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Groß ist die Artemis

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Eine Reihe von Querelen waren schuld, daß die Jubiläumsfeierlichkeiten in Ephesos vom September 1995 auf 1996 verschoben worden sind. In Wien dagegen gedenkt man trotz rigoroser Sparmaßnahmen termingerecht an die 1885 begonnenen Grabungen österreichischer Archäologen in der antiken griechisch-römischen Stadt an der türkischen Westküste.

Einen Uberblick über die Geschichte der Untersuchungen im jährlich von eineinhalb bis zwei Millionen Menschen besichtigten Ruinenfeld gibt bis 4. März 1996 die Gemeinschaftsausstellung des Österreichischen Archäologischen Instituts und des Kunsthistorischen Museums im Ephesos-Museum in der Wiener Hofburg: „100 Jahre österreichische Forschungen in Ephesos”.

Ephesos war - zumindest auf dem Höhepunkt seiner Geschichte - eine Großstadt mit rund 300.000 Einwohnern. Es war eine der sieben Städte der Apokalypse und der sieben Weltwunder, Hauptstadt der römischen Provinz Asia und Stätte der Bank von Asien. Hier wirkte um 500 v. Chr. der Naturphilosoph Heraklit, hier gründete der Apostel Paulus eine christliche Zelle und hier versammelten sich 531 n. Chr. 198 Bischöfe zum dritten ökumenischen Konzil, bei dem der Kult Marias als Mutter Gottes geschaffen wurde.

Von Ephesos berichte auch die Heilige Schrift. „Groß ist die Artemis der Ephesier”, rief laut laut Apostelgeschichte (19,23 ff) drei Stunden lang das im Großen Theater versammelte Volk, als 57 n. Chr. Paulus zu ihm sprechen wollte. Aufgehetzt hatte die

Ephesier der Silberschmied Demetrius, der um sein blühendes Geschäft mit Andenkenartikeln des Wahrzeichens der Stadt, des Tempels der Artemis, fürchtete.

Schon bei der Landung der ersten ionischen Griechen in Ephesos um 1.000 v. Chr. gab es an der Stelle, an der das Artemision erbaut werden sollte, ein Heiligtum der anatolischen Muttergottheit. Sie wurde von den Griechen mit ihrer eigenen Göttin Artemis gleichgesetzt. Beiden gemeinsam ist die Naturverbundeheit. Und beide sind von Tieren umgeben.

Um 700 v. Chr. schufen die Griechen einen Vorgängerbau des weltweit bewunderten Heiligtums. Das Bild der Göttin war aus Holz, reich geschmückt und prächtig bekleidet. Im zweiten Viertel des sechsten Jahrhunderts v. Chr. bauten die Griechen einen neuen Tempel, mehr als 125 Meter lang und an die 60 Meter breit. Wie alle antiken Tempel durfte er nur von den Priestern betreten werden. Der Altar befand sich außerhalb des Gebäudes. 356 v. Chr. ging das Artemision in Flammen auf - nach jüngsten Forschungen nicht das Werk eines einzelnen, sondern in Übereinstimmung mit der Priesterschaft, weil der Kultbau im sumpfigen Boden zu versinken drohte.

Bald nach dem Brand wurde über dem alten Grundriß das als Weltwunder bezeichnete Heiligtum errichtet. Nach siebenjähriger Suche entdeckte 1869/70 der Engländer JT. Wood seine Reste. Auch der Wiener Universitätsprofessor Otto Benndorf begann 1895 die bis heute dauernden Grabungen Österreichs beim Artemision. Doch erst mehr als ein halbes Jahrhundert später, nämlich 1965, legte Anton Bammer vom Österreichischen Archäologischen Institut den Altar frei.

Eingeleitet wird die in Drittelparität vom Wissenschaftsministerium, dem Kusthistorischen Museum und dem Österreichischen Archäologischen Institut finanzierte zwei Millionen teure Exposition mit einer Dokumentation über die englischen Forschungen und die österreichischen Expeditionen in der Türkei während des 19. Jahrhunderts. Chronologisch folgen die Perioden der einzelnen Grabungsleiter bis hin zu Stefan Karwiese. Blickfang ist der für die Ausstellung angefertigte Abguß der sogenannten großen Artemis aus dem Museum von Selcuk, eine römische Kopie der Kultfigur aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts n. Chr., gefunden von Grabungsleiter Franz Miltner 1956 im Prytaneion (Rathaus) von Ephesos. Außerdem: der Abguß eines Poseidon-Torsos aus dem Londoner British Museum, der zu dem im Besitz des Kunsthistorischen Museums befindlichen Poseidon-Kopf gehört, sowie eine überlebensgroße kopflose Statue der Göttin Hera.

Zur Ausstellung erscheint ein reich bebilderter Dokumentationsband von Wipplinger-Wlach, „100 Jahre Forschungen in Ephesos”, Verlag Böhlau (öS 490,-).

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