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Eine Salzburger Ausstellung über Gesten in der Kunst seit dem 16. Jahrhundert.

Auf einer großformatigen Fotografie umschließt eine Hand mit acht Fingern eine US-amerikanische Waffe. Drei Finger zuviel verleihen dieser Darstellung besonderes Gewicht. Die Hand ist in ihrer Anatomie verändert und damit gestört in der Erkenntnismöglichkeit des Be-Greifens, auch im übertragenen Sinn. Mit einer Reihe von Foto- und Video-Arbeiten haben Schülerinnen und Schüler der HTL Salzburg/ Bereich Medientechnik einen Vorspann zur diesjährigen Sommerschau der Residenzgalerie Salzburg gestaltet, der den Besucher einstimmt auf die "Beredten Hände". Die neue Themenausstellung ist auf den Sammlungsbestand als Barockgalerie ausgerichtet und damit im Ablauf - ungewohnt - chronologisch rückwärts konzipiert.

Das gesprochene Wort mit entsprechender Haltung oder Gebärde der Hände zu begleiten, dürfte so alt sein wie das Menschengeschlecht selbst. Als Mittel der Kommunikation, der Abwehr oder Zustimmung, als Ausdrucksmöglichkeit für Gefühle sind Handgesten natürliche Zeichen, die über Zeiten, geschlechtsspezifische und kulturelle Unterschiede hinweg verstanden werden können. Erst mit der kultivierten Verfeinerung und dem gezielten Einsatz von Gesten seit der Antike - im Schauspiel und davon abgeleitet in der Redekunst - entsteht jener differenzierte Kanon, der erlernt werden muss, will man dem gesprochenen Wort entsprechend Aus- und Nachdruck verleihen. Gesten (lat. Gestus = Haltung, Gebärde) und Rhetorik sind Teil des öffentlichen Lebens- und Bildungswesen in der attischen Demokratie, gehören zu männlich(!) wirkungsvollem Auftreten, wie Cicero für den Redner einfordert, um der Wahrheit der Logik zum Sieg zu verhelfen über jene der bloßen Emotionen(!). Auch die bildende Kunst, Malerei und Bildhauerei finden mit ausgewählten Handgesten das gewünschte Mittel, Handlung ohne Worte für den Betrachter lesbar zu machen. Über Jahrhunderte währt der berühmte Wettstreit zwischen bildender Kunst und Poesie. "Wir Künstler müssen mit den Händen reden", erklärte der Maler Annibale Carracci (1560-1609) in einer Zeit, in welcher die Rezeption antiker Rhetoriklehrbücher - vor allem des M. F. Quintilian (1. Jahrhundert) - große Bedeutung erlangte.

Handgesten sind auch heute Bestandteil privater und öffentlicher Kommunikation, natürlich oder erlernt und als Gebärdensprache für Gehörlose besonders ausgebildet. Die spezifische Gestik macht die Hand zum Bedeutungsträger. Auch zeitgenössische Künstler bevorzugen den Einsatz von Fotografie und Video zur Auseinandersetzung mit der eigenen Körperlichkeit. Die Hand wird zur Metapher für drohende oder erlittene Verletzungen wie in den "Selbstbemalungen I" (1964) von Günter Brus, vor allem auch in der feministischen Kunst, die Aspekte des Ich-Du, des Sich-Öffnens und Sich-Verschließens auslotet.

Die Darstellung der Hände als Sinnbild individueller Befindlichkeit des Künstlers oder des Porträtierten findet sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, etwa in - leider nicht gezeigten - Werken Egon Schieles oder Oskar Kokoschkas. Eine markante Gestik zeigt Käthe Kollwitz in "Losbruch" (1902) mit der Rückenfigur der "Schwarzen Anna", die mit hochgerissenen Armen die aufständischen Bauern antreibt - ein Motiv, das, in der Antike als unkontrolliert, unmännlich verachtet, abgewandelt weit in unsere Zeit hineinreicht.

Die bereits im 19. Jahrhundert einsetzende Individualisierung einer freien, spontanen Körpergestik steht in krassem Gegensatz zu den noch im 18. Jahrhundert manieriert übersteigerten Attitüden höfischen Gebarens, zu jenen Hand- und Körpergesten, die selbst Zeitgenossen als verlogen enttarnten. Ferdinand Georg Waldmüllers "Kinder am Fenster" (1853) und "Gesellschaft im Schlosspark" von Franz Christoph Jannek (1703-1761) bieten sich u.a. zum Vergleich an.

Für die Künstler des 16. und 17. Jahrhunderts verbindet sich ein Höchstmaß an Ausdrucksfähigkeit mit der Kunstfertigkeit, Handgesten kompositorisch und ikonografisch möglichst differenziert einzusetzen; deren Deutung ist zum Verständnis der teils komplexen Inhalte unerlässlich.

Als eine Art Musterbuch erschien 1644 die Publikation des englischen Mediziners John Bulwer, in der natürliche Handgesten (Chirologia) und die Kunst der Handrhetorik (Chironomia) bildlich und begrifflich dargestellt sind. Vergrößerte Schautafeln aus dem Werk Bulwers geben dem Besucher die Gelegenheit, auch heute noch gängige Handgesten zu entdecken, vor allem aber jene, die den Malern des Barock als Vorlage dienten, Gesten u.a. des Argumentierens, Zeigens oder Erstaunens, des Inbesitznehmens, der Verspottung, des Nachdenkens und Zweifelns. Eindrucksvolle Beispiele finden sich u.a. in Werken von Simon Vouet, Paul Troger, von Franz Anton Maulbertsch, von Arent de Gelder oder von Karel ÇSkreta. Nicht übersehen sollte man in der Sammlung das "Selbstporträt" von Gerard Dou mit der Geste der Künstlerhand sowie Rembrandts "Alte Frau" mit den betenden Händen.

Die Ausstellung wird mit ausgezeichneten Textbeiträgen im Katalog um wichtige Aspekte ergänzt, u.a. "Zur geisterfüllten Hand als Bedingung der Kultur" (Wolfgang Speyer) mit dem Verweis auf die Hand, die Segen oder Fluch bedeuten kann, auf die enge Beziehung zwischen Seh- und Tastsinn und damit Goethe zitierend: "... Sehe mit fühlendem Aug', fühle mit sehender Hand".

Beredte Hände

Die Bedeutung von Gesten in der Kunst des 16. Jahrhunderts bis zur Gegenwart

Residenzgalerie Salzburg

Residenzplatz 1, 5010 Salzburg.

www.residenzgalerie.at

Bis 1. 11. Di-So 10-17 Uhr

Katalog hrsg. von Gabriele Groschner,

247 Seiten, brosch., e 17,-

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