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Großstädtische Architektur

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Zwei Tage in Mailand geben nicht mehr als einen allgemeinen Eindruck. Sie lassen aber doch die fremde Stadt mit der eigenen vergleichen, jedenfalls was die Bauten betrifft. Drei Beispiele mögen jenen allgemeinen Eindruck erläutern.

In Baranzate, einem Vorort Mailands, steht eine neue Pfarrkirche. Sie ist bereits international bekannt. Ein disziplinierter und feinfühliger Bau: die grazilen Deckenbalken liegen auf zwei klobigeren Unterzögen, vieflrunde Pfeiler heben das ganze, Dach leicht über die schwach durch- 'ÄeiHÄ'iden -8ÖisWnd£--' -NtebenJ ihrer Klarheit und Konsequenz ist diese Kirche aber zweifellos auch „Design“ in dem besondem Sinn, den das Wort bei uns hat. Sie ist gefällig, elegant, modern. Sie entspricht auf höchstem Niveau dem, was man in Italien unter „guter Form“ verstehen mag. Es sieht nicht so aus, als ob viele Gläubige an ihr Anstoß nehmen würden.

Souveränität des Gedankens

Der Velasca-Turm ist sogar trivial. Er ist von einer dekorativen Banalität, die überrascht, wenn man den Bau von Photographien her kennt. Seine Einzelheiten sind völlig der Mode der fünfziger Jahre verhaftet. Aber das eben ist beeindruckend: jene Former velt, die bei uns nur den Opernringhof hervorgebracht hat, lieferte hier zum Thema Hochhaus einen der wesentlichen Beiträge des Jahrhunderts. Die Auskragung der oberen Geschosse entspricht vorurteilslos der Grundfläche der Wohnungen, die größer ist als die der Büros. Die Strebekonstruktion ist eine Reminiszenz an die Gotik des Doms, aber sie ist auch einfach genug, um von sich aus verständlich zu sein. Nicht durch Anstrengung der Form, sondern durch Souveränität des Gedankens gelang hier ein Wahrzeichen.

Unmittelbar neben dem Dom, dem Zentrum der Stadt, befindet sich die Galleria Vittorio Emanuele II. Sie besteht aus zwei einander kreuzenden gedeckten Fußgängerstraßen mit Geschäften, Cafes, Restaurants (und Büros in den Obergeschossen). Wodurch entsteht die anziehende Intimität dieser Promenade? Eben nicht durch Isolierung; städtischer Raum muß mit Menschen erfüllt sein. Die Galleria ist ein wichtiger Verkehrsweg und verbindet den Domplatz mit der Scala. Die Intimität entsteht auch nicht durch Differenzierung des Raums. Eben weil der Raum als große Einheit wirkt, läßt er die Entfernungen nicht mehr spüren. Die Wände laufen schnurgerade und sind mit einer gleichförmigen Dekoration von unglaublicher Schwäche überzogen. (Auf denselben Architekten geht übrigens die rasterförmige Regulierung des Domviertels zurück.) Und schon gar nicht entsteht die Intimität durch „menschlichen Maßstab“; der Raum ist über 30 Meter hoch und 200 Meter lang. Städtischer Raum entsteht dadurch, daß die Dimensionen für Massen und nicht für einzelne gedacht sind. Auch die zahlreichen Arkadengänge dieser Stadt haben — ungeachtet des Verlustes teuerster Kubatur — geradezu faschistische Ausmaße. Die Intimität der Galleria entsteht lediglich durch das Glasdach. Es schützt vor Regen, gibt dem Raum diffuses Licht und erfüllt ihn mit dem Geräusch der Schritte und Stimmen.

Das geglückte Konzept . ;

Nicht als hervorragende Werke wurden diese drei Gebäude vorgeführt. Sie sind nicht große Ausnahmen, von Grund auf neu erdacht, aus einer Analyse aller Mittel entwickelt. Ihre Qualität ist nicht von der Art, gegen den herrschenden Geschmack, abseits vom üblichen Baugeschäft errichtet zu sein. Sie sind vielmehr genau das, was zu ihrer Zeit verlangt wurde. Sie sind sogar modisch. Ihre Größe liegt im Konzept. Wo niemand durch ungewohnte Formen abgestoßen wird, kann der Gedanke um so besser verstanden werden. Die Banalität des Einzelnen tritt zurück hinter die Intelligenz der Anordnung.

Große Baukunst ist einzeln. Was eine Stadt ausmacht, ist architektonische Lebensart — Großzügigkeit und Intelligenz. Nicht große Architektur, wohl aber großstädtische.

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