7108339-1995_40_24.jpg
Digital In Arbeit

Hohe Steinmetzkunst der Wandermönche

Werbung
Werbung
Werbung

Am 6. Juni 1944 landete die Zweite Britische Armee bei Arromanches in der Normandie. Unweit von dort befindet sich die kleine Kirche von Byes. Mittelalterliches Kunstwollen christlicher Missionare verbindet dieses kleine Bauwerk mit Deutsch-Altenburg, nur zwei Flugstunden entfernt, im östlichsten Niederösterreich.Es lohnt, in der kleinen Stadt zum Friedhof neben der Kirche hinaufzuwandern, liier wurde vor fast 800 Jahren eines der bemerkenswertesten Bauwerke spätromanischer Kultur errichtet: der Karner, ein unterirdisches Beinhaus mit Kapelle darüber für die Beamtenfamilien Alban und Johann Doerr. Es ist einer der besterhaltenen von 110 Karnem in Niederösterreich.

Die Kapitelle des reich gestuften Säulenportals weisen einen so hohen Qualitätsgrad von Steinmetzarbeit auf, daß auch ein Zufallsbesucher in Staunen verweilt. Nicht zwei Kapitelle sind gleich: Verschränkte Palmettenbänder, gefaltete Akanthusblätter, Korbflechtwerk, zweispurige Perl-bänder, die Palmblätter zusammenhalten und andere mehr. Die anschaulichste Form, um der Genese eines Musters nachzuspüren ist das gefaltete Kapitell, auch Pfeifenkapitell bezeichnet. Es ist ein Muster, dessen Grundzug sich oft und oft wiederholt, dessen Einzelheiten aber so verschieden wie möglich sind.

Die Steinmetze in den großen Werkstattbetrieben der Entstehungszeit dieser Kunstwerke kamen aus vielen Ländern. Jeder brachte seine Erfahrungen mit. Die Betriebe waren international tätig. „Manager” war ein sogenannter „magister principa-lis”, der gebildete Chef. Woher aber kamen die Ideen?

Irische Wandermönche, fälschlich „Schotten” genannt, wurden 1158 nach Wien berufen. Die Bezeichnung „Schotten” stammt mittelbar von den Römern. Unter Kaiser Claudius wurde der Südosten Englands als Britan-nia römische Provinz. Die Börner, die selbst Irland nie betreten haben, ga-

Jahrhundert die Westküste kolonisierten, den Namen „scoti”. Auch Schottland verdankt seinen Namen diesen irischen „scoti”, die dort seit dem fünften Jahrhundert Fuß faßten.

Anfang des 13. Jahrhunderts brachten Bauleute, die man nach Jak in Westungarn holte, Musterbücher aus Regensburg mit, dem von irischen Benediktinern 1185 gegründeten Kloster. Nach Regensburg führt die Spur. In dem dortigen ehemaligen „Schotten”-Kreuzgang von St. Jakob finden sich Kapitelle, die heute in den Chorschranken der Kirche in Verwendung sind. Eines von ihnen gleicht haargenau dem Pfeifenkapitell von Deutsch-Altenburg, allerdings um eine Pfeife schmäler. Auch in Kirchen der Normandie, etwa im Trichtertor der eingangs erwähnten Kirche von Ryes wie auch ebenso in der großen Abteikirche St. Trinite in Caen und an anderen normannischen Kunstdenkmälern sind diese Kapitelle zu finden. Mit großem Aufwand, oft unter Mithilfe der gläubigen Bevöltet. Die Kirche war es, an der sich damals das Volk eines christlichen Landes orientierte.

Wurde also die vergleichsweise einfache Form des Pfeifenkapitells in der Normandie erfunden, von irischen „stone-masons”, wie diese Steinmetze genannt wurden? In Irland selbst gibt es zahlreiche Spuren dieser - und anderer - Kapitellformen, die in der Normandie, in Süddeutschland und Österreich von den „Schottenmeistern” verbreitet wurden: Etwa in der Allerheiligenkirche in Bracebridge, an der Aula Nave-Treppe in Canterbury, die Kapitelle in Adfert, in Cormac.

Eine Vorstufe dazu, ein Faltenkapitell, entdeckte ich ganz versteckt in einer dunklen Ecke der größten irischen Kirche, der St. Patricks Kathedrale der Hauptstadt Dublin, im alten Baptisterium;

Auch in Cashel, seit dem vierten Jahrhundert Sitz der Könige der Provinz Muster im Südwesten der Insel, gibt es Pfeifenkapitelle. 1171 nahm hier Heinrich II. von England die Unterwerfung irischer Erzbischöfe und Bischöfe entgegen.

Im zwölften Jahrhundert geriet Irland unter englisch-normannischen Einfluß. In der Ortschaft Cong, im bewaldeten County Mayo, steht die mächtige Ruine einer Augustinerabtei, deren Kapitelle tadellos erhalten sind. Die Anlage wurde vom König Turl'ough O'Connor 1137 gegründet, der stilistische Einfluß ist schon deutlich normannisch. Auch dort findet sich eines der typischen Pfeifenkapitelle, neben eine reichen Zahl anderer und sehr phantasievoller Formen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung