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Holländer mit Hindernissen

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Dreifach war die Spannung, mit der man den beiden Premieren des „Fliegenden Holländers“ am vergangenen Wochenende in der Staatsoper entgegensah: Würde es überhaupt zu den vorgesehenen Aufführungen kommen? (Siehe die Kunstreferatseite der „Furche“ vom 4. März.) Wie wird es Frau Gertrud Wagner gelingen, das Regiekonzept von Wieland Wagner zu realisieren? Und wie werden sich die für Wien — und in diesen Rollen — neuen Sänger in der Premiere II bewähren?

Zwischen dem Zusatzchor und der Operndirektion kam es im vorletzten Augenblick zu einer provisorischen Einigung, so daß die beiden Premieren zum vorgesehenen Zeitpunkt stattfinden konnten. Doch mag die angespannte Situation vorher das Arbeitsklima der letzten Proben nicht gerade verbessert haben. Wir hoffen im Interesse der Oper sehr, während der nächsten Zeit von solchen Pressionen verschont zu bleiben. (Im übrigen hat der Zusatzchor bei der Aufführung seine Sache vorzüglich gemacht.)

Will man die Verwirklichung von Wieland Wagners „Inszenierung“ durch seine Witwe beurteilen, so begibt man sich auf ein recht unübersichtliches Gelände. Wir wollen es mit aller gebotenen Vorsicht betreten, obwohl man an einzelnen Stellen der Aufführung das deutliche Gefühl hatte: dies hier ist von Wieland Wagner, hier wurde etwas hinzugetan, und da, an dieser Stelle, hat die Choreographin Gertrud Wagner das Steuer des „Holländers“ ergriffen. Beweisen kann man's nicht, denn einen „Holländer“ 1967 von Wieland Wagner, für die Wiener Staatsoper kreiert (auch das ist wichtig!), hat niemand gesehen, und der Bayreuther von 1959 ist „eine andere Geschichte“ ...

Beginnen wir mit den positiven Eindrücken. Diese dominieren durchaus im ganzen ersten Bild, das, wie meist bei Wieland Wagner, symmetrisch angelegt ist: ein flacher Schiffsbug, in der Mitte das runde Steuerrad, rechts und links große, dekorativ wirkende Netze herunterhängend. Ums Steuer gedrängt, zu einer Masse gebündelt, Dalands Matrosen, die mit ihren Schwimmwesten und den zylinderartigen Hüten wie Insekten wirken. Sie sehwanken, tauziehemd, im Kollektiv und vermitteln die Illusion eines vor der Küste schlingernden Schiffes.

Hierauf folgt ein nicht mehr über-botener Höhepunkt der Aufführung, ohne Zweifel auch ein Paradestück in der Reihe von Wieland Wagners optischen Imaginationen: das Auftauchen des Holländerschiffes, großartig und faszinierend vor schwarz-rot ornamentiertem Hintergrund, grau und silbern schillernd, gefährlich phosphoreszierend: ein Super-Kubin. Hierauf — sehr eigenwillig, aber überzeugend — das Erscheinen des Holländers, ganz klein, gewissermaßen am Fuß seines Schiffes, in einem dunklen Mantel wie aus Tang, der mit Muscheln übersät ist, die wie Edelsteine blinken.

Der 2. Akt mit den singenden und spinnenden Mädchen und der sie beaufsichtigenden Amme Sentas wird immer für Bühnenbildner und Regisseure eine Schwierigkeit bilden. Er ist ein Stück „älterer“ Oper, für unser Gefühl mehr Lort-zing als Wagner. Das Raumproblem war — wieder echt Wieland Wagner — eigenwillig, aber phantasievoll gelöst: keine gemütliche Stube, sondern ein von dreifach übereinander getürmten Balken etwa bis zur Höhe der Brecht-Gardine abgegrenzter Raum, in dessen Stilisierung sich freilich weder eine Tür noch ein Wandbild fügen. Daher hängt ein Symbol des Holländerporträts, wie in einem schwarzroten Spinnennetz, im Vordergrund der Bühne — was zugleich den technischen Vorteil bietet, daß Senta mit dem Gesicht zum Publikum singen kann.

Weniger glücklich: die Gewandung Sentas und der Frauen, die im Takt mit den Armen die Spinnräder drehen, ein maschinenmäßig arbeitendes Kollektiv (je eine dreht, die andere spinnt den Faden). Die große Begegnungsszene zwischen Senta und dem Holländer wurde mit konventionellen Operngesten gespielt. Von ihr ging keinerlei Faszination aus.

Das Bild des 3. Aktes mit den links und rechts mächtig aufragenden barock verzierten Totempfählen (wie man weiß: Lieblingsrequisiten in Neu-Bayreuth) war eindrucksvoll, wenn auch nicht auf den ersten Blick einleuchtend. Aber das Singen und Tanzen der jetzt buntgekleideten norwegischen Matrosen — jeder mit einer Flasche in der Rechten! — geriet an die Grenze des Komischen, besonders im Dreivierteltaktteil des Tanzes, bei dem man den Eindruck hatte, sie seien alle am Abend vorher beim „Polterabend“ im Theater an der Wien gewesen und hätten sich dort an Kreislers neuer Kreation, dem „Chuzpeschunkelafghani-stan“ etwas abgeschaut. — Auch das sinnlose Hüpfen und Springen der Frauen und Mädchen auf der Kaimauer wirkte eher peinlich.

Aber von dem Augenblick an, wo sich das lustige choreographische Treiben beruhigt und die gespenstischen Stimmen der Holländer-Leute ertönen, wird's wieder großartig und spannend. Auch die Szene Senta — Erik — Holländer hat Intensität und Dramatik. Der Schluß — natürlich Ohne Apotheose mit den beiden im Hintergrund erscheinenden verklärten Gestalten — ist ebenfalls von großer Art.

Was die Besetzung betrifft, so konzentrierte sich das Interesse vor allem auf die neue Senta in der II. Premiere. Die junge, aus Innsbruck stammende Ina (Ingeborg) Felderer hat ein interessantes Gesicht und gleicht im Wuchs eher einer Walküre der älteren Schule. Während ihre Vorgängerin Leonis Rysanek mit einer Bronchitis kämpfte, schien ihre schöne, junge und starke Stimme plötzlich von Heiserkeit befallen, so daß einige Spitzentöne danebengerieten. — Was die Wertung der Leistung von Theo Adam als Holländer betrifft, so kommt es darauf an, welchen Maßstab man anlegt. Er war in Erscheinung, Spiel und Stimme absolut befriedigend, wenn auch nicht faszinierend (die Galerie, recht ungezogen während der ersten Premiere, zeigte sich von dem neuen Holländer begeistert). Ihren Aufgaben und Rollen in jeder Hinsicht entsprechend: Karl Ridderbusch als Daland, Waldemar Kmentt — Erik, Murray Dickie — Steuermann und Martha Modi — Amme.

Heinrich Hollreiser musizierte das Vorspiel etwas verhalten, mehr episch als dramatisch. Im Verlauf der Aufführung hatte er besten Kontakt mit der Bühne und setzte die großen Akzente energisch und genau; das Orchester ließ kaum einen Wunsch offen, nur die Zahl der „Gickser“ sollte reduziert werden. — Nicht zuletzt wegen der Zusammenziehung der Akte II und III war die Aufführung von wohltuender Kürze. (Wagners erste Fassung von 1840 weist nach dem Vorspiel keine Pause mehr auf. Aber den „Holländer“ pausenlos durchzuspielen, wagt heute wohl niemand. Daher ist die Zweiteilung ein guter, künstlerisch vertretbarer Kompromiß.)

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