6597228-1953_14_08.jpg
Digital In Arbeit

Hier rollt das Gold

Werbung
Werbung
Werbung

Auf dem Platze vor dem Hotel „Norman-die“, von dem vor einiger Zeit noch die blauweiße Flagge der UN und der Schlichtungskommission von Palästina wehte, brüllen stimmgewaltige Männer die Taxis nach Damaskus aus, und auf den Straßen der Stadt herrscht der regste Automobilverkehr zwischen dem Mittelmeer und dem Stillen Ozean. Menschen aller Rassen und Farbtöne wirbeln wie in einem Ameisenhaufen durcheinander. Tarbuschtragende Bürger und Beamte, Wüstenarbeiter auf Urlaub mit weiter goldbesetzter Abbayah, Beduinen im weißen Burnus, Offiziere in blauer Uniform und weißer Schaffellmütze, dazwischen halbnackte Gassenjungen, amerikanische Studentinnen und Angestellte der Oelgesellschaften und fremden Handelshäuser, Seeleute aller Nationen, Priester der verschiedensten Religionen, bestimmen das fesselnde Stadtbild.

Das ist der Empfang, den Beirut dem fremden Reisenden bereitet.

1941 wurde Libanon durch englische Truppen und De-Gaulle-Streitkräfte besetzt, aus dem früheren Mandatsgebiet herausgebrochen und zur unabhängigen Republik erklärt. 1944 konnte sich die erste eigene Regierung konstituieren, und mit diesem Schritt in eine neue Geschichtsepoche wurde in dem jungen Staat der alte Geist der Phönizier wieder lebendig.

Knapp 1,2 Millionen Menschen besiedeln eine Bodenfläche von nur 9000 Quadratkilometern. So ist Libanon das kleinste, aber wohl das regsamste und farbigste aller arabischen Länder. Wohl nirgendwo in der Welt leben, wie hier, so verschiedene Völkerschaften, Religionen und Rassen eng und friedlich bei- und miteinander. Und in keinem arabischen Staat ist das christliche Element so stark vertreten wie in Libanon.

Das wird einem auf einem Gang durch die Hauptstadt klar. Hier residieren eine apostolische Delegation, die Erzbischöfe der mit der römisch-katholischen Kirche uniertcn Maroniten der“ griechisch-melchitischen Gemeinschaft, die den byzantinischen Ritus mit der arabischen Liturgiesprache verbinden, der schismatisch-melchitischen Christen, der syrisch-armenische Patriarch, neben den die St.-Josephs-Universität beherrschenden französischen Jesuiten und der protestantischamerikanischen Universität, während der Islam in der im 13. Jahrhundert zur „Großen Moschee“ umgebauten Kreuzfahrerkirche sein geistig-religiöses Zentrum hat.

Beirut, die libanesische Metropole mit ihren 250.000 Einwohnern, hat sich nicht erst in der Neuzeit zur größten Hafenstadt der Levante entwickelt. Sie besitzt eine Vergangenheit, die ihren Bewohnern noch heute im Blut steckt, war sie doch im Altertum unter den Phöniziern und Römern schon eines der bedeutendsten Handelszentren der damaligen Welt. Das heutige bunt-lebendige Völkergemisch ist wohl einerseits auf die geographische Lage der Hafenstadt und Ausgangspunkt der alten vorderasiatischen Heerstraße zurückzuführen und anderseits mag es zu einem guten Teil auch ein Ueberbleibscl aus der Zeit der Kreuzfahrer bilden, die die Stadt von 1110 bis 1291 beherrschten. Später, während voller vier Jahrhunderte, lastete auf dem heutigen Libanon, wie beinahe auf dem ganzen vorderen Orient, die harte Faust der türkischen Sultane, die 1918 durch das französische Mandat abgelöst wurde.

Mehr als ein Fünftel der vielfarbigen liba,T nesischen Einwohner drängt sich in Beirut zusammen, das, ein' zweites Tanger, nicht selten das „Schanghai des Westens“ genannt wird. Das ist Beirut: ein bedeutendes Handelszentrum, ein Reservat vielfältiger Rassen und Religionen, mit allen Trachten und Sitten des Orients, mit der modernen Technik und der Ueberheblichkeit des Westens, eine Lasterhöhle mit Prostitution und Verbrechen, mit Spionage, Oelkrieg und klingendem, rollendem Gold, eine Schmugglerzentrale für Rauschgift, Gold und Menschen. Die Menschen an der alten Phönizierküste, in Beirut und in den Häfen Saida (Sidon) und Tyrus, von wo aus einst die Baumeister Karthagos über das Meer segelten und die ersten Schiffe an den Säulen des Herkules vorbei auf den Ozean hinausfuhren, behaupten von sich, die arbeitsamsten Leute des ganzen Orients zu sein. Sicher aber sind sie die geschäftstüchtigsten an der ganzen Mittelmeerküste.

Auf der Hochebene, bis hinauf zu den alten Drusensiedlungen im Antilibanon und Hauron (Dschebel Druz), bauen Feudalherren und Habenichtse dicht nebeneinander den indischen Hanf, der, fein pulverisiert, als Haschisch den geschickten Händlern und Schmugglern tausendfältigen Gewinn bringt. Mit kleinen, klapprigen Küstenseglern und ausrangierten Motorbooten findet das kostbare Pulver, trotz Polizeifunk, Suchkarteien und strengem Ueberwachungsdienst, von den großen Schmugglerzentren Saida und Tyrus aus seinen Weg nach den Küsten Nordafrikas. Beirut aber ist der große Umschlagplatz mit einem riesenhaften Umsatz über den Land- und Luftweg nach allen Ländern Westasiens bis hinein nach Indien. Rausch-gift-, Gold- und Menschenschmusgel ist ein bedeutender Aktivposten in der libanesischen Volkswirtschaft, wenn ihn auch die offiziellen Budgets und Bilanzen schamhaft verschweigen.

Oel ist ein anderer, noch bedeutsamerer und offizieller. Bei Saida, dem alten Sidon, südlich, und bei Tripolis-El Mina, nördlich von Beirut, münden die großen Oelleitungen aus Saudi-Arabien und dem Mossulgebiet in die das Landschaftsbild beherrschenden Depots und Raffinerien. Vor etwas mehr als einem Jahr wurden in Tripolis, einer Stadt zwischen Oelhainen und Fruchtgärten, eine zweite Raffinerie und ein gesellschaftseigcner Flugplatz der Irac Petrol Company.-fertiggestellt und eine zweite Pipeline aus dem Mossulgebiet eingeweiht. Zwischen den Oel-depots bei Tripolis und der Mole von El Mina liegt dauernd eine kleine Flotte von Tankschiffen, den kostbaren Saft aufzunehmen und seiner weiteren Bestimmung zuzuführen.

Und im Süden, bei dem heutigen Saida, endet die längste Oelleitung der Welt, -die „Tapline'% die das schmutzige „Blut der Erde“ über eine Strecke von 1700 Kilometern von Quaisumah im nördlichen Saudi-Arabien durch die Sandwüsten Jordaniens und Syriens schleust. Die etwa 78 Zentimeter Durchmesser haltenden nahtlosen Röhre haben nicht weniger als 325.000 Tonnen Stahl verschlungen und fassen insgesamt über 760 Millionen Liter des köstlichen, vielbegehrten Gutes. Eine Reihe von komplizierten Pumpstationen, in Abständen von 290 Kilometern errichtet, treiben das in den Bohrgebieten gewonnene Oel täglich um etwa 106 Kilometer der Endstation an der libanesischen Küste zu. Sechzehn Tage braucht jeder Liter Oel, bis er von den Bohrtürmen in Saudi-Arabien durch die Stahlrohre gepumpt endlich Saida erreicht.

Neben Oel und Schmuggel aber läßt auch ein reger Handel und Export von Rohseide, Baumwolle, Bananen, Orangen, Zitronen, Tabak, Getreide und Sesam reiches Geld in die Kassen der Libaneser fließen. Oel füllt die Schatulle des jungen Staates mit blankem Gold, so daß die lächerlich geringen Steuern eher den Zweck zu haben scheinen, eine Form zu wahren, als die staatlichen Ausgaben zu decken. Die alteingesessenen Familien und eine stattliche Anzahl Neureicher sind mit materiellen Gütern so gesegnet, daß sie auf Minister und Staatspräsidenten und andere Respektpersonen nicht weniger hochmütig herabblicken als auf ihre eigenen persönlichen Diener.

So ist Beirut! Reichste und lasterhafteste Stadt der levantinischen Küste. Stolz auf ihren Reichtum und stolz auf ihre Leichtlebigkeit; stolz aber auch auf ihre große Vergangenheit, auf ihre berühmte Bibliothek, die weitaus bedeutendste des Orients, und stolz auf ein im Hafen liegendes Zeugnis ihres Reichtums: auf die „Grille“, Hitlers Luxusjacht, die von einem der reichen Beiruter Kaufleute aus der nationalsozialistischen Konkursmasse gerettet wurde.

So ist Beirut.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung