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Im Bann der Cheopspyramide

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Als kurz vor dem ersten Weltkrieg Österreich in den Wettstreit der Nationen trat, um auch in Ägypten zu graben und die Akademie der Wissenschafen im Nilland Grabungsgelände erwarb, war es Prof. Dr. Hermann Junker, der die Exkursionen leitete. Der Ägyptologie wurde ein unschätzbarer Dienst erwiesen, und viele Lücken, die die Forschung bis dahin aufwies, konnten geschlossen werden. Eine große Bereicherung an Kunstschätzen erfuhren die Museen.

Nach einer langen prähistorischen Periode beginnt Ägyptens eigentliche Geschichte um 3000 v. Chr. König Menes aus Oberägypten verband die beiden Landes- hälften, das Delta und das Südland, zu einem geeinten Reich. Aber erst seine Nachfahren, die Pharaonen der 3., 4. und 5. Dynastie, führten jene Glanzzeit herauf, die wir das Alte Reich nennen (2800 bis 2300 v. Chr.). Es ist Ägyptens Höhepunkt, jene, Zeit, in der die Pyramiden von Sakkara, Giza und Abusir erstanden, da die steinerne Symbolsprache zur Errichtung von Sonnenheiligtümern griff, die Triumph und Auferstehung des Lichtes ausdrücken. Mit der 6. Dynastie geht diese große Zeit zu Ende und auf ein Interregnum von rund 200 Jahren folgt das Mittlere Reich, Ägyptens klassische Zeit. Nach einer abermaligen „Zwischenzeit” von etwa zwei Jahrhunderten (1790 bis 1580 v. Chr.), ausgefüllt von Niedergang, Revolution und Fremdherrschaft (Hyksos), steigt die Kurve in der Zivilisation des Neuen Reiches noch einmal an, zu Weltherrschaft, äußerem Glanz und Luxus — vom Sudan bis zum Euphrat und der Ägäis reicht jetzt ägyptische Machtsphäre. Was dann folgt, sind Jahrhunderte des Ausklangs.

Dies der äußere Verlauf. Nicht leicht ist es, den innern Kern, das Wesen dieser Kultur, mit wenigen Worten zu umschreiben. Wir sehen ein magisches Verbundensein von Makro- und Mikrokosmos, Jenseits und Diesseits, eine Fähigkeit, alles gleichzeitig von allen Seiten und Standpunkten aus zu betrachten und das scheinbar Widersprechende zu verbinden. Fäden spinnen sich vom Sichtbaren zum Unsichtbaren, und das Wissen um diese Fäden und um das Einwirken des Unsichtbaren auf das Sichtbare — das ist ägyptische Magie. Magisch ist das Identitätserlebnis mit den göttlichen Kräften, das sich Einsfühlen mit den schöpferischen Potenzen, magisch sind Kunst, Sprache und Schrift, magisch sind die Lebensäußerungen dieses Volkes. Magie dient dem Leben, ja sie ist geradezu „Wille zum Leben”. So stellen Reliefs und Malerei in den Grabanlagen nicht Erinnerungsbilder aus dem diesseitigen Leben dar, was auch Prof. Junker in einem Vortrag kürzlich hervorhob, sondern auf magische Weise sollen sie den ewigen Bestand verbürgen. Eine magische Negation des Todes ist der gesamte, großartig ausgebaute Totenkult, ist die Sitte der Mumifizierung. Die physische Form soll erhalten bleiben, um ein Gefäß gleich einem Tempel für die Seele zu schaffen, ln dem sie sich jederzeit niederlassen kann. Dahin weist auch die Statue.

Diese magische Wesensart läßt aber noch Raum für das, was man das Geistige nennt das das Leben überwindet, herausfindend aus der Buntheit der Erscheinungen in das absolute Sein: „Ich komme aus der Vielheit und gehe in die Einheit”, sagt der Ägypter. Das ist auch der tiefere Sinn von Pyramiden und Sonnenheiligtümern: Aufstieg aus der Materie zum Licht, Niederstieg des geistigen Lichtes in die Materie. Geist objektiviert sich am klarsten im Licht und darum hat auch jene Periode der ägyptischen Geschichte, in der die geistige Strömung dominant war (5. Dynastie: 2560 bis 2420 v. Chr.), den Sonnengott Re dem einen Weltgott, „der aus sich selbst entstand”, angeglichen.

Ägyptisches Ideal der Ganzheit aber ist die harmonische Verbindung von Geist und Materie. Das Geistige bedarf gleichsam eines Gefäßes, in dem es aufgefangen wird, die Materie (das Leben) verlangt nach Durchglühung vom Geistigen. Erst dieses Zusammenwirken ist ägyptische Vollendung, ist Harmonie des Alls — Ma’ät, ähnlich in der Bedeutung dem chinesischen Tao. Es ist die Weltharmonie, das Weltgesetz — Ausfluß des göttlichen Urprinzips, in dem alle Gegensätze vereint — ausgelöscht sind.

All unsere Kenntnis des Ägyptertums verdanken wir aber letzten Endes der Weltforschung und diese zeigt uns, soweit Österreich daran beteiligt war, nach Junkers Ausführungen folgendes Bild: an den verschiedensten Punkten des langgestreckten Niltals hat die Österreichische Akademie der Wissenschaften gegraben, sowohl im Delta wie in Mittelägypten als auch ganz im Süden im nubischen Land. Einen wesentlichen Fortschritt in der Erkenntnis “ägyptischer Prähistorie brachte die Expedition nach dem Westdelta (1927 und die folgenden Jahre), fehlte doch bis dahin aus denn Delta jedes vorgeschichtliche Material, während man aus Oberägypten zahlreiche prähistorische Fundplätze bereits kannte. Da kam die vorgeschichtliche Station Merimde im Westdelta aus dem 5. vorchristlichen Jahrtausend zutage, die die Überlieferung bestätigte; lange Kämpfe hatten in grauer Vorzeit stattgefunden, ehe die „beiden Reiche”, Ober- und Unterägypten, zu einem geeinten Ägypten verschmolzen wurden. Die Verschiedenartigkeit der beiden Landeshälften in vordynastischer Zeit wurde jetzt durch die Aufdeckung von Merimde offenbar; die ganze kulturelle Struktur weist einen deutlichen Gegensatz zu den oberägyptischen Stationen auf, was noch bestätigt wird durch andere, erst im Vorjahr durchgeführte Grabungen im Ostdelta, die ganz ähnliche Ergebnisse wie die Merimde- grabung zeitigten. Im Neolithikum stehen eine gemeinsame Deltakultur und eine ober- ägyptische einander gegenüber.

Von allen Unternehmungen aber, die die österreichische Akademie der Wissenschaften in Ägypten durchführte, ist wohl am eindruckvollsten jene, die der Erforschung des Gräberfeldes von Giza aus dem Alten Reich galt. Es ist jener Teil des Friedhofes, der sich zu Füßen der größten Pyramide Ägyptens, der des Pharao Cheops (3. vorchristliches Jahrtausend), ausdehnt. 1911 erwarb die Akademie durch Tausch gegen Gelände in Nubien die deutsche Konzession auf dem Giza-Friedhof westlich und südlich der großen Pyramide. 1912 begann die Grabung, die, vom ersten Weltkrieg unterbrochen, 1925 fortgesetzt und 1928/29 vollendet wurde.

Damit war eine große Aufgabe erfüllt worden: die Grabdenkmäler der Großen aus der Glanzzeit ägyptischer Kultur, dem Alten Reich, liegen erschlossen vor uns und damit ein großes Stück altägyptischer Geschichte und Kulturgeschichte. Der Kern der Anlagen stammt aus der 4. Dynastie, der Friedhof erstredet sich aber zeitlich über die 5. und 6. Dynastie bis in die erste Zwischenzeit. Die Grabanlagen selbst (Mastabas) bilden ungegliederte Blöcke mit leicht geböschten Wänden und Kalksteinverkleidung als Oberbau, wozu noch die Kultstelle und die unterirdisdien Anlagen für die eigentliche Bestattung kommen. Freilich weisen die einzelnen zeitlichen Perioden starke Unterschiede auf. So charakterisiert die einfache und gleichzeitig monumentale Linienführung — wie auch bei der Pyramide — die 4. Dynastie. Von der 5. Dynastie an werden die Vorräume ins Innere des Blockes verlegt, wodurch er seine Geschlossenheit verliert. Die Auflockerung der strengen, straffen Formen kennzeichnet das ausgehende Alte Reich. Audi andersartige, eigenwillige Mastabaformen tauchen mit der 5. Dynastie auf. So wird zum Beispiel an Stelle des massiven Mastabablocks die Hausform des Graboberbaues betont. Dem Ägypter galt das Grab seit jeher als „Haus der Ewigkeit”, analog seiner irdischen Behausung, die, aus flüchtigen Nilschi ammziegeln errichtet, das Vergängliche bildet gegenüber dem soliden steinernen Grabhaus für die Ewigkeit. Eines der schönsten Denkmäler dieser Art ist das vollkommen erhaltene Grabmal der Prinzessin En- sedjerkai. Es wurde ihr von ihrem Vater in Palastform errichtet, ganz entsprechend ihrer irdischen Wohnung, mit Vormauer, Hof, Pfeilervorhalle und Empfangsraum. Und den innern Privatgemächern der Behausung auf Erden entsprechen die unterirdischen eigentlichen Grabanlagen. Die Eingänge dazu sind durch zwei Scheintüren gekennzeichnet.

Aber nicht nur zur Hausform griff plan, sollte die Eigenartigkeit einer Mastaba zum Ausdruck gebracht werden: auch das königliche Grabmonument diente mitunter als Vorbild oder man wählte für den Vorbau die äußerst seltene Überdachung in Kuppelform.

Der Stilwandel im Verlauf des Alten Reichs läßt sich natüriieh auf dem gesamten Gebiet des Kunstschaffens verfolgen. Wir können es an den Sargformen erkennen, vor allem aber am Bilderschmuck. An die Stelle „ruhiger, gemessener, auf alles Beiwerk verzichtender Haltung” (Junker) noch während der 5. Dynastie, tritt in der 6. Dynastie größte Bewegtheit, die einer viel späteren Zeit eigen ist. Der gleiche Stilwandel zeigt sich an den sogenannten Reserveköpfen, die am Eingang zur Sargkammer statuenloser Gräber stehen, der Seele den Weg zum Leichnam weisend. Das Wiener Museum besitzt davon ein Meisterstück. Auch die Statuen zeigen die Stilunterschiede, die an sich schon als rein bildhaftes Element in der 6. Dynastie häufiger werden. Bei Aufrollung des Problems, ob es sich, dabei um Wiedergabe des Typus und Standes (zum Beispiel Schreiber- als Beamtenstand) oder des Individuums handle, entschied sich Junker für das Individuum (Porträt), wofür auch eine Reihe von Beispielen spricht, wie der durch maskuline Züge charakteristische Kopf der Prinzessin Jabtit oder die Statue des Zwerges Seneb, die mit denen seiner Frau und seiner beiden Kinder zu einer äußerst originellen Statuengruppe zusammengefaßt ist. Nach Junker „sprechen aus dem Gesicht” des kleingewachsenen Seneb „die vielen Enttäuschungen und Demütigungen”, dabei gleichzeitig aber „seine geistige Überlegenheit und der Ernst des Lebens”.

Vielleicht schimmert aber doch das Allgemein-Typische durch das Persönliche hindurch — ganz entsprechend der ägyptischen Ma’ät, die die Vereinigung alles Gegensätzlichen und die Ganzheit ist.

Die Erschließung dieses Friedhofs dank der österreichischen Grabung unter Junkers Leitung neben der amerikanischen und ägyptischen bildet die Grundlage für die Erkenntnis der Jugendzeit ägyptischer Geschichte. Wer das Ägyptertum verstehen will, der muß sich ins Alte Reich vertiefen. Hier wurden die größten Schöpfungen vollbracht, hier nahmen die großen religiösen Erlebnisse Gestalt an, hier haben sich Geist und Leben harmonisch durchdrungen und abgewechselt: ganz Geist, ganz Spannung, ganz Ordnung und Straffheit neben „freudiger Bejahung des Rechts der Natur” (Schäfer).

1 „Grabungen bei den Pyramiden im Rahmen der ägyptischen Expeditionen der österreichischen Akademie der Wissenschaften” — Vortrag, gehalten am 21. Mai 1948 von Prof. Junker in der Akademie der Wissenschaften.

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