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Hort der Kunst: Südtirol

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Denken wir an das Land südlich des Brenners, die Städte und Dörfer an Eisack und Etsch, an diesen Garten Gottes zu Füßen der Berge, so wird uns warm ums Herz. Vor unserem Geiste steigen Rosengarten und Schiern, die Weinberge des Mittelgebirges, die Grenzgipfel gegen die Schweiz und Oesterreich stolz und farbensatt empor, umkleidet von einem Schimmer südlicher Ueppigkeit und jener tiefen romantischen Schönheit, welche Sage und Geschichte über das Land gewoben haben. Daneben denken wir an das kerngesunde deutschsprachige Volkstum Südtirols, in dem reiche Begabung, Gemütstiefe und persönlicher Scharm sich vereinigen, an liebe Menschen, • denen wir uns zugehörig wissen.

Ebensosehr als landschaftliche Schönheit und liebenswertes Menschentum aber bindet uns an Südtirol der unerhörte Reichtum dieses Landes an Schätzen edelster Kunst. Sagen und Epen entstanden dort aus verklungener germanischer Geschichte, erwuchsen aus dem Zusammenleben mit dem ladinischen Volksstamme. Dietrich von Bern und König Laurin sind aus der schimmernden Schönheit von Südtiroler Dichtungen in das deutsche Geistesleben eingegangen. Nirgends aber erweist sich in diesem Südlande die vorherrschende Stellung deutscher Kultur so eindeutig klar wie auf dem Gebiete der bildenden Kunst des späten Mittelalters. Obwohl Südtirol als Durchzugsland Zwilchen Nord und Süd allen Einflüssen offenstand, hat es aus eigener Kraft und Tradition, aus den Schätzen der Volksseele den Kort einer Kunst geschmiedet, die innerhalb des weitgespannten Rahmens deutschen Geisteslebens keineswegs provinziell, sondern herrschend besteht. Edelste Zeugen ritterlichen Geistes sind die Eresken aus den Prunkgemächern der Südtiroler Burgen Lichtenberg und Runkelstein.

Wenn auch der aus Neustift oder Bruneck stammende Malerbildhauer Michael Pacher heute noch allein volkstümlichen Ruhm genießt und durch sein Hauptwerk in St. Wolfgang gerade für Oesterreich ein fester Begriff ;st, so haben doch seine Vorläufer, wie Hans von Judenburg und Lienhard von Brixen, seine Zeitgenossen und Nachfolger, wie Friedrich Pacher, der Brixner Hans Klocker, der Brunecker Meister der Sonnenburger Altäre und Narziß in Bozen, ihm Ebenbürtiges geschaffen.

Den Brüdern Pacher verdankt die alpen-ländische Kunst der Spätgotik die künstlerische Bewältigung des Raumerlebnisses, die herrscherhafte Sicherheit der Bildung der menschlichen Gestalt, die maßvolle Zucht ihres Ausdrucks. In den Werken von Hans Klocker und des Meisters Narziß aber fand um 1490 die religiöse Ergriffenheit der urigen Bergmenschen Südtirols allgemeingültigen Ausdruck namentlich in jenen Altarschreinen, in welchen das Wunder der Weihnacht in lebensgroßen Freifiguren verkörpert wurde. Diese bodenständige Südtiroler Kunst gewann weit über die Grenzen deutschen Siedlungsgebietes im ladinischen Raum Geltung und Verbreitung, am Nonsberg und im Fassatale so gut wie im Primör, dem Cadore und in Karnien. Noch im 16. Jahrhundert erlebte diese sakrale Kunst eine kostbare Spätblüte: 1517 schuf Georg Arzter in Bozen den herrlichen Hochaltar der Giulianakirche ob Vigo, des Stammesheiligtums der Fassaner; ein Pustertaler Bildhauer von überragendem Können vollendete 1524 in Bruneck den mächtigen Hochaltar der Pfarrkirche in der deutschen Siedlung Zahre (Sauris di sotto) in Karnien. Alle diese edlen, aus Architektur, Plastik und Malkunst gebildeten Altarwerke sind Siegeszeichen deutschen Geistes auch auf fremdem Siedlungsboden. Die Sorgfalt, mit der sie erhalten, und die Liebe, mit der sie stets verehrt wurden, bezeugen eindeutig die innere Bereitschaft, mit der diese Sendboten deutschen Geistes Aufnahme fanden.

Viel zuwenig ist allgemein bekannt, daß ganz Tirol beiderseits des Brenners und südlich davon der ganze weite rätoromanische Siedlungsraum von dem Val d'Ossola über Wallis und Tessin, Graubünden und Val Camonica bis nach dem Nonsberg und Judikarien, nach den Talschaften längs des Avisio bis nach Karnien hin vom späten 14. bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts von schwäbisch-alemannischer Kunst durch-

drungen und beeinflußt wurden. Seit ein Ulmer Meister um 1410 sein Altarwerk für Raron im Wallis (jetzt Zürich, Landesmuseum) und Hans Multscher 1456 bis 1458 seinen riesigen Hochaltar für die Stadtpfarrkirche von Sterzing geschaffen hatte, versandten Künstler aus allen schwäbischen Reichsstädten Flügelaltäre den Rhein aufwärts in das alte Rätien und über die Alpenpässe nach Südtirol; gerade die bedeutendsten, mit höchster bildnerischer Liebe geschaffenen Altäre wurden so zahlreich südwärts exportiert, daß wir eine Reihe der besten schwäbischen Bildhauer der Spätgotik und Renaissance kaum in ihrer Heimat, sondern wesentlich nur in Graubünden und im Vintschgau studieren kennen: Der Meister der Ravensburger Madonna (Friedrich Schramm?) hat nichts Bedeutenderes geschaffen als die einzigartige Pietä in Tosters (Vorarlberg): der Memminger Meister Ivo Stri-gel versandte seine kostbarsten Altarwerke nach dem Val Calanca (Tessin). der Veitskirche auf dem Tartscher Bühel (Vintschgau) und in eine kleine Bergkirche oberhalb von Klausen; einer

der allerbesten Bildhauer der Dürer-Zeit, Jörg Lederer aus Kaufbeuren, hat die herrlichsten seiner Schöpfungen für das Inntal (Schwaz, Stuben, Nauders) und namentlich für den Vintschgau vollendet, wo von Schleis bei Mals bis nach Meran hin eine Reihe dieser erlesenen Schöpfungen stand. Das Schönste unter ihnen birgt sich in märchenhafter Erhaltung noch in kleinen Kirchen, so der Spitalskirche von Latsch oder der Pfarrkirche von Göflan. Weit über diese immerhin bekannten Schätze aber geht noch das, was der Verfasser aus entlegenen Kirchen des Trcntino zu veröffentlichen gedenkt.

Nicht anders steht es in diesen Landen mit Werken schwäbischer Malkunst. Jener Maler, der 1416 in Riffian seine Erinnerungen an den in Konstanz erschauten Kaiserhof schilderte, war nicht der erste Schwabe, der in Südtirol freskierte; jener große Augsburger Maler, der um 1548 für die Grafen Madruzzo arbeitete, war nicht der letzte in dieser bunten Reihe.

Heute können wir es ruhig aussprechen: Nicht Südtirol allein, sondern der ganze rätoromanische Siedlungsraum und anschließende Gebiete Norditaliens waren von etwa 1390 bis 1550 von edelster deutscher Kunst nicht bloß oberflächlich und zufälligerweise berührt, sondern von ihr kraft geistesgeschichtlicher Notwendigkeit beherrscht und durchdrungen.

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