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Gustav Klimt als Zeichner

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Zwei bedeutende Ausstellungen — in der Albertina und in der Galerie Nebehay — sind dem 100. Geburtstag Gustav Klim'ts, der am 16. Juli 1962 zu feiern war, gewidmet. In eindrucksvoller Fülle zeigen sie die Entwicklung des Künstlers in seinem graphischen Werk und geben die Möglichkeit, die Größe seiner Persönlichkeit innerhalb der österreichischen Kunst und der gesamteuropäischen Entwicklung um die Jahrhundertwende zu erkennen und abzuschätzen. Fundament war die eminente zeichnerische Begabung, die sich schon in den Schülerarbeiten (bei Nebehay sehr aufschlußreich vertreten) zeigt. Klarheit und Präzision im Erfassen verbinden sich hier bereits mit besonderer Betonung des Umrisses, der weniger die plastische Umfassung der Formen als den Wohllaut des Linienflusses suchte. Diese Veranlagung, die den Tendenzen seiner ersten wichtigen und ihm an Begabung weit unterlegenen Anreger (Alma-Tadema, Leighton, Khnopff und Toorop) entgegenkam, führte Klimt auf einen Weg, der in eine Teilentwicklung der europäischen Kunst, die des „art nouveau“, des „Jugendstils“, mündete, die ihrerseits wesentliche Elemente der Gesamtentwicklung in sich barg. Ihr einen spezifisch österreichischen Ausdruck gegeben zu haben, ist die unbestreitbare Größe Klimts.

Die Auswahl det Zeichnungen — gegen 250 in der Albertina, 150 bei Nebehay aus wahrscheinlich tausenden in alle Winde verstreuten, verschollenen — zeigt ihn als Künstler mit der schlafwandlerischen Sicherheit begabt, die dreidimensionale Plastizität des menschlichen Körpers auf ein expressives, ästhetisches Lineament in der Fläche zu reduzieren. Der Verlust an Tiefe wird durch den Zusammenhang der bewegten Linien zu ersetzen versucht, die Dramatik des Raumes durch die bewußt ausgespielten Gegensätze von angedeuteten ..Patterns“-Mutern (Gewand und Haare) zur Haut und zum nackten Fleisch Es ist kein Zufall, daß Klimts Hauptwerk der Frau und ihrem Körper gewidmet ist, und es fällt schwer, ihn nicht im Zusammenhang mit Schnitzler zu sehen. Die Akte und Gestalten Klimts in ihrer noblen und süßen melancholischen „morbidezza“ gehören wie die Figuren Schnitzlers soziologisch der „Haute Bourgeoisie“ Wiens jener Zeit an. Wie jene scheinen sie Masken und keine Gesichter zu tragen und offenbaren einen Eros, dessen Wesen im Vorübergehen eines wehmütigen lustvollen Augenblicks liegt. Das Transi-torische ist es, das die Zeichnungen Klimts auszeichnet. In Sekundenschnelle entstanden, sind ie die Schüsse des Jägers nach dem fliehenden Wild, das Greifen und Haschen nach dem Augenblick der Inspiration, in dem sich Erlebnis, Auge und Hand zu einem aristokratischen Gleichnis der Vergänglichkeit, des Schönen vereinen. E ist kein Zufall, daß Klimt nach seinem Besuch in Paris, 1909, ein Jahr lang keinen Pinsel mehr angerührt hat. Die darnach entstandenen Arbeiten zeigen in ihrem fasernden Strich und der gleichzeitig manchmal stärker auftretenden Betonung plastischer Elemente den Trieb, der Lok-kung eines Tode in Schönheit zugunsten der Wahrheit zu entgehen. Es ist nicht leicht, einer der beiden Ausstellungen den Vorrang zu geben. Leidet die der Galerie Nebehay unter der Begrenzung des Raumes, so wirkt in der Albertina die Gleichförmigkeit der Zurschaustellung in der ..Alten Albertina“ lähmend monoton. Dennoch sollte niemand, der die eine Ausstellung sah, die andere versäumen. Aus beiden sind wertvolle Erkenntnisse zu holen, die vielleicht endlich einmal zu einem maßstabgetreuen Bild Klimt beitragen mögen. Ein seltsames Geschick wollte, daß er als Dreißigjähriger und als Fünfundfünfziejähriger einstimmig vom Professorenkolleeium der Wiener Akademie als Professor vorgeschlagen und beide Male vom Ministerium abgelehnt wurde.

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