6697873-1963_15_12.jpg
Digital In Arbeit

GLASGEMÄLDE FÜR JERUSALEM

Werbung
Werbung
Werbung

Die Meister unserer heutigen Kunst, die ohne zu erlahmen siebzig Jahre alt wurden, streben einer nach dem andern Xu den großen Und größten Formaten. Sie sind fast ausnahmslos an die Ausschmückung ganzer Wände gegangen. Fernand Legers Kunst hatte früh schon den Zug zum Monumentalen, ihr bot die

Symbole des Stammes Dan breite Wand wie selbstverständlich Erfüllung und Höhepunkt. Picasso, der alles kann und dem nichts ganz mißlingt, hat sich an der Wand versucht, ohne viel Beifall einzuheimsen, wie ein Blick auf sein Wandgemälde im neuen UNESCO-Palast schlagend beweist. Daß aber ein Interieurmaler wie Braque, dessen Bilder diskret und tausendfach gediegen nach geradezu mittelalterlicher Weise, in seinen alten Tagen mit einer Gewölbedecke im Louvre sich jahrelang beschäftigte, hat viele Kunstliebhaber überrascht. Chagall, der Traumspieler mit Esel und Hahn, wurde von der Jerusalemer Universität verlockt, gleichfalls zum Monumentalen überzugehen. Die Synagoge der neugeschaffenen Hochschule sollte er ausschmücken, doch nicht mit Leinwänden, sondern mit Glasgemälden. Bemalte Fenster, einst die Entdeckung und die Gipfelkunst christlicher Kirchenkunst, sollen nach dem Wunsch der Erbauer das jüdische Gotteshaus von heute zieren. Die Schwierigkeiten für den Künstler sind Legion, geht es doch darum, eine bildfeindliche Religion mit dem Bild zu versöhnen, und darum auch, daß er, der sein Leben lang in seinem Traum eingesponnen lebte und aus ihm heraus schuf, Sinnbilder der anderen gestaltet, dies mit Elementen gerade seines Traums. Eine Aufgabe so voller Unvereinbarkeiten hat sich heute noch keinem Künstler gestellt. Das Ergebnis hat das Pariser Publikum in einer Ausstellung im Tuileriengarten als erstes beurteilen können. Darnach waren die zwölf Scheiben in New York, ehe sie im kuppeligen Obergeschoß der Universitäts-eynagoge den zugedachten Platz fanden.

Dem Pariser Beschauer bot sich ein falsches Bild, denn er stand diesen vier Meter hohen, rundbogigen Fenstern auf gleicher Höhe gegenüber. Er betrachtete sie wie ein Kunstwerk, ein durchsichtiges Tafelbild etwa, und konnte den Raumeindruck nicht dazurechnen. In jedem Fall wird er über den religiösen Gehalt nicht sprechen können, selbst wenn er die Symbolik der Fenster (deren jedes einem der zwölf biblischen Stämme Israels gewidmet ist) entziffert. Er wird indes gerade in dieser Symbolik dem Vertrautesten in Chagalls Schöpfung begegnen, den Eseln, Lämmern, Hähnen, die in entrückter Frömmigkeit sein Werk von Anfang an bevölkerten. So erkannte er das Arsenal dieser Einbildungskraft wieder, die seit über 50 Jahren in wenig veränderter Form sich ausspricht. Und dennoch fand er etwas Neues vor diesen gewaltigen Scheiben, das Chagalls Kunst im Kern nicht verwandelt, aber doch anders beleuchtet.

Ein Glasmaler bemalt nicht mit Farbe und Pinsel ein Fenster, sondern baut mit Glasteilen, in die die Farbe eingebrannt ist, ein Bild auf. Malerische Eigenschaften treten zurück vor dem Anspruch der Scheibe, auf Wirkung in die Weite komponiert und zusammengesetzt zu werden. Da tritt denn ein neues Element auf, das jeder Leinwand fremd ist: die Bleifassung. Sie verklammert die Teile zum Ganzen, baut aus Farbscherben das Gemälde auf.

In der Pariser Ausstellung konnte jeder Betrachter dessen gewahr werden, wenn er die gemalten Entwürfe zu jedem Bild mit der ausgeführten Glasfassung verglich. Der Entwurf ist dabei keine eilige Skizze, sondern ein auf seine Weise komponiertes Ölbild oder Aquarell. Er scheint, man möchte sagen, privat, wie ein Spiel mit Phantasiegebilden, deren Anordnung und Vereinigung ausprobiert wird. Ja, selbst wo sie endgültig ihre ausgewogenste Form gefunden hat, bleibt diese Vorstufe Schöpfung einer freien Einbildungskraft, die in sich selbst ihren Reichtum hat und deren Gebilde stets wandlungsträchtig erscheinen. Das Glasfenster jedoch steigert Motiv und Formen ins Repräsentative, das unverrückbar vors Auge tritt und verbindlich, weil änderungslos. Dies Widerspiel von fließender Bildgestaltung auf der Leinwand und monumentaler Fixierung auf dem Glas ist besonders bei Chagall deutlich zu erkennen, da ihm das weithin Sichtbare bisher fremd war. Seine Welt war kaleidoskopisch, d. h. immer gleich, nur in der Ausstattung, nie im Ton wechselnd. Wer ein typisches Bild von ihm gesehen hat, erkennt auch die nie gesehenen gleich wieder, da sie sich gleichen, ohne etwas gemeinsam haben zu müssen. Anders die Glasfenster für Jerusalem. Da tritt ein formales Element neu hinzu: die schwarze Einrahmung des Bleies. Sie unterbricht das Malerische, schiebt die Farbflecken gegeneinander und legt über die weichen Farbbahnen so etwas wie ein straffendes Muskelfasernetz. Das schwarze zusammenpressende Geflecht erinnert in seiner Wirkung an ein Konstruktionsprinzip des Kubismus. In der Tat hat Chagall hier im hohen Alter zu jener „Versklavung durch Geometrie“ Zuflucht genommen (oder wurde sie ihm durch die Technik des Glasbrennens aufgezwungen?), die er ein Leben lang gemieden hat. Unzweifelhaft ist jedoch, daß seiner Komposition diese Straffung gut bekommen ist. Ihre träumerische Weichheit wurde gleichsam muskulöser.

Doch nicht, daß er diese Weichheit im Grunde verloren oder aufgegeben hätte! Der Charme, der seine Bilder von jeher durchwaltet, ein Zauber, gespeist von tiefster Hingabe ans Unlogische und Naive, findet sich auch in seinen Glasgemälden, ja verstärkt und strahlender, da ihn das Licht nun weitet. Soviel Einschränkung manchmal die figürliche Überladung heraus fordert, soviel Zustimmung und Hingerissenheit lösen bei den unzähligen Besuchern die Farben aus. Vor diesem satten Blau und dunkelblütigen Rot, vor diesem lachenden Gelb und abendlichen Grün verstummt jede Beschreibung. Noch nie erlebte man so stark und unwiderlegbar die Wahrheit von Claudels Wort, der agte: „Das Auge hört.“ Tatsächlich, es sieht Farbflecken und hört Musik jeder Art. Im Zusammenklang von Sehen und Hören liegt wohl ein Grund der zauberhaften Leichtwerdung, die uns Beschauern zuteil wird. Da offenbart sich wohl, wort- aber nicht tonlos, das Numinose, das nicht mehr nach Kunstwert fragt, sondern gleich den Gedanken eingibt: dies immaterielle Leuchten kann nur für Höheres zeugen. Gleiches hatten die unbekannten Meister im Sinn (und in den Sinnen), als sie die Kirchen mit Lichtgluten erfüllten. Daß wir ähnliches als Schöpfung von heute zu sehen bekommen, zeugt abgesehen von der hohen Kunst, auch davon, daß in der Tiefe unserer materialistischen Zeit sich immer noch Kräfte regen, die über sie hinausgehen in die Freiheit und Heiterkeit außerhalb des rational Zweckgebundenen. In dieser Farbenmusik klingt eine Religion auf, in der alles im Gleichgewicht ist: Vernunft und Gefühl, Zweifel und Ahnung. Nur das Dunkel fehlt; das, was wir jede Minute durchleben, was die Besucher jenes Gotteshauses in Jerusalem qualvoll erfahren mußten. Wie denn auch nur die Kreatur und das All in ihrem Abbild auf den Fenstern erstrahlen: Menschengesicht wiederzugeben ist in der Synagoge verpönt. Die Sinnbilder der Stämme Israels: Königsburg, Fischbeute oder Eselscharen, künden von der frühen Welt biblischer Wirklichkeit; die Farben, unirdisch vom Glas ausströmend, führen erst in die Transzendenz.

Es ist eine Tatsache, daß die uralte Kunst der Glasmalerei in unseren Tagen erneut einen Aufschwung nimmt. In Deutschland und Frankreich vor allem, wo Kirchenbauten aus den Ruinen wiederzuerrichten waren, entwickelte sich ein heutiger Stil der bemalten Scheibe. Die Bemalungsatt des letzten Jahrhunderts wurde aufgegeben, sie war dünn und schematisch gewesen. Die wahre Scheibenkunst, die Scheibenkunst des Mittelalters, die Glasteilchen zusammenhielt, wurde erneuert. Die moderne Ungegenständlichkeit, in Deutschland stärker noch als in Frankreich gepflegt, kommt dieser Rückkehr zum Uralten entgegen. Chagalls Fenster vereinen Tradition und Erneuerung. Sie sind vielleicht das beste Beispiel einer leicht dekorativen, aber immer souverän angeordneten Form und jener Freiheit des spielenden und unerfindlich schaffenden Geistes, der nur heute denkbar ist. Er ist unser bester Teil, wenn er nicht der Spielerei und völligen Ungebundenheit verfällt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung