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„Ich bin aus einem harten Land..."

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Im Jahre 1911 veröffentlichte ein Volksschullehrer und Amateurethno- graph namens Ernst Seefried-Gul- gomski ein Buch über die Kaschuben mit dem Titel „Von einem unbekannten Volke in Deutschland“. Und obwohl seit dieser Zeit zahlreiche Stürme über Europa hereingebrochen sind und die Kaschuben schon lange nicht mehr in Deutschland leben, hat sich doch an der Tatsache, daß es sich um ein „unbekanntes Volk“ handelt, nichts geändert. Die Kaschuben gehören der slawischen Völkerfamilie an und sind — abgesehen von den Sorben — die letzten direkten Nachkommen der im frühen Mittelalter auf später deutschem Gebiet bis zur Elbe und Saale — ja teill&ei sqgä Jarüb jjftäMS ,-rn siedelnden slawischen Stämme. Diese Stemme, die Obodriten Lutizen,- Po-? laben usw., sind im Laufe des Mittelalters (die letzten Reste der Pola- ben gar erst um 1750) der Germani- sation erlegen; erhalten haben sich bis heute die Sorben und Kaschuben. Die engeren Vorfahren der Kaschuben waren die slawischen Pomora- nen des frühen Mittelalters, deren Name sich jedoch nur in der Landschaftsbezeichnung „Pommern“ (po morze = am Meer) erhalten hat.

Die Eigenart bewahrt

Heute leben die Kaschuben im Bereiche des polnischen Staates auf der Halbinsel Hel (Heia) sowie um die Städte Puck (Putzig), Wejherowo (Neustadt), Kartuzy (Karthaus) und Koscierzyna (Berent). Der kulturelle Mittelpunkt der Kaschuben — aber außerhalb des eigentlichen kaschubi- schen Siedlungsgebietes gelegen — ist Gdansk (Danzig). Das als Kaschu- bei bezeichnete Gebiet um die oben genannten Städte im Ausmaß von zirka 500 Quadratkilometer dürfen wir uns allerdings nicht als geschlossenes kaschubisches Siedlungs- und Sprachgebiet vorstellen. Bis 1945 war es reichlich von deutschen Kolonien durchsetzt, die nach dem zweiten Weltkrieg von polnischen abgelöst wurden. Vor allem in den Städten lebt heute schon nur noch eine kaschubische Minderheit. Auf dem Lande aber, in den Fischer- und Bauerndörfern, finden wir auch heute noch die autochthonen Kaschuben in überwiegender Mehrheit, die trotz aller Germanisierungs- und Polonisierungstendenzen ihre kaschubische Eigenart bis heute bewahrt haben.

Die Zahl der auf dem Gebiete der Kaschubei lebenden Kaschuben kann nur geschätzt werden, genaue statistische Unterlagen fehlen; die vorhandenen, politisch hoch brisant, geben kein richtiges Bild. Die Große Polnische Enzyklopädie des Jahres 1965 schätzt die Kaschuben auf 200.000 Seelen, mit welcher Zahl wir uns in Ermangelung besserer Quellen abfinden müssen. Erschwert wird das Problem der zahlenmäßigen Erfassung der Kaschuben noch durch das oft mangelhafte Volksbewußtsein der Kaschuben selbst, die sich teilweise aus Unkenntnis, aber auch aus sozialen Prestigegründen nicht zu ihrem Volkstum bekennen. Mit obiger Ziffer dürften wir aber den Tatsachen nahegekommen sein.

Der Name der Kaschuben ist trotz mancher Bemühung, ihn zu erhellen, dunkel geblieben. Am wahrscheinlichsten dürfte die Erklärung des polnischen Philologen Alexander Brückner sein, der den Stammesnamen der Kaschuben vom allgemein slawischen Worte für Pelzmantel („szuba“) ableitet; dazu käme die Vorsilbe „ka“ zur Bezeichnung von etwas Großem, Ungeschicktem, Plumpem, wie sie uns auch in anderen slawischen Volksbezeichnungen begegnet. Ganz befriedigt aber auch diese Ableitung nicht.

Geschichtlicher Rückblick

Die -Kaschubei tritt ÄÄt ‘

10. Jahrhundert in die Geschichte ein. Im Frühjahr des Jahres 997 besuchte der heilige Adalbert auf seiner Missionsreise zu den alten Preußen Danzig (in den Chroniken als „Gyddanyzc“ überliefert) und soll nach einer späteren Legende den dortigen Slawenfürsten getauft haben. Solche — wenn man will — kaschubische Fürsten wie Subislaw, Sambor, Mestwin usw. regierten das Gebiet der späteren Kaschubei in den folgenden Jahrhunderten unter der Oberhoheit der polnischen Pia- sten; erst Swantopolk der Große (1226 bis 1266) warf diese Oberhoheit der Piasten ganz ab und wurde dadurch der erste und einzige unabhängige Kaschubenfürst, dessen das Volk heute noch in Sagen und Überlieferungen gedenkt. Nach einer

Zeit der Unruhe besetzten am 14. November 1308 die Kreuzritter Danzig und unterwarfen sich in der Folge die ganze Kaschubei. An diesem 14. November, dem sogenannten Krwawy Dominik (dem blutigen Dominikus-Tag), metzelten die

Kreuzritter zahlreiche kaschubische Bewohner Danzigs nieder, welches Ereignis im kaschubischen Volkslied noch heute besungen wird. Erst 1466 kam das Gebiet der Kaschubei wieder an Polen, welches sich auf diese Weise den Zugang zum Meer sicherte. Im Jahre 1772 kam es zur ersten Teilung Polens. Friedrich II. marschierte in die Kaschubei ein und nahm das Gebiet für Preußen in Besitz, woran auch die napoleonischen Kriege nichts änderten. Den mit diesen Kriegen verbundenen Wirren setzte der Wiener Kongreß ein Ende, der die Kaschubei endgültig bei Preußen beließ. Nun setzte von seiten der preußischen Behörden eine konsequent durchgeführte Germani- sierungspolitik ein, die es in erster Linie auf die Schule und katholische Kirche abgesehen hatte. Dieser Druck erzeugte naturgemäß pol- nisch-kaschubischen Gegendruck, der sich unter anderem auch in der Ausbildung eiines slawisch-kaschu- bischen Nationalbewußtseins offenbarte, von dem vor der Mitte des vergangenen Jahrhunderts nicht gesprochen werden kann. Nach dem ersten Weltkrieg wurde Danzig bekanntlich eine Freie Stadt, während die Kaschubei — ohne Plebiszit — zu dem neu gebildeten polnischen1 Staat kam. Am 10. Februar 1920 stand der polnische General Haller bei Puck (Putzig) an der Danziger Bucht und konnte durch das Werfen eines Ringes in das Wasser des Meeres die Wiederverbindung Polens mit dem offenen Meer feiern.

Im Jahre 1939

Die Vereinigung der Kaschubei mit Polen brachte den Kaschuben nicht die erwarteten Entwicklungsmöglichkeiten. Die meisten höheren Stellen wurden mit Polen aus dem Inneren des Landes besetzt, und auch zum Bau des neuen Hafens in Gdynia wurden Kaschuben nur in beschränktem Maße und nur als Hilfskräfte ;il?j Rge;tf gep,.lr£s mächtigte sich daher der Bevölkerung eine gewisse Verbitterung, so daß radikale kaschubische Organisationen entstehen konnten, die den Kaschuben den Vorwurf des Separatismus einbrachten. Im Jahre 1939 brach über Danzig der zweite Welt krieg aus, der an Totalität alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte.

Gleich in den ersten Tagen des Krieges wurde die Kaschubei von den deutschen Truppen überrannt und viele tausemde Mitglieder der polnisch orientierten Intelligenz und Geistlichkeit liquidiert (allein in den Grabstätten von Piasnica bei Wejherowo ruhen zirka 12.000 Opfer dieser Maßnahmen). Aus Danzig, der Kaschubei und Westpreußen wurde der Gau Danzig-Westpreußen gebildet. Die deutsche Politik der „Eindeutschung“ der Kaschuben kam nach der Schlacht bei Stalingrad und der damit verbundenen Wende im Kriegsglück zu ungunsten Deutschlands fast gänzlich zum Scheitern, da immer mehr Kaschuben die „Eindeutschung“ ablehnten. Am 12. März 1945 besetzte die Rote Armee Wejherowo, und am 30. März 1945 hißten polnische und russische Truppen auf dem Danziger Rathaus die Fahnen ihrer Länder. Seit diesen Tagen ist die Kaschubei wieder ein Teil des polnischen Staates, diesmal der Volksrepublik Polen. Die ersten Nachkriegsjahre brachten dem kaschubischen Volk ein langsames Verheilen der Wunden des Krieges, doch sah die Stalin-Zeit der frühen fünfziger Jahre die Unterdrückung jeder kaschubischen kulturellen Tätigkeit. Erst seit dem „Polnischen Oktober“ des Jahres 1956 haben sich die Verhältnisse gebessert, und eine bescheidene kulturelle Aktivität im Rahmen eines kaschubischen Vereins ist möglich geworden.

Auch die religiösen Gefühle des in seiner überwältigenden Mehrheit gläubig-katholischen kaschubischen Volkes können sich den in Polen herrschenden Verhältnissen entsprechend entwickeln

Die Sprache der Kaschuben hat zu zahlreichen Debatten, die oft von politischen Leidenschaften überschattet waren, geführt. Wenn von deutscher Seite von der Eigenständigkeit des Kaschubischen gegenüber dem Polnischen gesprochen wurde, so sah man polnischerseits darin nur einen Schachzug im Sinne von „divide et impera“. Heute, nachdem sich die politische Lage grundlegend geändert hat, können wir das Problem wohl leidenschaftslos betrachten: Aus der geographischen Lage des Kaschubischen ergibt es sich, daß es einen Übergangsdialekt vom Polnischen zu den westpomoranischen Mundarten darstellte, als diese noch lebten. Heute besteht nur noch die Verbindung zum Polnischen, dessen ganzem kulturellen Gewicht das Kaschubische nun schon viele Jahrhunderte ausgesetzt ist, so daß es ; verständlich erscheint, wenn " Ähnlichkeiten den inläftäiitiftffi&eh“Mundarten und zur polnischen Literatursprache wachsen und sich echt kaschubische Eigenarten vermindern beziehungsweise in die äußersten nördlichen Randgebiete zurückziehen. Trotzdem weist das Kaschubische noch sehr wesentliche und charakteristische Unterschiede zu allen inland-polni- schein Mundarten auf; so ist das Kaschubische zum Beispiel die einzige westslawische Sprache mit freier Wortbetonung (also ähnlich dem Russischen).

Nun ist aber nach Meinung des Schreibers dieser Zeilen die Frage, ob das Kaschubische ein polnischer Dialekt oder eine eigene westslawische Sprache sei, nicht so sehr Angelegenheit der Gelehrten als der Kaschuben selbst. Man spricht so viel vom Selbstbestimmungsrecht, welches meiner Ansicht nach mit Erfolg auf dieses Problem angewandt werden kann: Der Kaschube hat nämlich nach meiner Erfahrung das deutliche Gefühl, mit dem Kaschubischen nicht einen polnischen Dialekt, sondern eine eigene Sprache zu sprechen.

Kaschubische Literatur

Der erste bewußte Versuch zur Schaffung einer kaschubischen Literatursprache wurde von dem kaschubischen Arzt Florian Ceynowa (1817 bis 1881) gemacht, der die erste kaschubische Grammatik, Sprichwörter, Gebete, Redensarten, ärztliche Ratschläge und sogar eine kaschubische Zeitschrift herausgab. Seine Schriften, die in einer äußerst komplizierten Schreibweise abgefaßt sind, wurden aber vom Volk wenig gelesen, so daß ihm sein eigentliches Lebensziel, das kaschubische Nationalbewußtsein wachzurütteln, nicht gelang. Er legte allerdings den Samen in die Erde, aus dem die eigentliche kaschubische Literatur hervorwuchs. Sein Nachfolger, der Dichter Hieronim Derdowski (1852 bis 1902), ging von dem Standpunkt aus, daß das Kaschubische ein „verdorbenes Polnisch“ sei, und war der Meinung, daß es sich daher nur zum Ausdruck heiterer, satirischer Inhalte eigne. Trotzdem schuf Derdowski das kaschubische Nationalepos vom Herrn Czorlinski, der nach

Puck um Netze fuhr. Der Autor läßt seinen Helden kreuz und quer durch die Kaschubei fahren, wobei er unterwegs zahlreiche komische, aber auch traurige Abenteuer hat. In dieses Epos sind auch zahlreiche didaktische und patriotische Motive eingeflochten. Einer der bedeutendsten Figuren der kaschubischen Literatur ist der Arzt Aleksan- der Majkowski (1876 bis 1938), der um seine kaschubische Zeitschrift GRYF (ab 1908 mit Unterbrechungen bis 1934) die sogenannte „jung- kaschubische Bewegung“ scharte und hiermit die kaschubische Literatur auf eine breitere Grundlage stellte. Sein Hauptwerk ist der Roman „Leben und Abenteuer des Remus“, der einzige kaschubisch geschriebene Roman überhaupt, in welchem er die Geschicke eines armen Büchertrödlers schildert, der von Dorf zu Dorf wandert und die Heimat geistig zu befreien sucht. Er scheitert zwar in seiner Mission, gibt aber auf dem Totenbett seinen Bücherwagen und damit den Gedanken an die Befreiung der Kaschubei einem Vertreter der jungen Generation weiter. Die Hoffnung auf Erfolg überlebt ihn also.

Die Vertreter der jungkaschubi- schen Bewegung aufzuzählen führte zu weit, doch seien ihre Theoretiker, der Richter Jan Karnowski (1886 bis 1939) und der Pfarrer Leon Heyke (1885 bis 1939), der von den Deutschen erschossen wurde, genannt.

Zwei neue Richtungen

Die Zeit nach dem ersten Weltkrieg ist durch die Herausbildung verschiedener literarischer Gruppen und Lager gekennzeichnet. Der Kampf der Jungkaschuben gegen die Germanisierung war durch Eingliederung der Kaschubei in den polnischen Staatsverband gegenstandslos geworden. Es entstanden daher zwei neue Richtungen, die bis heute noch ihre Bedeutung nicht verloren haben, und zwar

1. Entwicklung und Betonung der kaschubischen Eigenart und

2. Anpassen an das Polentum und Verwischen der kaschubischen Eigenart.

Zu der ersten Gruppe können wir DlüfefeSlv, und Schriftsteller Aleksander Labuda (g£h-,v!992),..J:&PaRomski (gebürl913). und vor allem Jan Trepczyk (geboren 1907) rechnen; letzerar ist ein Lyriker von beachtlichem Talent; er vertont seine Gedichte nicht nur selbst, sondern trägt sie auch vor.

Der Hauptvertreter der zweiten Richtung ist der Dichter, Schriftsteller und Philologe Leon Roppel (geb. 1912), zu dessen Hauptverdiensten die Neuherausgabe der kaschubischen Klassiker nach dem Kriege gehört. Er verwendete hierfür eine vereinheitlichte Schreibung, die wesentlich zur Verbreitung der kaschubischen Literatur beigetragen hat, da vorher die einzelnen Autoren oft von ihnen selbst erfundene — schlecht lesbare — Schreibungen anwandten. Nur in Roppel-Schrift wird heutzutage Kaschubisch gedruckt.

Erst mit der Gründung des „kaschubischen Vereins“ im Jahre 1956 und der Herausgabe seines Organs, der Zeitschrift KASZEBE (14tägig von 1957 bis Ende 1961), entstand wieder die Grundlage für eine fruchtbare Weiterentwicklung der kaschubischen Literatur. Mit der Zeitschrift KASZEBE arbeiteten erstmals in der Geschichte der kaschubischen Literatur sämtliche lebenden kaschubischen Literaten, ungeachtet ihrer Richtung, zusammen, die so ein echtes Abbild des kaschubischen kulturellen Schaffens wurde. In ihren Spalten fand auch ein neues Talent, Alojzy Nagel (geb. 1930), Ausdruck, dem man europäisches Gewicht beimessen muß. Ledder fiel die Zeitschrift KASZEBE zentralistischen Bestrebungen zum Opfer; die Kaschuben sollten aus der Masse der an der polnischen Ostseeküste lebenden Bevölkerung nicht durch eine eigene Zeitschrift hervorgehoben werden.

Wir sehen hier wieder einmal das Wirken des auf der ganzen Welt verbreiteten irrigen Gedankens, daß kulturelle Eigenständigkeit die Einheit des Staates gefährdet. Seither muß sich die kaschubische Literatur mit einem hektographierten Bulletin begnügen, dessen Verbreitung auf den kleinen Kreis der Mitglieder des kaschubischen Vereins beschränkt ist. Trotzdem greifen auch junge Leute noch zur Feder und schreiben kaschubische Geschichten und Gedichte.

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