem Kind, das er als Wissenschaftsreferent vor acht Jahren der Stadt Wien in die Wiege gelegt hat.

„Die Wiener Rathausvorlesungen sind international die größte Stadtvorlesung dieser Art”, frohlockt der vollbärtige Historiker mit dem verschmitzt-freundlichen Rlick und der sonor schwingenden Stimme.

Kulturvermittlung in der Tradition der Volkshochschulen der Zwischenkriegszeit zu installieren, mit heutigem, modernem Image, war dem passionierten Erwachsenenbildner stets ein Anliegen.

Absicht ist es, renommierte Gelehrte aus allen wissenschaftlichen Disziplinen in die „Kulturhauptstadt Wien” (Ehalt) zu bringen. „Die Stadt Wien will die Bürger der Stadt in dringliche Diskurse der Zeit einbinden.” Was offenbar gelingt: Jährlich pilgern 15.000 Interessierte aus allen Alters- und Bildungsschichten ins Wiener Bathaus.

Der formale Ablauf dieser Veranstaltungen folgt stets einem strengen Ritual: Zuerst einführend eine Vorstellung von Leben und Werk des Redners durch den Moderator, dann klassischer Themen-Vortrag hinter Pult und Mikrophon, anschließend Publikumsdiskussion.

Inhaltlich streifen die Referate ökologische, kulturelle, politische Problematik, wobei Ehalt das „Ideologische” als „sekundär” in die Schranken weist und mit dem Philosophen Konrad Paul Liessmann sagt: „Vorlesungen wollen primär nicht mitreißen, überreden oder betroffen machen, sondern einen Gegenstand in seiner rational rekonstruierbaren Logik darstellen.”

Kritischer Debattenton steht also im Vordergrund (Ehalt: „Wo der Geist weht, ist Freiheit”) und indirekt sollte auch eine Heimholung einst vetriebener Gelehrter nach Wien stattfinden.

„Offenheit für Kulturaustausch” lautet das Credo des Organisators Ehalt. Ein Blick ins Gästebuch belegt das:

Viktor Frankl, Erika Weinzierl, Ernst Gombrich, Freud-Biograph Peter Gay, Ruth Wodak waren ebenso dabei wie Johann Mader, der verstorbene Vilem Flusser, Kardinal Franz König, Norbert Leser, Friedrich Achleitner, Anton Pelinka, Hans Mommsen, Bischof Erwin Kräutler, Paul Watzlawick, daneben Politiker wie Bruno Kreisky, Ex-Außenminister Erick Bielka, der polnische Regimekritiker Adam Michnik oder Vaclav Klaus.

Regonnen wurde die Vorlesungsreihe mit Altbundespräsident Rudolf Kirchschläger am 6. Mai 1987 mit dem Titel „Was ist das Gemeinsame. Möglichkeiten und Grenzen des Miteinander”, der intern auch heute noch programmatisch über den „Wiener Vorlesungen” steht.

Insgesamt 400 Vortragende folgten seither dem Ruf nach Wien, mit manchen Podiumsdiskussionen wich man an die Universität aus, ins Kunsthistorische Museum, ins Alte Rathaus oder in die Orangerie des Schlosses Schönbrunn, ebenso gab es Gastspiele in Rom, Budapest und Luxemburg.

Nachbereitet werden die Einzelreferate vom Wiener Picus-Verlag. 34 Redetexte sind bisher als Buch erschienen, fünf weitere im Druck, fünf in Vorbereitung, diese Bibliothek der „geistigen Situation der Zeit” wächst ständig an, bibliophile kleine Büchlein zu 50 Seiten und

Stückauflagen von etwa 3.000 sind es, meist versehen mit einem Tiefen-Interview zwischen Ehalt und dem Vortragenden im Anhang. Der junge Verlag sieht diese Bücher als „Einstiegshilfe in ein kompaktes Sachgebiet des Redners”. Vor allem der Spottpreis von 98 Schilling und die individuelle optische Gestaltung machen die Reihe sehr sympathisch. Paul Watzlawicks „Vom Unsinn des Sinns oder vom Sinn des Unsinns” verkaufte sich in der dritten Auflage immerhin zwölftausend Mal.

Paul Watzlawick, der 1921 geborene Villacher Psychologe und heutige Stanford-Professor, wird am 20. April 1995 wieder in Wien vortragen. Den nächsten Termin kann man sich für den Evolutionstheoretiker und Biologen Bupert Biedl vormerken: 21. Februar 1995, 19 Uhr.

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