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Im Sumpfgebiet von Bribir

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Was für ein extravagantes Gewässer die Krka — als Grenzfluß zwischen Illyrien und Liburnien. einst „Titius“ genannt — doch ist, mit keinem heimatlichen Alpenfluß könnte sie verglichen werden. Unterirdisch fließend im Ober- und Mittellauf, stürzt sie bei Topolje als wilder Wasserfall ans Tageslicht, verzögert gleich danach, schlammigtrüb geworden, ihren Lauf, um sodann in atemloser Hast, hellaufschäumend, durch grünes Dickicht dahinzuschießen. Bald verweilt sie, zu träumenden Seen, blitzblauen Fjorden geweitet, um unvermutet über mächtige Felsabsätze als tosender Wasserfall in ein tiefergelegenes Seebecken zu stürzen. Durch Schluchten sich zwängend, reißende Stromschnellen formend — wie rausdien da di wilden Wasser auf, neue Katarakte schaffend —, di plötzlich zu von Wasserstaub umhüllten, silberblauen Seen werden, aus denen weltvergessen Klosterinseln tauchen und in deren sanftem Gekräusel von altkroatischen Zwingburgen gekrönte Uferfelsen — Kastelle des dunkelsten Mittelalters — sich widerspiegeln. Seltsam fremde, beunruhigende. Bilder.

Am achten, größten Wasserfall vorbei, erscheint jetzt die weiße Häuserzeile von Scardona, der ältesten Stadt Dalmatiens. Einst Zentrum des „Conventus juridicus" der 14 libumischen Städte, beim Kirchenkonzil von Spalato schon 530 durch einen Bischof vertreten, ward die Stadt im sechsten Jahrhundert durch die Avaren gründlich zerstört, erhob sich wieder, um im Laufe der Zeiten noch oftmals ein Opfer beutegieriger Völker zu werden.

Der Fahrweg streift die venezianische Hügelfestung, sich in steiler Kurve auf eine fast unbewohnte, unendlich weite Wellenebene schwingend. Anders mutet diese Landschaft an, aus Stachelgestrüpp, wirren Zwergtamarisken grinst es wie von Höllenfratzen alter Kathedralen, verwittert, verwaschen. Doch da hebt sich vom hitzfahlen Himmelsrande eine ragende Stadt ab, die zu Dunst vergeht, der über der verbrannten, unendlichen Strecke tückisch aufflimmert. Düsteres, erzhaltiges Gestein, ver-

blichenes Geröll, turmartiges Steingerümpel. Eine rötliche Hügellehne hat sich genähert, behütet von einer Kastellruine, um welche sich einige Dorfhütten ducken — das heutige Bribir. Die Höhe trägt Burg- und Kirchenreste jener Stadt, welche der ganzen Gegend ihren Namen gab. Auch ein Museumsgebäude, allzu neu, ist oben errichtet worden, in welchem Fundstücke der in die Bribirer Ebene versunkenen antiken Stätten zur Schau gestellt sind. Als noch die Fürsten von Bribir, deren einer, Mladen II., sich mit Fug „Rex Dalmatiae" nannte, hier herrschten, war diese Landschaft als „üppig blühender Paradiesesgarten" gepriesen.

Aus Nebeldünsten der Ebene blinkt hellmetallisch der Lauf zweier Flüßchen. Von den „Bribirske mostine" — mittelalterlichen Brücken auf römischen Pfeilern — gesehen, nehmen die glatten Wasser die Farbe des unfiltrierten, dunkeltrüben Öls Dalmatiens an.

Schilf und Schlamm, ein blaugelbes Sumpfmeer, das man lieber nicht genauer betrachte, da um seine Oberfläche zahllose Malaria bringende schwarzrote Teufelchen in Gelsengestalt tanzen. Hier um die Sümpfe steht saftiggrün das Gras hoch, klettern zwischen Kräutern verwilderte Weinreben. Fruchtbar soll diese verödete Welt, von lebendigen Bächen und Kanälen durchzogen, noch vor 40 Jahren gewesen sein, heute wirkt alles tieftraurig, wie von bösen Geistern verwünscht, auf den Wanderer.

Beim Weiterschweifen ist man bald wieder in der Steinregion der staubigen Landstraße, doch nun, da die Sonne versinkt, beginnt im Abenddämmer ein Grillenkonzert, in das die dalmatinische Nachtigall ihre süßesten Weisen einfließen läßt. Von den braunroten Vorhügeln der Dinara wogt Hitze her, doch die lichtschimmernden Ölbäume einer verlassenen Farm atmen Feuchtigkeit in die Nacht, bläulicher Nebel schwebt von den Sümpfen her. Sind es Reiher, Wildschwäne oder Silberlöwen, die vorüberstreichen? Der Ölbaumspötter läßt unsichtbar sein scharfes Kichern aufklingen, seltsame Nachtfalter gaukeln, von Fleder- . mausen verfolgt, ängstlich blind — Nachtleben um Bribir.

Da, wo das Gelände in die Fruchtebene von Zara übergeht, und fern das Meer herdunkelt, eine Vision: auf steilem, brennrotem Steinkegel hochgetürmt eine phantastische Felsenburg, wuchtig, wie von Zyklopen gebaut. Welch kühne Silhouette, herrlichste Gralsburg, unnahbar, wie der Monsalvatch Kataloniens! In der Mondnacht wie aus Bronze gegossen, von allen Seiten weithin sichtbar, zeigt sie in voller Pracht wiedererstandenes Mittelalter. Aus der sie umgürtenden zinnenbewehrten Ringmauer steigt machtvoll ein hoher, oben zugespitzter Rundturm himmelan. Unbezwinglich muß sie gewesen sein — Ostrovizza —, von keines Sterblichen Hand erbaut, denn die Allmacht selbst hat dieses einzige Naturwunder geschaffen. Armselig wirken einige Baulichkeiten innerhalb des roten Walles, nichtig die restlichen Befestigungswerke auf der Plattform rings um den Turm, belanglos auch die Stufen, die zur Höhe führen, und von Menschen aus dem Stein gehauen — angesichts dieser Erscheinung!

Seit dem 12. Jahrhundert war es als „Castrum“ bekannt, es melden Chroniken, wie Kaiser Emanuel von Byzanz 1168 auszog, Dalmatien zu erobern, was ihm erst gelungen, als er „die größte und stärkste Burg der Welt, Castrum Ostrouiza“, besetzt hatte. Kurz darauf nahmen die Voįvoden von Bribir, Grafen Šubič oder „Subigi“, wie sie damals hießen, die Veste, jetzt „Ostrouice“ genannt, in Besitz. Von ihr ausgehend, eroberten sie Nord- und Mitteldalmatien, bis König Lajos der Große von Ungarn, dem die Bribirer zu mächtig geworden, den noch im Kindesalter stehenden Juraj III. bewog, Ostrovizza gegen Stadt und Festung Zrin — „Castrum Zryn in Terra Scla- voniae“ zu tauschen. Seither nannten sich die Subid nur Grafen von Zrinski oder Zrinyi. Einer aus dem Geschlechte, Niclas von Zrinyi, war jener opfermütige Verteidiger von Sziget, der sein Leben hingab, um das Abendland vor der Türkenbesetzung zu retten. Der letzte Zrinyi war in eine Verschwörung gegen das Leben Kaiser Leopolds verwickelt, er wurde wegen Hochverrats enthauptet.

Tiefschwarz liegt der Sumpfsee im Mondlicht, Phosphorlichter geistern zuckend über ihn hin. Frösche quaken im Schilfgras, hockt dort nicht Froschkönig trauernd uf einem muschelartigen Stein, ein Glitzerkrönlein auf dem großen Kopfe? — Nachteidechsen winden sich Insekten suchend über grünen Schlamm, Sumpfschildkröten rascheln durch bebende Binsen, pfeifen im hohen Schilf, An den Rändern, trügerisch eine Wiese vortäuschend, spärlich erhellt, lockt der Sumpf nicht zum Verweilen. Im bleichen Lichte fliehen gespenstische Dunstgebilde in unheimlicher Eile gegen die kahlen Höhen der Glavica di Bribir, hasten weiter gegen die Stätte der altlibu misch en Hügelstadt Asseria —, sind es Schatten der mit Blutschuld Beladenen? — Neue Nebe'schwa- den entsteigen der wüsten Sumpftiefe rasch den Fliehenden nach, rastlos grausam, zügellos unersättlich. Waren es Schemen römischer, kroatischer, türkischer Heerscharen, Avarenhorden oder venezianischer Söldner, friedlose Seelen herrschsüchtiger Fürsten oder goldgieriger Plünderer, die da von Rachegeistern verfolgt werden? — Malariateufelchen oder Eumeniden — was braut ihr Sümpfe von Bribir zur nächtlichen Stunde?

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