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„Grand Ballet“ und moderne Konzerte

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Eine knappe Woche lang gastierte an der Wiener Staatsoper im Rahmen der ersten Ballettsaison das „Grand Ballet du Marquis de Cuevas“ mit zwei verschiedenen Programmen und sieben verschiedenen Werken. Dieses Ensemble, aus dem 1944 gegründeten „International Ballet“ hervorgegangen und seit zehn Jahren unter seinem heutigen Namen in der ganzen Welt bekannt, ist, wie sein Gründer und Mäzen sagt, wirklich eine große internationale Familie, zu der Engländer und Skandinavier, Franį zeseq-und-.Spanier, Russen und -Amerikaner, ; Griechen:, und'Finnen gehören. Es ist — aüch'dies gehört zur seinem Stil — ein Luxusensemble, zu dessen Erhaltung für unsere Begriffe märchenhafte Summen zur Verfügung stehen und ausgegeben werden, und es ist zugleich eine Familie von Individualitäten, die nicht nur in den Sternen erster Ordnung, wie Rosella Hightower, Nina Vyruobova, Jacqueline Moreau, Genia Melikova und den Herren Golovine, Goviloff, Skouratoff, Polajenko und Tupin, sondern auch in den übrigen Mitgliedern, Sternen und Sternchen der Truppe, ausgeprägt sind. Das bedeutet in der Gesamtleistung: höchste Virtuosität, differenziertester Ausdruck der einzelnen Tänzer und Harmonie des Corps de ballet — bei sehr geringem Drill und Zwang. Diese Vielgestaltigkeit ist auch durch die voneinander sehr verschiedenen Stile der verschiedenen Choreographen ausgedrückt, welche für dieses Ballett arbeiten (Serge Lifar hat ein gewisses liebergewicht, aber außer ihm finden wir auf den Pro- grammžetteln: John Taras, David Lichine, Janine Charrat und den älteren Ballettmeister Petipa). Der Vergleich mit der Balanchine-Truppe liegt nahe, man käme dabei auf gewisse Unterschiede, aber auch auf gemeinsame Merkmale und Qualitäten, die schwerer wiegen. Sämtliche Darbietungen des Cuevas-Balletts haben etwas Luxuriöses, Großzügiges und Weitläufiges. In seinen besten Darbietungen finden wir die Synthese zwischen der strengen geometrischen Ordnung der Pariser „Place de l’Etoile“ und der verspielten Zierlichkeit der Katzen, die ja bekanntlich in der gleichen Stadt zu Hause sind.

Als vollkommenste Darbietungen erschienen uns die abstrakten Ballette „Noir et Blanc“, nach Musik von Lalo, und „Diagram m“, nach Bachs 6. Brandenburgischen Konzert. Wie hier die Choreographen Serge Lifar und Janine Charrat. mjt dem aus etwa 40 Tänzern bestehenden Ensemble oder nur mit fünf Koryphäen den Raum füllen und gestalten: das hat etwas Souveränes und wahrhaft Königliches. (Das abstrakte Bühnenbild zu „Diagramm", gleichfalls in Schwarz und Weiß, sowie die Kostüme von Gerard Munchy sind ein Nonplusultra an Geschmack und Eleganz.)

Bei den großen Handlungsballetten ist der Gesamteindruck nicht ganz so großartig und geschlossen. Aber „L ’ amour et son de st in“, nach Tschaikowskys 6. Symphonie, ist von Georges Wakhe- witsch so erlesen ausgestattet, daß auch dieses Ballett ein Fest fürs Auge wird (eine schwermütige Ueber- schwemmungslandschaft, eine traumhafte Trümmer- küste und ein riesiger Drahtturm, der von -Feuerflammen gekrönt ist). Ueberhaupt: an Phantasie fehlt es den Choreographen und Librettisten nicht: „P i ė g e delumiere“ zum Beispiel, nach Musik von J. M. Damase, bringt eine Handlung auf die Bühne, die zwischen ausgebrochenen Sträflingen im Wald und — Schmetterlingen spielt. „C o r r i d a“, nach Musik von Domenico Scarlatti, variiert sehr originell das Carmen-Motiv. Wie sich am Schluß dieser Aktion der Matador in den Stier verwandelt und, indem er sein Opfer ersticht, sich selbst tötet: das ist in seiner gedanklichen Hintergründigkeit und in der faszinierenden Darstellung einzigartig und unvergeßlich. Dann sah man noch ein virtuoses einer recht zweifeUififten

Der Dirigent Sir Thomas Beecham Karikatur von Bernhard Leitner

(Rigoletto-Melodien in der Paraphrase Liszts, die man instrumentiert hat), und es gab zum Schluß „Gis eile“, besonders im 2. Teil berückend getanzt, aber im 1; Akt durch die unschönen Kostüme und Dekorationen, die gut und gern 100 Jahre alt sein könnten, beeinträchtigt.

Das Publikum hat die internationalen Gäste enthusiastisch gefeiert und bewies, indem es die erlesensten Schöpfungen mit besonderem Beifall bedachte, daß es wohl zu unterscheiden versteht. Bildung und Verfeinerung des Geschmacks sowie die gebotene Möglichkeit, an den höchsten Maßstäben messen zu können, rechnen wir zu den Positiva dieser ersten Wiener Ballettsaison, die, so hoffen wir fest, nicht die letzte sein wird.

Im Mozart-Saal des Konzerthauses dirigierte Paul Sacher das Kammerorchester der Wiener Symphoniker. Das Programm war typisch für diesen Dirigenten, der uns noch nie enttäuscht hat: interessant, qualitätsvoll und mit Geschmack gefällig. Frank Martins an dieser Stelle bereits besprochenen „Etüden für Streichorchester", fünf geistvoll-knifflige und brillante Stücke, erlebten eigentlich jetzt erst ihre Erstaufführung, weil man sich nach der sehr beiläufigen Wiener Premiere während der vergangenen Spielzeit kein genaues Bild von dem Werk machen konnte. Durchsichtigkeit, klare Konstruktion und Genauigkeit: das ist Paul Sachers Stärke. — Elegant und weich geriet Honeggers „Concerto da camera"von 1948, das zu den leichtesten und liebenswürdigsten Stücken des Meisters zählt. Die Soli der drei pastoralen Sätze wurden von Leopold Stastny (Flöte) und Josef Koblinger ton chön geblasen. — Von Strawinskys „Pu1cine11a“ - Ba11e11, 1920 an der Pariser Großen Oper mit Bühnenbildern und Kostümen Picassos von Diaghilew uraufgeführt, kennt man bei uns nur die Konzertsuite. Die Partitur enthält aber, außer der reinen Instrumentalnummer, noch zehn kleine Arien (für Alt, Tenor und Baß), nach deren meisterhaftem Vortrag Ira Malaniuk, Ivo Zidek und Frederick Guthrie wie in der Oper mit einem guten halben Dutzend „Vorhängen“ gefeiert wurden.

In einem öffentlichen Konzert des Oesterreichischen Rundfunks brachte Michael Gielen mit den Symphonikern ein hochinteressantes Programm. Von den „Sechs Stücken für Orchester“, die Anton von Webern 1910 schrieb, umfaßt das längste 40 Takte. Aber wieviel Emotion, Gefühl und Stimmung ist in jedem dieser kurzen Seismogramme verdichtet! Am nächsten ist dem Geist und der Technik dieser Musik der junge Venezianer Luigi Nono (geb. 1926), der mit seinen „Cantipertredici“ eine Folge hauchzarter, hochexpressiver Orchesterstücke schuf, die sich freilich erst nach mehrmaligem Hören erschließen, — Die 3. Symphonie Hans Werner Henzes, der im gleichen Jahr wie Nono geboren ist, klingt robuster, scheint ein wenig mit der linken Hand hingesetzt und überzeugt — nach der „Anrufung Apolls" und der „Dithyrambe“ — nur in ihrem letzten Satz, einem rhythmisch erregten „Beschwörungstanz“. — Gerhard Wimbergers „Figuren und Phantasien“ fesseln vor allem durch ihre hochoriginellen Klänge und klare, tänzerische Form. Das Talent dieses jungen, in Salzburg wirkenden Wieners ist erfreulich und vielversprechend. Michael Gielen und die Symphoniker verdienen für die mustergültige Interpretation dieser vier schwierigen neuen Werke höchstes Lob.

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