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Graz als Residenz

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„Kreidfeuer“ — das sind Flammenzeichen, mit denen das Herannahen der Türken einst gemeldet wurde — gaben auf den Höhen rund um Graz und weit im Land Steiermark das festliche Zeichen zur Eröffnung einer in ihrer Art einzig dastehenden kulturhistorischen Ausstellung mit dem Titel „Graz als Residenz — Innerösterreich von 1564 bis 1619“. Anderntags eröffnete der Bundespräsident mit einer Rede, in der er die gesamtösterreichische Bedeutung dieser denkwürdigen Schau hervorhob, die Ausstellung, für welche die Repräsentationsräume der Grazer Burg zur Verfügung gestellt wurden — jener Burg, in der sich ein großer Teil der Geschicke jener harten, gewalttätigen und gleichzeitig rirunkliebenden Zeit ereignet hatte. Zum erstenmal wird hier, unterstützt durch Leihgaben aus fast allen Ländern Europas, mit historischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Dokumenten eine geschlossene Darstellung jener für Österreich, ja für Europa so bedeutenden Epoche erreicht.

Es ist die Zeit, die mit der Übernahme der Regentschaft in Innerösterreich (also den Herzogtümern Steiermark, Kärnten, Krain und Teilen Istriens) durch Erzherzog Karl II. 1564 beginnt und im Jahre 1619 mit der Wiedervereinigung der habsburgischen Länder und der Wahl des steirischen Ferdinand zum Römischen Kaiser endet. Es ist die Zeit der großen Glaubenskämpfe in diesem Land, der Bedrohung durch die Türken, denen in der Seeschlacht von Lepanto die Macht über die Meere genommen wurde, es ist eine Zeit voll Bedrängnis durch Hunger und Pest, aber auch eine Zeit hoher Leistungen auf dem Gebiet des Kunstgewerbes, insbesondere der Waffenschmiedekunst, und der Wissenschaft: Kepler wirkte in Graz, die Universität wurde gegründet, der Gregorianische Kalender eingeführt. Ein besonderes Anliegen der Ausstellung aber ist — wie Landeshauptmannstellvertreter Professor Dr. Koren, der Initiator dieser Exposition, betonte — der Versuch, ein objektives Geschichtsbild zu entwerfen, das die Einseitigkeit der Geschichtsschreibung des vorigen Jahrhunderts überwindet. In seiner großangelegten Rede anläßlich der Eröffnung sagte Univ.-Prof. Koren: „Es fällt uns heute schwer, zu verstehen, daß eine Zeit, die sich immer wieder auf den kostbaren Leib und das kostbare Blut unseres Herrn Jesus Christus beruft, in ihren Meinungsäußerungen und Handlungen vom ersten und höchsten Gebot des Christentums oft so wenig berührt zu sein scheint. Die Zeit kannte keine Toleranz ___Wir glauben aber, daß keine

Zeit vor uns geeigneter gewesen ist, von diesen Dingen zu reden, offen zu reden, als die unsere. Zum erstenmal ist heute vernehmlich im Streit der Konfessionen das Wort von Nachsicht und Verzeihen, von Schuld und Unrecht ausgesprochen worden.

Diese Ausstellung will nichts verschweigen, aber auch keine neuen Klüfte aufreißen. Im Gegenteil: Wir überwinden eine Kluft. Denn es gehört mit zum Versuch, einzusehen, wo und was gefehlt wurde, und zum Bekenntnis, über das Trennende zum Gemeinsamen zu finden.“

Aus den Wirrnissen dieser großen, harten Zeit, die lebendig in der Grazer Ausstellung ersteht, blieb übrig der sichere Bestand des Reiches, das vor dem Ansturm der Türken gerettet wurde. Geblieben ist die Grazer Universität, geblieben oder wiedererstanden sind die freundschaftlichen Beziehungen der ehemals „innerösterreichischen“ Länder, und erstanden ist damals im eigentlichen Sinn — durch die Ausstellung eindringlich dokumentiert — die Nation der Slowenen.

Ein erster Gang durch die Schauräume zeigt, mit welch wissenschaftlicher Akribie der Direktor der Landesbibliothek, Dr. Berthold Sutter, und seine Mitarbeiterin, Dr. Gertrud Smola, das umfangreiche und kostbare Material zu übersichtlichen Gruppen geordnet haben. Ein von der Meisterklasse der Grazer Kunstgewerbeschule gemalter Fries weist auf die weltbedeutenden Ereignisse der Epoche hin. Dann folgen rechtshistorische Dokumente, die sich auf die Schaffung Innerösterreichs und die Geschichte des Hauses Habsburg beziehen, vermehrt um eine Reihe interessanter Tagebuchaufzeichnungen. Hier sind auch der steirische Herzoghut, der berühmte Landschadenbundbecher und die Armbrust Erzherzog Karls zu sehen, die als die schönste der Welt gilt. Prunkharnische und -hellebarden und der kostbare „Reichshumpen“ geben Einblick in die Schatzkammer des Grazer Hofes. Besonders interessant sind die Dokumente über die geplante Vermählung Karls mit Maria Stuart oder Elisabeth von England. Unter den Zeugnissen des wissenschaftlichen Lebens findet sich das Instrumentarium Johannes Keplers aus seiner Grazer Zeit, in dem der Sextant des großen Astronomen einen besonderen Anziehungspunkt darstellt. Die Religionskämpfe der Epoche spiegeln sich in vielen aufschlußreichen Urkunden wider, frühe Druckwerke in slawischen Sprachen zeigen den Beginn eines eigenen südslawischen Kulturlebens. Eines der bedeutendsten Stücke der Ausstellung ist der Funeral-Harnisch. der beim Begräbnis Karls II. mitgeführt wurde — eine herrliche, zum erstenmal gezeigte Arbeit des Augsburger Plattnermeisters Konrad Richter. Erbeutete Türkenwaffen (aus der Schlacht bei Sissek), Dokumente und Bilder aus der Zeit Ferdinands II. runden diese einzigartige Schau ab, die bis in den Sommer hinein geöffnet ist.

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