Gestohlene Generationen

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Australiens Ureinwohner fühlen sich durch die Politik der konservativen Regierung im Kampf um ihre Rechte um Jahrzehnte zurückgeworfen.

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Australiens Ureinwohner fühlen sich durch die Politik der konservativen Regierung im Kampf um ihre Rechte um Jahrzehnte zurückgeworfen.

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In einer historischen Entscheidung wurde Eddie Mabo als erstem indigenen Bewohner Australiens Recht auf das Land seiner Ahnen und seiner Familie zugesprochen. Das war 1992, also 204 Jahre nach der Besiedlung durch die Briten. Damit erkannte der australische oberste Gerichtshof zum ersten Mal an, daß Australien zum Zeitpunkt der britischen Okkupation im Jahre 1788 kein unbesiedeltes Land war. Seither ist der sogenannte "Native Title" einklagbares Recht: Aborigines können auch vor weißen Gerichten ursprüngliche Landrechte einfordern. Die australische konservative Regierungskoalition versucht derzeit, diese Rechte der Aborigines zu untergraben.

Der "Native Title" besteht dort weiter, wo heutige Generationen eine traditionelle Verbundenheit mit dem Land nachweisen können, die schon vor der britischen Annexion bestanden hat und bis dato ununterbrochen aufrecht geblieben ist. Auch können Ansprüche nur auf öffentliches Land gestellt werden; Land, das im Privateigentum steht, ist davon ausgeschlossen. Für das australische Rechtssystem stellte die Anerkennung indigener Landrechte eine große Herausforderung dar, weil man lernen mußte, Ansprüche, die aus dem Rechtssystem der Aborigines erwachsen, innerhalb des herrschenden Gerichtswesens durchsetzbar zu machen. Außerdem entstanden viele Unsicherheiten betreffend des Geltungsumfangs des "Native Title". 1996 vertrat der oberste Gerichtshof die brisante Auffassung, daß der "Native Title" auch auf zum Zweck von Bergbau oder Land- und Viehwirtschaft verpachtetem öffentlichen Land weiterbestehen kann. Das bedeutete gerade für ländliche Gebiete Australiens die Chance, eine neue Basis des Zusammenlebens von Schwarz und Weiß zu finden.

Landrechtsdebatte Doch ist die amtierende konservative Regierungskoalition gerade im Begriff, diese einmalige Chance zu verspielen. Unter dem Druck der Viehzüchter- und Bergbaulobbies, die zu ihrem Stammwählerpotential zählen, hat sie eine neue Gesetzesvorlage erarbeitet. Diese soll nicht nur die Entscheidung des obersten Gerichtshofes abschwächen, sondern beinhaltet auch andere Elemente, die eine klare Diskriminierung von Aborigines darstellen. So zum Beispiel die starke Einschränkung des Rechts der Aborigines, in Fällen der Weiterentwicklung von verpachtetem Land, auf dem der "Native Title" besteht, mitzuverhandeln. Auch soll der Prozeß für die Beantragung des "Native Title" erschwert werden. Schließlich müssen alle Anträge innerhalb einer bestimmten Frist eingereicht werden, sonst erlischt der "Native Title" für immer. Inzwischen hat die Gesetzesvorlage das Repräsentantenhaus passiert, in dem die Regierungskoalition die Mehrheit hält, und wurde dem Senat vorgelegt. Dort hat sich die Opposition unter Führung der Labour Partei bis dato strikt gegen die rassisch diskriminierenden Passagen dieses Gesetzes ausgesprochen und ihre Abänderung erwirkt. Die Regierung lehnt diese Änderungen jedoch ab und droht mit Neuwahlen. Im März soll die Gesetzesvorlage noch einmal vor den Senat gebracht werden.

Daraus läßt sich ersehen, was für eine politische Brisanz die Landrechtsdebatte für Australien erreicht hat. Unter der indigenen Bevölkerung Australiens hat sie Angst hervorgerufen, daß sich die Geschichte wiederholt und sie wieder ihre Rechte verlieren könnte. Pat Dodson, der frühere Vorsitzende des "Council for Aboriginal Reconciliation", der von Premierminister John Howard abgesetzt wurde, weil er seine Meinung in der Landrechtsdebatte offen äußerte, sagte: "Wenn Ihr den Aborigines ihr Land nehmt, sprecht Ihr ihnen damit nicht nur ihre jahrtausendealten Landrechte ab, sondern Ihr stellt damit ihre Daseinsberechtigung in Frage. Es ist, als ob Ihr von neuem sagen würdet: Euch gibt es eigentlich nicht."

Deshalb hat es sich das "Council for Aboriginal Reconciliation" zur Aufgabe gemacht, die Öffentlichkeit über die diskriminierende Politik der Regierung zu informieren. Das Council wurde 1991 von allen Parteien einstimmig ins Leben gerufen, um den Weg für die Wiederversöhnung von Schwarz und Weiß zu bereiten. Noch vor seinem Rücktritt im November stellte Pat Dodson bitter fest, daß die Regierung nicht mehr bereit ist, diesen Weg mitzugehen. Statt dessen ist es zu einer starken Polarisierung der Meinungen gekommen. Auf der einen Seite haben mehr als 100.000 Australier eine Erklärung unterschrieben, daß sie für die volle Beibehaltung des "Native Title" sind. Als Symbol dafür wurde an jenem Tag, an dem die Gesetzesvorlage der Regierung dem Senat vorgelegt wurde, für jede Unterschrift eine Plastikhand in den Rasen vor dem Parlament gesteckt. Andererseits haben besonders die Lobbies der Landwirte und Viehzüchter die völlige Aufhebung des "Native Title" gefordert.

Symptomatisch für das sich verschärfende Klima zwischen Schwarz und Weiß ist auch, daß die Regierung mit Ende Jänner die "Aboriginal and Torres Strait Islander Social Justice Commission" aufgehoben hat. Als Teil der australischen Menschenrechtskommission hat gerade diese Organisation in den letzten Jahren Nachforschungen über das Schicksal von indigenen Kindern, die durch staatliche Zwangsmaßnahmen von ihren Eltern getrennt wurden, durchgeführt. Ihr Bericht, in Australien weithin als "Stolen Generations Report" bekannt, wurde im Mai 1997 dem Parlament vorgelegt. Viele Menschen haben sich bereit erklärt, öffentlich von ihrem Schicksal zu erzählen, obwohl das auch bedeutete, sich von neuem mit dem Trauma der Entfremdung von Familie und Kultur auseinanderzusetzen: Staatliche Institutionen hatten besonders Mischlingskinder mit dem bloßen Argument, ihnen einen besseren Halt in der weißen Kultur geben zu wollen, in ihre Obhut genommen oder zur Adoption an Familien europäischer Abstammung freigegeben. Heute weiß man, daß diese Regierungspolitik über mehr als fünf Generationen hinweg fast jede indigene Familie Australiens mindestens einmal direkt betroffen hat. Der resultierende Schmerz und die Entfremdung machen noch der heutigen Jugend zu schaffen. Dennoch weigerte sich die Regierung, eine offizielle Entschuldigung abzugeben.

Fällige Entschuldigung In seiner Rede zu diesem Thema sagte der Minister für indigene Angelegenheiten: "Eine Entschuldigung kann nur von denen abgegeben werden, die schuldig sind. Oder sollen sich etwa die Briten entschuldigen, daß sie mit Sträflingen nach Australien gekommen sind." Diese Aussage erweckt den Anschein, daß die Praktik, indigene Kinder an weiße Familien zur Adoption freizugeben, der Vergangenheit angehört. Der "Stolen Generations Report" zeigt aber klar, daß selbst heute unproportional viele indigene Kinder, mit der Begründung, sie wären durch ihre Eltern vernachlässigt, unter staatliche Fürsorge kommen. Dabei wird nur zu oft übersehen, daß gerade bei Aborigines andere Verwandte dort, wo sich aus ihrem System des Zusammenlebens die Verpflichtung oder die Notwendigkeit ergibt, die Verantwortung für diese Kinder übernehmen. Der oben genannte Minister meinte auch: "Eine Entschuldigung ist nicht möglich, weil sie die Stellung der Regierung schwächen würde." Anders viele Institutionen, wie die verschiedenen Kirchen, die diese diskriminierenden Praktiken unterstützt hatten: Sie gaben offizielle Entschuldigungen ab. Weiters forderten viele kirchliche Würdenträger die Regierung auf, zu einer Entpolarisierung der Landrechtsdebatte beizutragen. Daraufhin hat ein Mitglied der National Party, die Teil der Regierungskoalition ist, zu einem Boykott der Kirchen aufgerufen, da sie mit ihren Äußerungen die Interessen der Landbevölkerung gefährden würden.

Vereintes Australien Seitens älterer Führer und Respektspersonen der indigenen Bevölkerung hört man oft die bedrückende Aussage, daß die Politik der letzten zwei Jahre sie im Kampf um ihre Rechte um 20 Jahre zurückgeworfen habe. Der Generalgouverneur und somit der direkte Stellvertreter von Queen Elisabeth II., Sir William Deane, meinte in einer Rede, daß ihm nichts anderes übrig bleibe, als für seine Nation zu weinen, wenn diese Regierungspolitik fortgesetzt werde. Australien entwickle sich zu einer entzweiten Nation, wenn es sich nicht auf die Vision des "Council for Aboriginal Reconciliation" zurückbesinne: "Ein vereintes Australien, das unser Land respektiert, das kulturelle Erbe der Aborigines und Bewohner der Torres Strait schätzt und Gerechtigkeit und Gleichbehandlung für alle garantiert."

Die Autorin hat 1997 einen Studienaufenthalt an der Sydney University absolviert. In Australien besuchte sie auch zahlreiche Konferenzen zum Thema indigene Rechte. Sie plant ihre Dissertation über die Rechtssysteme der Aborigines unter Betreuung der Arbeitsgruppe für Rechtsanthropologie am Juridicum in Wien.

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