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Gotische Baurisse
Im Zusammenhang mit der überwältigenden Ausstellung „Europäische Kunst um 1400“ (der unsere nächste Kunstsonderseite gewidmet werden soll) war es ein äußerst glücklicher Gedanke, die im Besitz der Bibliothek der Akademie der bildenden Künste befindliche einzigartige und einmalige Sammlung von gotischen Baurissen der Wiener Bauhütte in einer schönen Ausstellung am Schillerplatz dem Publikum zum Teil zugänglich zu machen. Die 88 ausgestellten Zeichnungen sind nur ein Bruchstück dieses Schatzes, der 277 Risse und eine Pergamentrolle umfaßt und der teils aus Raummangel, teils wegen des Erhaltungszustandes einzelner Blätter nicht zur Gänze gezeigt werden kann. Die filigrane und präzise Schönheit der Gründung Aufrisse und vor allem der Visierungen atmet den Geist einer sich vollendenden Form- und Raumvorstellung, der einerseits unserer Zeit fremd, anderseits ihr sehr nahe verwandt erscheint. Verwandt durch die abstrakte Formspekulation, die sich in reiner Geometrie ausdrückt, das rhythmische Lineamcnt, das sich zu einer Vielfalt von Formen und Gestalten zusammenfügt in der Entdeckerfreude spiele-rßcher Möglichkeiten, fremd durch die uns ungewohnte Projektion, die entscheidende Rolle, die Zahl und Maß spielten, als Faktoren einer symbolischen Gestaltung im Sinne einer mystischen Konkretisierung theologischer Wirklichkeiten. — Dieses ganze Kapitel spätmittelalterlicher Kunst, der Bauhütten und ihrer Geheimnisse harrt noch der gründlichen Erforschung und Interpretation. Daß mit „realistischen“ Deutungen, die die Konstruktion betonen, nicht allein voranzukommen ist, beweist diese Ausstellung. So unpersönlich die Zeichnungen auf den ersten Blick wirken mögen, so stark ist doch nach längerer Betrachtung der Rn-druck, daß sie in ihrer subtilen Zurückhaltung meist Dinge verbergen, die man auf dem Umweg historischer und künstlerischer Einfühlung nur ahnen kann. Stumm gewordene Zeugen, rufen sie laut-lo|, indem sie für jene „Stimmung“ einer Zeit stehen, die sich im Kunsthistorischen Museum so eindringlich verklärt.
Dem nun bald 77jährigen Grazer Maler Alfred Wickenburg ist eine Ausstellung in der Galerie im Griechen-
b e i s 1 gewidmet, die seit 1946 entstandene Aquarelle und Zeichnungen zeigt. Wickenburgs Werk ist durch seine Lehrjahre an der Academie Julian in Paris und bei Hölzl in Stuttgart vor dem ersten Weltkrieg bestimmt. Der Einfluß der Ecole de Paris, der dekorativen Elemente des französischen Expressionismus und Kubismus, wurde für ihn entscheidend. Sie geben seinen Arbeiten die flächige, farbige und rhythmische Gliederung, eine gewisse Verwandtschaft mit Andre Lhote. Seit 1923 war Wickenburg— Mitbegründer der „Grazer Sezession“ — einer der wenigen „westlich“ orientierten Maler Österreichs, der sich, wie diese seine Arbeiten beweisen, immer neuen Einflüssen offengehalten hat, ohne seine eigene, vor allem auf Gelb, Rot, Rosa, Grün gestimmte Färb- und (etwas trockene) Formensprache zu verleugnen. Das literarische Erlebnis tritt meist vor das der Natur, das sich aber in einer so empfindsamen Zeichnung wie der Nr. 24, „Monte Grotto“, äußern kann. Bewundernswert bleibt die stets erneuerte Anhänglichkeit an die Ideale der Jugend und die erstaunliche Frische der Konzeption.
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