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Digital In Arbeit

Graphik und Email

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In der Malerei unserer Tage macht sich an vielen Punkten das Bestreben bemerkbar, eine neue Beziehung zwischen Betrachter und Bild zu schaffen. Da und dort wird der Versuch unternommen, das Bild, die Zeichnung oder die Graphik nicht bloß als einen Faktor zu bewerten, der im Betrachter eine Erregung auslöst, die entweder, wie es der Impressionist wollte, körperlichoptischer oder, nach dem Ziel des Expressionisten, geistiger Natur ist; man stößt vielmehr jetzt in den Ausstellungsräumen auf Bilder, welche Kräfte beschwören, die im Beschauer selbst vorhanden sind — Kräfte positiver oder negativer Art; damit betritt die Malerei einen Raum, in dem sich Gut und Böse wieder voneinander scheiden Der Künstler aber, dem Ki’nst Wirksamkeir im ethischen Sinn bedeutet, hat die Wahl zwischen polaren Gegensätzen: er wird, so- ferne er der Faszination des Bösen unterliegt, Fetische schaffen, in denen sich die Dämonen unserer Zeit manifestieren, oder aber er muß seine Werke dem Range von Kunstbildern annähern und somit die Bezirke des Religiösen berühren. Man braucht nicht lange zu Stichen, um moderne Fetische zu finden; sie haben sich in allen Kunstausstellungen der letzten Jahre eingenistet, wie es ja überhaupt zum Wesen des Negativen gehört, daß es mit entschiedener Deutlichkeit als sein Widerpart auftritt.

Es fehlt aber auch nicht an Künstlern, die eindeutig auf der Seite des Positiven stehen und in deren Werken die Zerstörung und der Nihilismus, welche die Künstler de Negativen in ihren Bann ziehen, überwunden und das Unverletzbare des Lebens in eine höhere Ordnung einbezogen haben. Zu ihnen gehört Otto Beckmann, dessen Graphiken und Emails derzeit in der Galerie Welz zu sehen sind. In ihnen wird das Bemühen offenbar, hinter der Vielfalt des Lebens dessen Einheit zu erkennen. Daher findet man die Bevorzugung weniger einfacher Urtypen, die gleichwohl alle Stufen des Daseins darstellen: die Mutter mit dem Kind, die zugleich Madonna ist, Engel und ihnen verwandte Gestalten; auch erscheint manchmal ein bekränzter Tod. Die Gebärden der Figuren sind sparsam und niemals willkürlich, sie haben etwas zu bedeuten, einfache Dinge zumeist: eine Klage oder eine Anbetung. Alles, was Unklarheit schaffen könnte, fällt weg; alles, was im Betrachter Erregung oder Sensationen aus- lösen könnte, tritt zurück, um die Stille nicht zu stören. Selbst dem Raum wird keine Bedeutung zuteil, denn er könnte Unruhe erzeugen und vom Gegenstände der Darstellung ablenken.

Sehr merkwürdig ist bei diesem Künstler die Verwendung der handwerklichen Mittel. Einerseits kann 'man einige völlig neue Techniken feststellen, wie etwa den überlebensgroßen Holzschnitt, der monumentaler Wirkung fähig ist, oder den Zementdruck, dessen große Druckflächen von erstaunlicher Weichheit sind. Andererseits aber verraten die Werke in keinem Punkte diig Schwierigkeiten der Arbeit, die der Künstler zu überwinden hat. Das Handwerkliche ist sosehr Teil des Ganzen, daß es kaum noch zu bemerken ist. Besonders deutlich äußert sich dies in den Emails. Was Beckmann veranlaßt, diese lange vergessene Technik wieder aufzunehmen, ist'offensicht lieh: es ist die Ablehnung der Farbe als

Reizwert, ihre Loslösurig vom Zufälligen und ihre Übertragung in ein Material, da? wie kein anderes gestattet, die der Farbe innewohnende magische Symbolkraft zu erhöhen. Daher die Steigerung des Gelb -in das Gold, des Weiß in das Silber. Emails in dieser Größe hat es noch nie gegeben; jedes einzelne Stückchen, aus denen sich die Tafeln mosaikartig zusammensetzen, ist in mühseliger Arbeit entstanden und von erstaunlicher Materialvollkommenheit; sie erschließt sich freilich erst bei genauerer Betrachtung.

Jede Arbeit Beckmanns stellt ein religiöses oder doch diesem angenähertes Motiv dar. Die Kraft, mit der sie auf den Beschauer wirkt, stammt aus der Beherrschung des Materials, aus dem bewußten, positiven Bemühen, unter Verzicht auf artistische Reize heitere Klarheit aus der Verwirrung des Lebens zu schöpfen. Es ist Kunst, die sich ihrer ethischen Verantwortung bewußt ist, also Kunst im höchsten Sinne.

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