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Gustav /Maklers erstes Engagement

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Unter den Jünglingen, die im Herbst 1875 zum ersten Male den Prachtbau Hansens betraten, um am ehrwürdigen Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien in die Geheimnisse der Musik eingeweiht zu werden, war wohl keiner von solch ehrfürchtiger Erwartung erfüllt wie jene beiden Adepten, die der unstillbare Drang zur Kunst, das untrügliche Gefühl echter Berufung diej Gymnasialstudien in der Heimat hatte abbrechen und nach Wien eilen lassen: Hugo Wolf und Gustav Mahler. War im Hause des südsteirischen Lederers in Win- dischgraz der Erlaubnis der Eltern, sich der Musik widmen zu dürfen, ein schwerer Kampf vorangegangen, so mag der Iglauer Kaufmann wohl auch einige Sorge empfunden haben, als sein Aeltester — ein früher geborenes Kind war frühzeitig verunglückt, und zehn jüngere waren nachgefolgt — den Weg zur Kunst einschlug. Aber während Vater Wolf (1887) dahingehen mußte, ehe die Kunst seines Sohnes sich durchgesetzt hatte, konnte Bernhard Mahler ein Jahr später (1888) noch die Freude erleben, seinen Sohn als Direktor der königlichen Oper in Budapest zu wissen.

Wolfs Konservatoriumszeit nahm bekanntlich ein vorzeitiges abruptes Ende. Mahler, der mit Ueberspringung der „Vorbildungsklasse“ sogleich in den ersten Jahrgang der Klavierausbildung aufgenommen worden war, verließ erst im Juli 1878 mit dem Abschlußdiplom in der Hand die Anstalt. Julius Epstein, Robert Krenn und Robert Fuchs waren in Klavier, Theorie und Komposition seine Lehrer gewesen; daß Mahler den Unterricht Bruckners genossen hätte, ist Legende. Dennoch stand er zum Florianer Meister in persönlicher Beziehung und fertigte auch den im Verlag Bösendorfer und Rättig erschienenen Klavierauszug zu dessen III. Symphonie an.

Hatte Hugo Wolf während und nach seiner Studienzeit das Bedürfnis, seine begonnen

Gymnasialbildung zu vervollständigen — or läßt sich Lehrbücher von zu Hause schicken —, so unterzog sich Mahler sogar der Maturitätsprüfung am Iglauer Gymnasium, auf di er sich privat vorbereitet hatte. Daneben mußten Klavierstunden dem beschränkten Zuschuß nachhelfen, den der Vater zu leisten imstande war.

Immer gebieterischer machte sich das Muß geltend, dem Unsicheren einer derartigen Existenz eine reale Grundlage zu geben. Der Verleger Rättig riet zur Dirigentenlaufbahn, und als nun im Jahre 1880 ein Agent die Vermittlung als Kapellmeister an das Kurtheater nach Bad Hall (Oberösterreich) anbot und auch Professor Epstein dazu riet, nahm Mahler an.

Wenn man heute in Bad Hall nach dem Theater fragt, wird man zu einem hübschen Bau gewiesen, der derzeit hauptsächlich als Kino verwendet wird. Es wäre aber weit gefehlt, hier die einstige Wirkungsstätte Gustav Mahlers zu vermuten. Der erste Verwalter der Landeskuranstalten in Bad Hall (1855 bis

1882) , Josef Hermann Hillischer, hatte vielmehr in seinem Bemühen, den Kurgästen die Zeit zu verkürzen, in dem zu seinen Villen gehörenden Park einen kleinen Holzbau errichten lassen (siehe Abbildung), dessen noch erhaltene Ansicht ein einstöckiges Häuschen im Stile der damaligen Landhäuser zeigt. Wenn nicht oberhalb des Eingangs eine Holztafel mit der stolzen Aufschrift „Theater angebracht wäre, könnte man höchstens aus den beiden Türmchen an den Ecken des im ersten Stockwerk umlaufenden Balkons auf einen besonderen Zweck des Baues schließen. Heute ist allerdings von diesem Musentempel, dessen Obergeschoß im Jahre 1921 abgetragen wurde, nur noch eine Art Schuppen vorhanden, in dem noch vier Türrahmen mit den Aufschriften Loge 7, 8, 9, 10 die einstige Verwendung des Gebäudes (bis

1883) dokumentieren.

Ein noch erhaltenes „Inventar des Sommer-

theaters zu Hall gibt nebst genauer Beschreibung der vorhandenen Sessel und Bänke den Fassungsraum des Theater an: 16 Logen mit echs Stühlen, 66 Plätze auf der Galerie, 16 Parterreplätze und einige Klappstühle auf dem Balkon.

Welches Kino würde sich heute mit einem Publikum von 200 Personen begnügen? — Die Bemerkung: „Alles richtig übernommen, Carl Ludwig Zwerenz, Hall, am 30. Mai 1878“ ruft die Erinnerung an einen Namen wach, an dessen guten Operettenklang sich o mancher auch heute noch erinnern mag.

Als Gustav Mahler an dieses Theater verpflichtet wurde, war Viktor Berthal Direktor des Kurtheaters. Wie bescheiden das Personal in diesen Jahren war, mag aus dem noch erhaltenen „Souvenir zum Abschied“ erhellen, das der Zettelausträger der Saison 1875/76 dem Publikum widmete. Darnach umfaßte damals das darstellende Personal 11 Herren und 8 Damen. Das Repertoire war überaus reichhaltig. Im Juni wurden 17, im Juli 14 und im August 11 Stücke gegeben. Findet man im Repertoire Millöckers „Drei Paar Schuhe“, von Offenbach „Blaubart“, „Orpheus in der Unterwelt“, „Die Prinzessin von Trapezunt“, so erscheint der Spielplan für die damalige Zeit durchaus nicht antiquiert. Viel dürfte sich bis zum Jahre 1880 wohl nicht geändert haben. Wenn allerdings 1876 der Kapellmeister auch dem darstellenden Pertonal angehörte, war dies bei Gustav Mahler wohl kaum noch der Fall. Gespielt wurde nach einem Zeugnis aus dem Jahre 1882, „da dieses Theater ein Holzbau ist, nicht bei Beleuchtung, sondern nachmittags um zirka S Uhr“. In der Umgebung der „Arena“ war deshalb auch das Rauchen verboten. Das Orchester wurd „von der Kurmusik gestellt“.

Wir sehen also den 20jährigen Jüngling während des Sommers 1880 in Bad Hail Operetten und Possenmusik dirigieren. Ob er — wie Hugo Wolf während seiner kurzen Kapellmeistertätigkeit in Salzburg — den Operettensängern während der Probe aus Tristan“ vorspielte, statt ihre Partien einzustudieren, wissen wir nicht. Es sähe Gustav Mahler nicht ähnlich. Man wird vielmehr annehmen dürfen, daß er auch an diesem Miniaturtheater seine Pflicht getreulich erfüllte, wenngleich die Gage mehr als bescheiden war. Im Besitz der Enkelin Josef Hermann Hillischers in Bad Hall befindet sich noch eine Liste mit der Ueberschrift „Bezahlte Gagen an die Mitglieder des Theaters 1880“ mit der Empfangsbestätigung des „Herrn Kapellmeisters“ (Abbildung 2). Den Empfang von 15 Gulden durfte er für die Zeit vom 16. Juni bis 1. Juli quittieren, von denen allerdings für den Agenten gleich 75 Kreuzer, also fünf Prozent, abgezogen wurden. (Dabei war dies nicht einmal das geringste der Honorare, die am Haller Kurtheater gezahlt wurden. Sie bewegten sich zwischen 25 und 50 Gulden.) 30 Gulden im Monat, dazu ein Spielhonorar von 50 Kreuzer für jedes Dirigieren war der Preis, um den das Bad Haller Kurtheater einen Sommer lang den Künstler am Dirigentenpult stehen hatte, der drei Jahre später königlicher Musikdirektor in Kassel und weitere fünf Jahre später Direktor der Budapester Oper sein sollte, ehe er von 1897 bis 1907 das erste Opernhaus der Welt, die Wiener Hofoper, zu ungeahnter Höhe emporreißen sollte .

Vielleicht wäre in den Jugendbriefen Mahlers, die vor kurzem in Wien versteigert wurden und in unbekannte ausländische Hände gelangten, noch manche Ergänzung zu diesen wenigen Erinnerungen an Mahlers erstes Engagement zu finden.

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