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GRABUNGEN, FRESKEN, IKONEN

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Alte und neue Kunst in Bulgarien

T) rofessor Dimitrow lehnt sich lächelnd in seinen Fauteuil zu-* - rück und meint in fließendem Deutsch: „Ja, die Ausstellung bulgarischer Kunst aus 2500 Jahren, die ich zusammengestellt habe, hat den Westen wieder auf unser Land aufmerksam gemacht. Paris, Rom, Wien, München waren die einzelnen Stationen, und wir verzeichneten einen enormen Besuch.“ Dimiter Dimitrow, Direktor des Archäologischen Museums in Sofia und Ordinarius an der Universität, hat gleichzeitig die wissenschaftliche Oberleitung über alle Ausgrabungen in Bulgarien. „Wissen Sie, wir haben, einzigartiges Glück, denn tinserc'-'tcsten Helfer'' ind die Bauarbeiter. Noch nie wurde bei uns so viel gebaut wie jetzt, und was bei den Fundamentierungen an den Tag kommt, wird noch Jahrzehnte unsere Wissenschaft beschäftigen.“ Man fand bei Swistow eine römische Stadt, ein 3000 Jahre altes Kastell an der Donau, einen Siedlungshügel bei Stara Sagora, eine thrakische Stadt im Rosental. Schon vor etwa 20 Jahren wurde der berühmte Goldschatz von Pangjurischte aus dem vierten Jahrhundert v. Chr. entdeckt, der neun Weingefäße mit abstrahierten Darstellungen umfaßt. Besonders wertvoll sind auch die Wandmalereien des frühhellenischen Grabmals von Kasan-lik. „Wo immer man gräbt, stößt man auf die Vergangenheit Bulgariens.“ Schlechter ist es um die spätere Kunst bestellt, die weitgehend den Türken zum Opfer fiel. Dennoch sind unzahlige. herrliche, heute in Museen aufgestellte Ikonen, Fresken in der Bojana-Kirche bei Sofia und in Klöstern auf dem Lande, in Batschkawo, im Dragalewski Monastir, in Archanassi bei Tir-novo, erhalten geblieben. Das in Reiseprospekten oft genannte Rila-Kloster hingegen ist eine architektonische Rekonstruktion, original blieb nur ein einziger Turm aus dem 14. Jahrhundert.

Auch der neue Band der Reproduktionenreihe der UNESCO über bulgarische Fresken gibt einen Begriff von der Reichhaltigkeit der Kunst dieses Landes, doch soll gleich vermerkt werden, daß man weit umherreisen muß, um diese Schätze sehen zu können. Die Funde und kunsthistorischen Denkmäler sind in ganz Bulgarien verstreut, auch sehr viele der beweglichen Objekte liegen oft in provinziellen Museen und sind von Sofia aus nicht leicht zu erreichen. Die Archäologie, die kunsthistorische Erforschung und gar erst Präsentation ist in Bulgarien noch mitten im Aufbruch. Jedenfalls kann kein Zweifel darüber bestehen, daß man durch eine sinnvolle Konzentration der transportablen musealen Sehenswürdigkeiten des Landes in Sofia eine erhebliche Attraktion zu schaffen in der Lage wäre. Jetzt zeigt das „Archäologische Museum“ einen Querschnitt vom 12. Jahrhundert bis zur späten Ikonenkunst, wobei freilich die Art der Aufstellung in der räumlich sehr begrenzten „Großen Moschee“ meist unbefriedigt läßt.

Ikonen von hoher Qualität aus dem elften bis neunzehnten Jahrhundert findet man auch in der „National-Galerie“. Das an den Surrealismus gewöhnte westliche Auge wird verblüffende Ähnlichkeiten zu Motiven von Picasso und Chagall erkennen, etwa einen Pferdekopf in zwei Ansichten übereinander, also mit drei Augen, oder ein fliegendes Pferd, noch dazu in einem sehr auf Chagall hinweisenden Kolorit. Die „National-Galerie“ enthält auch eine ganze Reihe guter bulgarischer Romantiker im Waldmüller-Stil und ein paar bulgarische Impressionisten. — Nicht dem Staat, sondern dem kirchlichen Patriarchat untersteht das „Kirchliche archäologische Museum“, das ebenfalls den Begriff „Archäologie“ sehr weit faßt und seinen Schwerpunkt in einer umfangreichen und erlesenen Ikonensammlung hat. Auch dort gibt es zuwenig Platz. Aber man sieht hier außerdem eine Reihe von Modellen der im Land verstreuten Klöster und kann dadurch zu einem recht guten Überblick kommen. Wie Professor Dimitrow erwähnt, soll im nächsten Jahr eine Ausstellung mittelalterlicher bulgarischer Kunst veranstaltet werden, und damit kann man ein bedeutendes Ereignis erwarten.

Den stärksten Eindruck mittelalterlicher Kunst, den man jetzt schon gewinnen kann, gibt die eine halbe Autostunde von Sofia entfernt gelegene Bojana-Kirche, die Fresken aus dem elften und dreizehnten Jahrhundert enthält. Die Festung und die Ansiedlung, zu denen die Kirche einst gehörte, sind zerstört. Nur der nach außen völlig schmucklose Bau des kleinen Gotteshauses, umgeben von parkähnlicher Landschaft, hat die Stürme der Jahrhunderte uberdauert. Das Innere ist ohne jedes natürliche Licht, einige schmale Sehschlitze lassen gerade noch die Existenz einer anderen Realität ahnen. Die Maler sind mit Kerzenlicht an der Arbeit gewesen, und darauf müßte nun die heutige Beleuchtung auch Rücksicht nehmen. Leider gibt es nur unverhüllte, den Betrachter blendende Glühbirnen. Trotzdem ist der Aufenthalt in dieser Kirche, in der man sich entfernt an das freilich mit Mosaiken besetzte Grabmal der Galla Placidia erinnert fühlt, ein Erlebnis, das man nie mehr vergessen wird. Auch die Fresken der letzten Periode sind von Byzanz her beeinflußt, haben aber bereits den raffaelitischen Hauch der Renaissance: der herrliche Christus unter den Schriftgelehrten, die Köpfe aus der Verkündigung sind von euphorischer Schönheit, der heilige Euphremos hingegen öffnet uns die Tiefen asketischer Meditationen. Stark byzantinisch wiederum die Bildnisse der Stifter, Sebastokrator Kalojan und Dessislava, voller orientalischer Mystik die Geburt Christi. Man könnte sich tagelang in diesen mit Fresken dicht bedeckten gar nicht so großen Kirchenräumen aufhalten, um am Leben, Denken und Glauben der hier so gegenwärtigen religiösen Welt teilzuhaben.

Die alten Kirchen in Sofia selbst zeigen die grausamen Spuren eines halben Jahrtausends türkischer Besetzung: kahle Wände, Zerstörungen und Veränderungen der Architektur durch den Umbau in Moscheen. Die Kunsthistoriker sind energisch und gewissenhaft bemüht, die Zeugnisse der eigenen bulgarischen Kultur während der Türkenzeit systematisch zu erfassen, zu restaurieren und den Bogen zur kulturellen Epoche vor dem islamitischen Einbruch herauszuarbeiten. Aber dieses Vorhaben erfordert ungeheure Mühe und enorme Geldmittel, man wird noch viel aufzuwenden haben, um über die heute schon vorliegenden Teilergebnisse hinauszugelangen.

Tu der „National-Galerie“ findet man auch ausgesprochen belli merkenswerte zeitgenössische Bilder. Zum Teil sind orientalische, dekorative Einflüsse festzustellen, stark in den Farben, ab-äst,rahiert in,, der Form, meist aber ohne die Gegenständlichkeit i ganz zu verlassen. Es ist sehr zu bedauern, daß diese zu vortrefflichen Ergebnissen kommenden Maler überhaupt nicht im Blickfeld westlicher Kunstbeobachtung liegen. Die slawische Phantasie der Bulgaren, die mit christlich-orthodoxen und türkischen Reminiszenzen durchsetzt ist, sollte in die modernen Auseinandersetzungen einbezogen werden. Allerdings hängen neben solcherart interessanten Bildern auch banalste Machwerke des sozialistischen Realismus.

Interessant ist, was man mir in einem gelegentlichen Gespräch über die heutige Malerei und Architektur Bulgariens erzählte, daß nämlich die früher konservativsten Künstler heute die modernsten Werke schüfen. Vor allem in der Architektur zeige sich dies besonders deutlich: genau jene Architekten, die den stalinistischen Stadtkern errichteten, stellen jetzt in Nessebar Hotels mit elegantesten Betonkurven her. Es mangle also nicht an Begabung, doch sei bis vor kurzem die Parteilinie zu rigoros gewesen. Die immerhin merkbare Lockerung habe sogleich Ergebnisse, gebracht. Auf dem Gebiet der Malerei fehlt noch die Ausstellung, die diese neue Phase klar sichtbar werdep laßt, in der Bautätigkeit aber ist sie'Evident: die schwebenden Linien, die einfachen Formen und die landschaftlich schön gelösten Kompositionen der Hotelkomplexe bei Nessebar führen sie uns vor Augen. Nicht nur die Türken lasteten lange auf dem Land, auch Stalins Schatten wich hier später als von den meisten anderen Satelliten.

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