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Grüfte und große Gebärden

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DIE STERBLICHE HÜLLE des Feld- marschalls Laudon barg das Vaterland in einem Steinsarkophag auf einem Fleck geweihten Bodens mitten in der Natur, am Waldrand bei Hadersdorf. Über den Gebeinen des glückseligen Fürsten de Ligne, der viele Jahrzehnte lang bei Hof und beim Volk von Wien in großer Beliebtheit stand, erhebt sich nur ein einfacher, vornehmer Grabstein aus grauem Marmor. Und dennoch: keine schönere Ruhestätte ließe sich für ihn, den abgeschiedenen Weltfrohen, denken als jenes noble Mal da draußen auf dem fast vergessenen Josefsdorfer Friedhof, unter Bäumen, am Rand einer Wiese, die Kuppe des Kahlenbergs zu Häupten.

Ebenso schlicht oder noch schlichter als de Lignes Stein waren die Grabui äler, die man in jenen frühen Dezennien des vorigen Jahrhunderts Edelleuten und angesehenen Bürgern setzte: aus gelblichem, verwitterndem Sand stein, kaum mannshoch, mit einer Tafel für die Inschrift und einen frommen Spruch. Manchmal figuraler Schmuck, sparsamer Zierat, ein Blütenkranz, ein kleiner geflügelter Genius, eine zu Boden gesenkte Fackel — Ausdruck echter Empfindung, biedermeierlich- sanfter Griechensehnsucht, stiller Totenklage.

MACHTVOLL, ABER WIE EIN TRAUERMARSCH mit Tubaklang und Beckenschlag wirkt das Schaugepräge auf den großen Wiener Nobelfriedhöfen der Ringstraßenzeit. Das ist der hallende Ruf an die Nachwelt, das Rauschen der Fittiche des Todesengels, die große Gebärde der Beweinung. Wohl in keiner anderen Form kommt aller Prunk und alles Pathos jener dem Überschwang verhafteten Zeit so stark zum Ausdruck wie in der Grabmalkunst (Kunst cum grano salis), in den kuppeltragenden, säulengezierten Mausoleen und den monumentalen Grüften.

Damals waren nicht nur die Totengräber am Werk, wenn es galt, den Gottesacker zu bestellen, nicht nur die Steinmetze, die den Marmor bearbeiten, Kreuze, Namen und Jahreszahlen eingravieren — nein, zwischen den Reihen der Gräber gab es immer wieder Baustellen und Gerüste. Man errichtete Bauwerke, in die nur das Schweigen, die Starre, die Düsternis ihren Einzug halten sollten. Die Friedhofswege wurden zu Straßen mit Totenpalästen und Denkmalen. Renaissance- und Barockgräber weltlicher und geistlicher Fürsten in den Kathedralen Europas gaben manche Anregung. Feierlicher Marmor und ernste, pompöse Bronze bestimmen die Szenerie in vielen Partien des Zentralfriedhofs, in Hietzing und in Döbling. Für den Döblinger Friedhof beispielsweise schufen im Lauf der Jahrzehnte dreiundachtzig Künstler Grabmalskulpturen.

Verhältnismäßig wenige solcher großen Aufträge für Architekten und Bildhauer kamen von den Adelsgeschlechtern. Der Edelmann aus altem Geblüt ruht unter seinem Wappenschild, das ist genug. Es war die bürgerliche Hochfinanz, die Männer am Steuer der Zeit, die Stützen des Staates und der Gesellschaft. Sie stammten aus schlichten Familien und hatten „Häuser" begründet, die Gegenwart gewonnen, die Zukunft gesichert. Ruhig konnten sie die Augen schließen, die Hinterbliebenen bedeckten sie mit kostbaren Bahrtüchern und entzündeten die Totenleuchten auf hohen, silbernen Kandelabern.

Während die Habsburger in Kaiser Josephs einfachen Kupfersärgen beigesetzt wurden, schufen sich die stolzen Untertanen eindrucksvolle Monumente. Die Verpflichtung zur Repräsentation reicht über den Tod hinaus. Den selbstbewußten Blick der Nachwelt zu- gewandt, bekrönen die Porträts der Verewigten als bärtige Idealköpfe über Salonrock und Busennadel in leuchtendem Alabaster Grabstein, Tumba oder kunstvollen tektonischen Aufbau. Und goldene Lettern, wie auf alten Prachtausgaben, verkünden, wer sie gewesen …

DOCH DER NACHGEBORENE be achtet kaum die Namen, Titel und Würden, die auf den Leichensteinen verzeichnet stehen. Auf ihn wirken die Plastiken, die lebensgroßen und mächtigen Figuren in ihrer theatralischen Erhabenheit. Steinerne Frauen sind es meist, in langen, wallenden antikischen Gewändern. Gestalten, wie von Anselm Feuerbach inspiriert und auf dieser letzten Bühne zur heroischen Haltung großer Burgtheatertragödinnen gesteigert. Unter den Arkaden des Zentralfriedhofes erblickt man, Monument neben Monument, die pathetische Szene der Beweinung. Man schreitet auf den Wegen eines Zwischenreiches, am Rande des Seins, begrenzt von Traum, Empfindung und Furcht. Der fahlbraune Staub schafft seltsame Schattierungen auf den Formen, das Licht ist matter unter den Wölbungen. Ein nebelgrauer Dämmer scheint von den Plastiken und Grabsteinen auszustrahlen. — Viele dieser Szenen sind stumme Monologe: gesenkten Hauptes, in fast drohend ruhiger Trauer emporgerichtet, so steht die Hüterin über der Gruftplatte — oder sie ist in dramatischer großer Gebärde der Totenklage über die Steinblöcke geworfen, von den Drapierungen umflossen. So ist auch, der Wolter-Schrei zu Marmor erstarrt.

DÄMONENGLEICHE FRIEDENSENGEL, die keine Tröstung spenden, thronen in lebensferner Majestät über den Gräbern. Die Genien sind nicht mehr olympisch nackt wie im Biedermeier, sondern faltenreich verhüllt. Sie haben die edle, lichte Weite der Alten verloren, dafür umweht sie das Pathos, und ihre Schwingen sind gewaltig. Wenn sie sie regten, höbe sich ein brausender Sturmwind über den Leichensteinen.

Auf dem Döblinger Friedhof kann man einen besonders eindrucksvollen Todesengel sehen. Entfernt erinnert er in der Haltung au Rodins „Bürger von Calais“. Die große Bronzegestalt ist an einen riesigen Stein geschmiegt. fast wie damit verwachsen. Weit sind die Flügel ausgebreitet, furchterregende, raum- und zeitgreifende Fittiche eines Adlers der Finsternis zwischen den Welten. Das Gesicht bedeckt der Genius mit den sehnigen Händen, wie ein Verdammter, der unter dem Fluch stöhnt. Leid und Jammer in die Schöpfung bringen zu müssen. Zu seinen Füßen liegt ein toter Schwan, als Sinnbild aller Schönheit, die vergehen muß …

Doch alle jene Symbolgestalten sind keine Visionen jenseitiger Wesen. Der Monumentalplastiker der Ringstraßenzeit huldigte einem sehr ausgeprägten Realismus. Der Faltenwurf erscheint nach ateliergerechter Dränierung gemeißelt, die anatomischen Verhältnisse sind getreu nach dem lebenden Modell wiedergegeben, viele der Genien zeigen mit ihren Blößen überzeugende, gänzlich diesseitige ‘Weiblichkeit. Eine seltsame absurde Verbindung von überdimensionierter Körperlichkeit und der Vergeistigung des Totenkults. Makart ist ins Makabre übertragen, und solche Darstellung des menschlichen Leibes erscheint in Wahrheit „toter als tot", kälter als der amorphe Stein. Im Faltenwurf nistet mit der streifigen, schwarzen Verwitterung die Verworrenheit pompöser Gefühlsmanifestationen.

Im Laufe der Jahrzehnte ändern sich allmählich die Auffassungen über den plastischen Schmuck der großen Grüfte. Der heidnische Genius, der milde Engel, die übermenschliche trauernde Frauengestalt in ihrer allgemeinen Symbolik erscheinen den Industriellenfamilien zuwenig charakteristisch. Ihre Ruhestätten sind ihre Ruhmesstätten, und die Figuren, die sich über den Gruftplatten erheben, sollen Sinnbilder des irdischen Wirkens der Verstorbenen sein. Zuerst meißelt der Bildhauer noch die her-

„Sehn S’, to war er!"

kömmlichen antikisierenden weiblichen Gestalten, die er höchst anachronistisch mit den Attributen der neuen Epoche ausstattet: mit Hammer und Zahnrad, um sie als gültige Personifikationen der Industrie zu kennzeichnen. Aber später, um die Jahrhundertwende, will man sinnfälligere Darstellung. Das Berufsleben des teuren Verblichenen bietet dankbare Motive für gefällige Reliefs. Als treue Trabanten sind die Untergebenen um das Grab vom „Herrn Chef“ versammelt, Arbeiter mit Schurz und aufgekrempelten Hemdärmeln, und Männer aus den Kontoren in adretten Salonröcken.

In diesem Sinn ist auch das Grab eines Reitergenerals auf dem Zentralfriedhof gestaltet. Der Exzellenzherr wurde einige Jahre vor Ausbruch des ersten Weltkrieges zur Großen Armee abberufen. Er war von den Ulanen gekommen, und so hält denn auch ein sandsteinerner Ulan bei seinem letzten irdischen Quartier Wache, natürlich vorschriftsmäßig adjustiert, en parade, mit umgehängtem Pelz, Patronentaschen am Leibriemen, den Säbel an der Seite und die roßschweifgeschmückte Czapka ehrfurchtsvoll in der Hand. — Ein stilistischer Vorläufer der vielen, vielen Kriegerdenkmäler auf den Kirchenplätzen des Landes.

ZWISCHEN GRÄBERN UND BUSCHHECKEN erblickt man plötzlich das vollplastische Abbild eines sehr bürgerlich wirkenden Mannes, ja man könnte es geradezu eine Begegnung nennen. Der Süden liebt solche Grabmalskulpturen von einer fast panoptikalen Realistik. Über dem Hügel ist, kaum durch einen Sockel erhöht, der Verstorbene selbst dargestellt, so groß, wie er eben war. Auch auf Wiener Friedhöfen gibt es einige derartige Denkmäler: freundlich dreinblickende kahlköpfige bärtige Herren mit exakt ausgeführten Westenknöpfen. Einer von ihnen trägt sogar Joppe und Ledergamaschen, wahrscheinlich war er Oberforstrat. Sie sitzen bequem in einem Fauteuil oder auf einem Baumstamm, ganz so, als hätten sie eben Platz genommen.

PLASTISCHE APHORISMEN, überraschende figurale Pointen, Effekte in Carrara und Bronze. Neben Unikaten „von Meisterhand“ auch Serienerzeugnisse aus wohlfeilerem Material und in kleinerem Format. Pietätskonfektion. Noch in den zwanziger Jahren erschienen in einer weitverbreiteten deutschen Familienzeitschrift Inserate folgenden Wortlauts: „Grabmale, in Form und Ausdruck vollendet, entwirft und liefert einschließlich Aufstellung in jedem Gestein und Metall nach allen Orten des In- und Auslandes N. N., Kunststätte für Kirche und Friedhof.“

VOLL SARKASMUS definierte der amerikanische Schriftsteller Ambrose Bierce das Mausoleum als das „letzte und komischeste Narrenstück der Reichen". Eines der seltsamsten Mausoleen Wiens befindet sich auf dem Ober-St.-Veiter Friedhof. Es ist die Ruhestätte eines Wagnerianers. Das efeuüberwachsene Tor aus schweren Steinblöcken gefügt, die metallenen Türflügel mit gebuckeltem germanischem Zierat. Der Beschauer blickt durch das Gitter ins Innere — es liegt im Halbdunkel. Und dann sieht er, in mattem Marmorläuchten, groß, wie aus der Weite der Saga emporgewachsen, die drei Nomen, das Seil in den Händen, den Weltquell zu Füßen.

Mit Tubaklang und Beckenschlag .

JENE WEITLÄUFIGEN NOBELFRIEDHÖFE sind die Landschaften einer versunkenen Gefühlswelt. Es währte nicht lange und Europa trug diese alte Zeit des Pathos, des Faltenwurfs und der großen Gebärde zu Grabe und setzte ihr ein gigantisches Mal aus unerbittlichem Stahl.

Die bewegte Szenerie der Male aus Marmor und Bronze verliert sich in den neuen Teilen der Friedhöfe. Einfache Steine und schmiedeeiserne Kreuze in den überlieferten Formen aus den bäuerlichen Gottesäckern der Heimat. Das unruhige Spiel der Konturen mündet in die Klarheit des Symbols mit seinem einfachen Zierat. Kein steinerner Hüter steht an diesen Ruhestätten. Sie sind in der Hut des Herrn.

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