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Großoffensive einer leuchtend grünen Alge

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Ein interessantes Beispiel dafür, wie schwerwiegend die Folgen sein können, wenn in einen bestimmten Lebensraum bisher fremde Lebewesen eindringen, liefert die Erfahrung mit der Alge „Caulerpa taxi-folia". Das berichtet die französische Zeitschrift „La Becherche". Diese Alge wurde 1984 erstmals im Mittelmeer registriert. Taucher hatten sie im Meer unterhalb des Ozeanogra-phischen Museums in Monaco entdeckt. Bereits zehn Jahre später beschäftigt sich ein international besetztes Seminar der Europäischen Union in Nizza mit den verbundenen Problemen der enormen Ausbreitung.

Üblicherweise wird diese leuchtend grüne Alge, die man in den tropischen Meeren antrifft, zur Verschönerung von Aquarien verwendet. Ins Meer ist sie wohl durch eine Unachtsamkeit beim Entleeren des Museum-Aquariums gelangt, so wird jedenfalls vermutet. Heute beschäftigt ihre weitere Entwicklung allerdings Wissenschafter und Laboratorien in Italien, Frankreich und Spanien.

Was war geschehen? Die Alge entwickelte eine ganz erstaunliche Anpassungsfähigkeit an die Bedingungen des Mittelmeeres. Sie wächst auf allen Unterlagen: Sand, Schlam, Felsen ... Sie gedeiht an der Oberfläche ebenso wie in Tiefen mit nur gedämpftem Lichteinfall. In 30 Meter Tiefe bildet sie noch dichte Teppiche. Sie wurde sogar in fast 100 Meter Tiefe registriert.

Wo sich Caulerpa taxifolia niederläßt, wird sie bald zur dominierenden Pflanzenart. Und da sie auch außerhalb des Wassers (wenn die Luft feucht genug ist) einige Zeit überlebt, kann sie auch durch Fischernetze und Schiffsanker von einem Ort zum anderen übertragen werden.

Alle diese Eigenschaften haben dazu beigetragen, daß sich die Alge im Mittelmeer mit beachtlicher Geschwindigkeit verbreitet hat. Registrierte man 1990 die Caulerpa taxifolia erst auf einer Fläche von etwa drei Hektar, so waren es 1992 schon 100.

Mittlerweile dürfte sich diese Fläche mehr als verzwangzigfacht haben. Man trifft die Alge an verschiedenen Stellen, die von Messina in Sizilien, über Elba, Liyorno und die ganze Küste von Genua bis zur spanisch-französischen Grenze reichen. Ja selbst auf den Balearen ließ sie sich nieder.

Zwar verträgt die Alge üblicherweise die Kälte schlecht. Bei Temperaturen von unter 15 Grad wrächst sie nicht mehr. Beobachtungen zeigen aber, daß die ans Mittelmeer adaptierte Variante sogar Temperaturen von nur sieben Grad überlebt. Unter zehn Grad sinkt die Temperatur des Mittelmeeres aber nur selten ab. Zu niedrige Temperaturen werden die Expansion also wohl kaum stoppen. Auch finden sich so gut wie keine Konsumenten der AlgemSpezies. Seeigel und Fische finden an ihr keinen Geschmack, weil sie unzuträgliche Toxine abgibt.

Problematisch ist diese Expansion vor allem , weil die Alge das eingespielte Gleichgewicht der Küsten-Ökosysteme massiv stört. Sie verdrängt nämlich die bisher vorherrschende „Posidonia oceanica" und verringert damit den Bestand der von ihr lebenden Fische, Seeigel und anderen Tiere.

Bisherige Versuche, die Expansion der Alge zu beschränken, waren nicht sehr erfolgreich. Am besten hat sich noch das auf den Balearen eingesetzte Verfahren des händischen Ausreißens und des Ansaugens der Pflanzenreste bewährt. Die Eindämmung der Algenverbreitung könnte man auch dadurch begünstigen, daß man ihre Toxine wirtschaftlich nutzbar macht. In Laborversuchen ergaben sich Hinweise auf eine mögliche positive Funktion in der Tumorbekämpfung.

Sicher ist Caulerpa taxifolia nicht die erste Europas Küsten fremde Pflanze, deren Import schwerwiegende Folgen auf die Küsten-Ökosysteme hat. Ein weiteres Beispiel ist „Sargas-sum muticum", eine braune Alge aus Japan, die sich seit ihrem ersten Auftreten 1973 am Ärmelkanal in Frankreich mittlerweile an der Atlantikküste von Norwegen bis Spanien etabliert hat. Beide Pflanzen illustrieren aber, welche Vorsicht bei der Einführung neuer Arten in bestehende Ökosysteme angebracht ist, eine Vorsicht, die gerade durch die Goldgräberstimmung in der Gentechnik schwer gefährdet erscheint.

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