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Genie oder Scharlatan?

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Viele Leute huldigen ihm als einem der bedeutendsten Maler der Gegenwart, andere dagegen sehen ihn als einen dekadenten Popanz, Scharlatan oder gar Betrüger: Pablo Picasso. Kenner debattieren mit großem Ernst, Koterien streiten sich über ihn. Ein Gemälde, vor dessen „dynamischer Kraft“ Picassos Anhänger vor Ehrfurcht vergehen, ist für seine Gegner nichts als ein „scheußliches Geschmiere“. Inmitten seiner Freunde und Feinde und den Wortführern beider Lager hat sich Picasso zum meistdiskutierten Maler gemacht und obendrein zum Millionär. Ob nun Genie oder Scharlatan, er ist zweifellos der Potentat der modernen Malerei, und zwar mit solcher Vehemenz, daß die Polizei bei der Pariser Gemäldeausstellung 1944 für seine Bilder Wache stehen mußte.

Von seinen Freunden Pablo genannt und Picasso von der übrigen Welt, wurde er (fast vor 70 Jahren in Malaga) Pablo Diego Jose Francisco de Paule Juan Crispin Crispiano de la Santissima Trinidad Ruiz-Picasso getauft. In diesem Katalog von Namen — ein Zeugnis für den starken Glauben und die engen Familienbande seiner Eltern — ist Ruiz sein Vatername, Picasso der Nachname seiner Mutter. Sein Vater war Kunstgeschichtslehrer in Barcelona, Pablo dort einer der begabtesten Schüler an der Kunstschule und später an der Königlichen Akademie in Madrid. Noch nicht neunzehn, wurde er nach Paris geschickt. Dort blieb er, und wenn auch nicht naturalisierter Franzose, so entwickelte er sich doch zu einem der prominentesten Pariser.

Seine mageren Jahre sind längst vorüber. Schon kurz nach dem ersten Weltkrieg lebte er in großem Stil in der gleichen Straße wie der Präsident der Republik, kaufte seiner Frau, der russischen Ballettänzerin Olga Koklova, einen „Hispano - Suiza“, damals der teuerste Wagen auf dem Kontinent. Jetzt wohnt er sechs Stock hoch im Quartier Latin. Nachdem er Kommunist wurde, ist er unzugänglicher als selbst der Präsident der Republik und hat das exzentrische Schild „Ici“ (Hier) über der Klingel seiner Wohnung entfernt. In den Vorzimmern, die ein Chaos von Unordnung sind, warten jeden Morgen ein Dutzend Leute auf die Ehre, von ihm empfangen zu werden; da er künstliches Licht wegen seiner Gleichmäßigkeit vorzieht, arbeitet er erst am späten Nachmittag.

Picasso muß ein Alpdruck für Museumsdirektoren sein, da es keine Bilder von ihm gibt, die seinen Stil „typisch“ repräsentieren. Ob nun sein ruheloser Geist auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen ist (wie seine Anhänger erklären), oder sein geübter Blick für Notorität, um seinen Namen dem Publikum dauernd vor Augen zu halten (wie das von seinen Gegnern behauptet wird), jedenfalls hat Picasso seinen Stil und seine Technik ebensooft wie überraschend gewechselt. Zuerst kam seine frühe Periode unter Einfluß von Lautrec, dann die „ ,blaue' Periode, dann die ,rosa', dann die .grünen' Jahre“. Er hat eine klassische Phase von 1918 bis 1924, in der er griechische Köpfe malte, im Gegensatz zur „Kno-chen“-Periode, wo alle Figuren eckig und knöchern aussahen, oder eine „Neger“-Periode, in der seine Entstellungen einem Hexensabbath glichen; er war auch Kubist und Surrealist. Kein anderer Maler hat an solch „kultureller Schizophrenie“ gelitten wie der Mann, der Frauen mit zwei Gesichtern gemalt hat und in so verzerrter Anatomie, daß man nicht einmal mehr raten kann, wo die Glieder hingehören. Derselbe Mann kann aber Zeichnungen vorweisen, die in ein paar meisterhaften Strichen alles umfassen, was Bewegung, Sinn und Schönheit bedeutet.

Der Amerikaner, der mit darauf Anspruch erheben kann, Picasso entdeckt zu haben (der Bruder der verstorbenen Gertrud Stein, daher auch die vielen guten Picassos seiner besten Periode in amerikanischen Galerien), hat einmal zusammenfassend sehr treffend über ihn gesagt: „Er würde ein wirklich großer Maler geworden sein, wenn er echter gewesen wäre — so ist er nur ein außergewöhnliches Phänomen.“

Er malt — und gebärdet sich — wie er fühlt. Wenn man die Bemerkung macht, daß seine Bilder unlogisch sind, ist seine Entgegnung, daß das Leben selbst keine Logik hat. Wenn er anfängt zu malen — sagt er —, hätte er keine Vorstellung von dem, was er malen wird, nicht einmal über die Wahl der Farben.

Einmal beim Malen — so fährt er fort, — schafft er unentwegt weiter, ohne darauf zu achten, was sich entwickelt. Es wäre sinnlos, ihn zu fragen, seine Schöpfungen zu erklären. Er zuckt die Achseln und läßt es bei der Bemerkung: „Ich kann meine eigenen Regeln bezüglich der Ähnlichkeit machen.“ Das mag ihn zufriedenstellen, aber der Besucher tappt dennoch dabei im dunklen.

Man kann darüber debattieren, ob auch sein oft publizierter übertritt zum Kommunismus vielleicht nur eine der Ähnlichkeiten ist, wie e r sie sieht. Er wurde aus seiner Abneigung gegen Franco geboren, die er in heftigster Weise in seinem bekannten Bild „Guer-nica“ zum Ausdruck brachte, das auf der Pariser Weltausstellung 1937 im Pavillon der loyalistischen Spanier zur Schau stand. Sein Entsetzen über die Bombenangriffe kommt in grauenhafter Weise durch ein Chaos von Augen und Gliedern auf der Leinwand zum Ausdruck. (Während des Weltkriegs gab er bei der Besetzung von Paris jedem deutschen Offizier oder Soldaten, der den „Meister“ besuchte, eine Abbildung der „Guernica“ zur Erinnerung mit.) In seinem Lebensstil ist er jedenfalls ein vollkommen undogmatischer „Kamerad“, seine kleinsten Zeichnungen kosten 100.000 Francs und, obwohl er in großem Tempo arbeitet, haßt er es, sich von seinen Bildern zu trennen.

Vor drei Jahren, als er seine Ferien an der Riviera verlebte, entdeckte er das Städtchen Vallauris. Er baute sich ein kleines Bauernhaus, um dort mit Kind und Frau (die selbst anerkannte Malerin und sehr viel jünger als Picasso ist) zu leben und zu arbeiten. Vallauris, wo die Töpferei zu Mause ist, kann das Herz jedes Künstlers entzücken mit seinen grünen Dachziegeln auf biskuitfarbenen Häusern, Geranien an den Balkons und ziegelroten Gartenmauern, mit Rosen berankt. Es ist ein Städtchen inmitten von Blumen und Orangenbäumen, Rosen und Jasmin, umgeben von kaktusgrünen Hügeln unter azurblauem Himmel; Picasso erschien dort eines schönen Tages in einer Töpferei, um einen Ochsen zu modellieren. Er blieb zwei Jahre. In seinen Keramiken findet man nichts von der Problemhaftigkeit seiner letzten Bilder. Obwohl ich mir in bezug auf moderne Picassos wie der Kaiser von Andersens Märchen, „Des Kaisers neue Kleider“, vorkomme, war ich sofort von der lebendigen Kraft seiner Formen und den warmen Farben (die durch die Glasur noch an Glanz gewinnen) eingenommen. Er gibt nur wenige der Keramiken zum Verkauf frei, aber diese haben sozusagen einen ausgezeichneten Stammbaum. Man kann ihnen seinen Spaß an der Töpferei anmerken, darunter die in guter Gesellschaft nicht zu nennenden „Vasen“, die er mit Karikaturen seiner Feinde versehen hat, komplett mit Schlips und Kragen — und an den Ohren hochzuheben!

Vierschrötig und kräftig gewachsen, steht er mit seinen sandalierten Füßen fest in der Welt, sein Gesicht und Körper sind braungebrannt wie Mahagoni, ebenso wie sein kahler Kopf, der nur noch einen Rand kurzgeschnittener, weißer Haare hat. Die dunklen Augen haben eine scharfsinnige Wachsamkeit, fast wie die eines Tieres, tiefe senkrechte Furchen ziehen sich an der für den Spanier typischen Nase entlang. Ein El-Greco-Porträt: ein Drittel Asket, ein Drittel Inquisitor und das letzte Drittel ein Mann der Welt.

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