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GIBT ES „TIROLER“ ARCHITEKTUR?

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Bis heute habe ich es mir nicht abgewöhnt, das von mir zu entwerfende Bauwerk dem Stadt- und Landschaftsbild in Ausmaß und Grundhaltung anzupassen“, so bekennt Clemens Holzmeister. — Erpfendorf war Holzmeisters erster Kirchenbau nach dem Krieg in Tirol. In einem Bericht und Kommentar im Kitzbühler Anzeiger hieß es:

„Kernig ist hier die ganze Gegend: Die Berge und Taler, die prächtigen Häuser und Höfe und unter ihnen nun Holz- meisters neue Kirche. Sie ist geistig, stofflich und ihrer Erscheinung nach unmittelbar verwachsen mit dieser Umgebung. Echt und klar, herb und sinnvoll: das ist die Haltung, die das Gotteshaus verkörpert.“

In wenigen Sätzen ist damit eine Szene und eine Haltung Umrissen, die man kennen muß, um auch die jüngsten Bauten Holzmeisters insbesondere in Tirol zu verstehen. Er hat sich dort stets betont als Tiroler unter Tirolern gegeben, und auch seine Bauten sieht er wesentlich geprägt durch diese Landschaft. Der Kritiker wird fragen müssen, ob diese Sicht zutrifft. Wir wissen ja von anderen Künstlern, daß sie selbst die schlechtesten Interpreten ihres eigenen Werkes waren. Wird man dem Architekten Holzmeister gerecht, wenn man an seinen Bauten das „Tirolerische“ würdigt?

Die Skepsis gegenüber den Postulaten eines „Heimatstils“ ist zusammen mit dem Anliegen der Bewahrung echter bodenständiger Kulturtradition selten so deutlich zum Ausdruck gekommen, wie in der ersten Nummer der neuen Tiroler Kulturzeitschrift, die unter dem Namen „Das Fenster“ erscheint und mit einer Architektenumfrage nach dem Stand der Baukultur in Tirol diese Problematik aufgreift. Die Antworten sind entsprechend deutlich ausgefallen. Eine Reihe von Architekten sind gar nicht gut zu sprechen auf die „sogenannten Tiroler Häuser, die mit einer echten Baugesinnung wenig zu tun haben“. Man bedauert, daß für den fremden Gast, der sich nach dem Ausdruck echten Tirolertums sehnt, vielfach verkitschte Pseudotradition präsentiert wird (Henrich). „Die Verhäuselung als das verlogene Spiel mit ländlichen Attrappen“ (Heltschl) ist ein Symptom, für das von den Architekten ein Großteil der Schuld dem Bauherrn angelastet wird. Das ist die; Situation, in der Holzmeister unverdrossen das Wort „tirolerisch“ gebraucht, ohne sich um die Mißverständnisse zu kümmern, die bei manchen eine solche Ausdrucksweise erweckt. Hier gründen auch manche der Meinungsverschiedenheiten zwischen Holzmeister und der jüngeren Generation der Architekten.

Ich setze voraus, daß niemand mehr die Thesen des „Heimatstils“ im Sinn der zwanziger und dreißiger Jahre ernstlich noch vertritt. So möchte auch ich glauben, daß die Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten und im gewissen Sinn auch die damit gegebene „Anpassung“ zu den Grundproblemen der Architektur gehört, die immer wieder erörtert werden müssen. Freilich wird man gerade beim Kirchenbau immer auch fragen müssen, wieweit eben der Bau selbst Landschaft prägt oder zu ihr in eine lebendige Spannung tritt. — Dennoch sei es erlaubt, zu der Formelhaftigkeit, mit der immer wieder von einem „tirolerischen Charakter“ der Architektur und insbesondere der Bauten Clemens Holzmeisters gesprochen wird, doch ein Fragezeichen zu setzen. Wenn wir heute in die Fachkritik hineinhorchen und fragen, wann und wo die besten Bauten entstanden sind, die Holzmeister geschaffen hat, dann muß man jedenfalls beim Kirchenbau auch auf die Zeit um 1930 verweisen und auf so einmalig schlichte und wohlproportionierte Anlagen wie das Franziskanerkloster in Hermeskeil im Hunsrück oder auf die Kanzlerkirche am Vogelweidplatz in Wien. Sieht man eine

Zusammenstellung der Kirchenbauten durch, so muß man sagen: trotz des Versuches, sich tirolerisch zu geben, ist Holzmeister auch hier in seiner engsten Heimat Bedeutsames gelungen. Seine allerbesten Werke liegen aber gerade nicht in Tirol. So erhebt sich die Frage, ob nicht auch dieser große Meister dem zwielichtigen Postulat der „heimatlichen Anpassung“ seinen Tribut zollte. Wenn also hier von Kirchenbauten Holzmeisters in Tirol die Rede sein soll, dann will ich hier das Architektonische an seinen Bauten hervorheben, nicht das Tirolerische. Und wenn man Holzmeister als Tiroler ken- nenlemen will, dann muß man nicht nur auf seine Bauten, sondern auf die Persönlichkeit sehen, die hinter ihnen steht und zu der wesentlich die tiefe Verbindung mit der Alpenlandschaft, den Wohn- und Lebensformen Nord- und Südtirols gehört, wie sie sein Freund Gottfried Hohenauer wiederholt gewürdigt hat (vgl. Der Schiern 40, 1960, 211 ff.).

Die schon erwähnte Kirche in Erpfendorf (1956) wird bei der Architektenumfrage in Tirol nach so vielen Jahren, die seit ihrer Planung vergangen sind, von einer Reihe Tiroler Architekten immer noch als eine der bemerkenswertesten Bauten in Tirol anerkannt. Das heißt nicht, daß man der Meinung wäre, heute noch in dieser Weise bauen zu können. Jeder Bau entsteht unter konkreten räumlichen und zeitlichen Bedingungen. Holzmeister selbst hat von Bau zu Bau die Entwicklung mit vorangetrieben. Das heißt auch nicht, daß Erpfendorf als liturgisch ideales Raumkonzept anzusehen sei. Aber in dieser einfachen Kirche spricht sich eine abgeklärte Baugesinnung aus, ein Gespür für Maßstab und Abstimmung aller Teile aufeinander. Auch ist in Erpfendorf gleich das Programm angeschlagen, das fast alle weiteren Kirchen bestimmt: Der Dachraum wird ausgenützt und der Dachstuhl gezeigt. Ihm wird seine Schwere genommen durch waagrecht laufende schmale Fensterbänder über der Wandzone. Für die Gesamtwirkung des Raumes ist die Mitarbeit des Malers in Rechnung gestellt. In Erpfendorf ist besonders glücklich das von R. K. Fischer gestaltete kleine, im Schatten der Rundnische liegende Mosaikbild des Lammes, das dem farbig grünen Raum eines Kristalls in leuchtend gelben Konturen eingeschrieben ist.

Die Kirche St. Georg-Allerheiligen (1965) steht über der Westeinfahrt nach Innsbruck wie eine Gottesburg am Hang. An der dem Tal zugewandten Schauseite zeigt sich die bei Holzmeister häufig anzutreffende Maßstabssteigerung des Baukörpers durch blockige Auftürmung der Bauteile, die sich meines Erachtens nicht sosehr von der Landschaft und Umgebung her verstehen läßt, sondern aus dem Sinn für das architektonische Gefüge von Massenkörpern, in dem verschieden große Raumformen des Inneren sich nach außen Umsetzen. In Hötting sind die Stiegenläufe und die Chornische nach außen zum Ausdruck gebracht und geben mit Beziehung auf den mächtigen niedrigen Turmkörper, in dem innen etwas zu hoch der Sängerchor liegt, eine wirkungsvolle Dimensionssteigerung. Die Baukörper erscheinen auf diese Weise durch Schatten kräftig modelliert, worauf es Holzmeister immer angekommen ist, wie es in den meisterlichen Handskizzen des Architekten abgelesen werden kann. Zwar wurde dieses Prinzip von ihm oft im Sinn einer Monumentalisierung des Baukörpers verwendet. Dem wird gerade im Kirchenbau heute nicht jedermann zustimmen können. Aber dieses Bauen im Spannungsgefüge einer komplexen Raumgruppe ist als Prinzip nicht an die Größe des Ausmaßes gebunden, wie schon Holzmeisters Bauten in Hermeskeil und in Wien am Vogelweidplatz zeigten. Das beweist auch die erst jüngst vollendete Waldkapelle Maria-Himmelfahrt zu Ehren des heiligen Pontianus in der neuen Siedlung Bairbach bei Telfs in Oberinntal (1966). Auf dem Quadrat von nur sieben Meter Seitenlange erhebt sich die Votivkapelle wie ein Pilz aus dem

Wald. Stiegenlauf mit Brüstung und Eingangspartie in der Ecke geben dem unter der Dachpyramide liegenden blockförmigen Raumaufbau eine stark plastische Note. Der Umgang ist vorspringend um den quadratischen Sockel herum angelegt. Der Baukörper erinnert dadurch an eine aus dem Boden herauswachsende dichte Knospe. Licht spendet von rückwärts ein Rundfenster. — Der quadratische Grundriß ist hier kennzeichnend. Von dieser Möglichkeit sprach Holzmeister schon 1929 in einem Artikel in der Zeitschrift „Kirchenkunst“. Bemerkenswert war in dieser Hinsicht die Erweiterung der Kirche in Untermais bei Meran (1933 bis 1936). In der Folgezeit hat sich Holzmeister leider gerade in Tirol nicht mehr so stark um eine den neuen liturgischen Erkenntnissen folgende Raumordnung bemüht, sondern zum Teil in „Anpassung“ an die Wünsche mancher Vertreter des Tiroler Klerus am Konzept des Langhausraumes festgehalten. Das Schiff wird auf einen meist übertrieben ausgesonderten und zu stark erhöhten Altarraum hinausgeführt.

Die neue Kirche in Navis bei Matrei am Brenner wurde von Holzmeister neben der alten Barockkirche erbaut (1966 bis 1967). Sie zeigt erstmals wieder einen Versuch im Sinn der breiten Anlage. Von der Bankordnung her ist diese Kirche bemerkenswert, wenn auch die Konsequenzen für den Altarraum nicht entschieden genug gezogen wurden und die Einrichtungsstücke in diesem Bereich zu beengend mit dem Altarraumhintergrund verbunden bleiben, in dem abgesehen von der Tücherdekoration schon durch die monumentale Übereinanderreihung von Tabernakel und Kęeuzigungs- gruppe kein dieser Bankordnung entsprechendes Raumkonzept gelungen ist. Vorbildlich ist hier jedoch die Abstimmung der Baumasse auf den Bestand der alten Kirche. Es ist eine gute Zuordnung gelungen. — Der Sinn für solche Maßstabsbeziehungen ist für Holzmeisters Schaffen kennzeichnend und findet sich auch bei einigen jungen Architekten, die durch die Schule des Meisters gegangen sind. Sie lernten von ihm, anstatt modischer Effekte einer marktschreierischen „Zeltarchitektur“ aus dem ursprünglichen architektonischen Prinzip heraus zu schaffen, das er selbst wegweisend überall dort demonstrierte, wo es ihm gelang, klar gestufte Raumgruppen in eine sinnvolle Beziehung zu bringen.

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