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Immer wieder Gobelins

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DIE WIENER HOFBURG hat außer Sälen und Museen, Schauräumen und Schatzkammern auch noch ein ganz besonderes „Extrazuckerl“ aufzuweisen, das nicht der reinen Besichtigung dient und trotzdem Kunstexperten aus allen Ländern anzuziehen vermag: die Werkstätten der „Wiener Gobelin Manufaktur“.

Untergebracht sind sie in den Räumen rechts neben dem Kaisertor, und ein daran- Interessierter wird wohl • - - hne “Vorherige Erkundigungen kaum die schmale, unscheinbare T(jr finden, ! weder Schilder noch sonstige Wegweiser ihm dabei helfen werden. „Wer etwas zu bieten hat, bedarf keiner Reklame“, an dieses r“tto-scheinen sich die Werkstätten zti halten. Und sie können es sich auch leisten. Denn die „Wiener Gobelin Mariiifa'k-tur“ ist der einzige Betrieb die'ser Art in Österreich, und die Teppiche.'Mie dort erzeugt werden, besitzen Weltruf.

DER GOBELIN, dem eine Pariser Färber- und Weberfamilie den Namen gab, stammt aus dem Orient, der ihn mit seiner Freude an Ornament und Farbe geschaffen hat. Später „wanderte“ er dann in das westliche Europa — nach Flandern —, wo er in Palästen und Kirchen, in Schlössern und repräsentativen Bauten Verwendung fand. Die Blütezeit jedoch erlebte der Gobelin in Frankreich. Seine lebendige Farbigkeit, die meist höfische und folkloristische oder auch biblische Motive beinhaltet, vermag dem Raum eine eigene und festliche Note zu verleihen. So pflegten Kaiser und Könige vergangener Jahrhunderte diese Wandteppiche auf ihren Feldzügen mitzuführen und damit ihre Zelte zu schmücken, um auch in Kriegszeiten repräsentativen und herrschaftlichen Glanz zu wahren.

In Wien sind bedeutende Kunst-schätze dieser Art zu finden. So der berühmte „Brüsseler“ aus dem 16. Jahrhundert, der die Enthauptung des Apostel Paulus darstellt, oder der „Wildermänner Teppich“, eine Basler Arbeit um 1460, der im Kunstgewerbemuseum am Stubenring hängt.

Früher wurden Gobelins bei Friedensschlüssen und Bündnissen zwischen Königen und Fürsten ausgetauscht. Und das Hochzeitsgeschenk der österreichischen Regierung an Englands Königin Elizabeth II. beweist, daß sich in dieser Hinsicht nicht viel geändert hat. Englands Regentin wurde ein prachtvoller Gobelin, der die Schönbrunner Gloriette darstellt und nach einem Karton von Prof. Paris Gütersloh ausgearbeitet wurde, überreicht. Ebenfalls ein Geschenk Österreichs an ein Staatsoberhaupt war der Im Jahre 1959 an Präsident Eisenhower abgeschickte Gobelin, der nach einem Entwurf von Prof. Pippal angefertigt wurde und auf dem die breite Anlage des Belvedere-Schlosses mit Garn und Seite nachgestaltet ist. Auch in der Moskauer und Belgrader Botschaft hängen Wandteppiche aus der Wiener Manufaktur.

VOR MEHR ALS VIERZIG JAHREN wurde die Manufaktur von Doktor Mader ins Leben gerufen, dessen Tochter nach dem Tode des Vaters die „Erbfolge“ antrat. Die Anlage entstand vor allem in dem Bemühen, die wertvollen Arbeitskräfte aus k. k. Hofwerkstätten zu erhalten und am Abwandern zu hindern. Während sich jedoch die alten Werkstätten einzig mit dem Reparieren historischer Gobelins befaßten, führte die Neugründung das neue Weben ein, das heißt, daß von dieser Zeit an auch neue Teppiche nach dem Vorbild alter Originale oder nach Entwürfen moderner Maler hergestellt werden.

WER DIE WERKSTÄTTEN BETRITT und die Frauen in langen Reihen an den Webstühlen sitzen sieht, fühlt sich unwillkürlich in die kaiserkönigliche Zeit zurückversetzt. Und tatsächlich hat die Webetechnik seit fast 500 Jahren keine wesentliche Veränderung erfahren. Die Arbeiten müssen so wie damals mit der Hand gemacht werden, denn künstlerisches Empfinden und feinstes Reagieren auf Farbunterschiede sind nach wie vor Privilegien des menschlichen Geistes und können von keiner Maschine geleistet werden.

Da gibt es Berge von größeren und kleineren Spulen, auf denen Fäden in den verschiedensten Schattierungen aufgerollt sind. Eine Farbe kann sich dabei oft in zwanzig- bis dreißigfacher Tönung wiederholen. Da gibt es auf Webstühlen aufgespannte Teppiche in leuchtenden und auch matten Farben — alte Stücke, deren schadhafte Stellen ausgebessert werden müssen. Es gibt Gold- und Silberfäden, Schafwolle, gefärbte und ungefärbte Baumwolle. Durch eine vertikal gespannte „Kette“, die meist aus Baumwolle besteht — da sie der Mottenzerstörung weniger ausgesetzt ist —, wird der Faden in horizontaler Richtung hin und her geführt. Ist doch vor allem darauf zu achten, die Stabilität und Haltbarkeit eines Gobelins zu erhalten, da er doch Jahrhunderte überdauern soll.

Die Schwierigkeit bei der Restaurierungsarbeit besteht darin, den genauen Farbton des „gesunden“ Teppichs zu treffen, damit bei der ausgebesserten Stelle kein Farbunterschied sichtbar wird.

Aber auch neue Teppiche werden nach alten wie modernen Vorlagen gewebt. Die Weberin hat den „Karton“ — das ist der vom Maler angefertigte Entwurf — ständig vor sich, um darnach ihre Farbwerte abzustimmen. Und auch dabei ist es natürlich schwer, den Ton der Vorlage genau zu kopieren. Außerdem müssen, um dem Teppich eine gewisse Wärme zu geben, meist Mischfarben verwendet werden. Und sehr oft ist es dann so, daß der Gobelin in schöneren und leuchtenderen Farben prangt als sein gemaltes Vorbild.

DA ENTSTEHT EIN TEPPICH, der die Farbabstufungen einer byzantinischen Vorlage wiedergibt. Er ist verhältnismäßig leicht zu weben, weil es sich dabei um reine und einfache Farben handelt. Aber daneben soll nach dem Bild eines modernen Malers gearbeitet werden, der viele verschiedene Farbtöne verwendet hat — und dabei wird nun die Sache schon wesentlich komplizierter. Die bisher schwerste Arbeit jedoch — und darin sind sich alle Webefinnen völlig einig — war die Übersetzung eines Gemäldes von Kokoschka dar. Es wurden damals mehr als 10.000 Schattierungen verwendet. Allerdings fanden diese Mühen auch entsprechenden Lohn. Und zwar den „Grand Prix“ des Jahres 1958 in Brüssel.

Fünfzehn Weberinnen sind in dem Betrieb beschäftigt. Davon müssen oft vier oder fünf monatelang an einem einzigen Gobelin arbeiten. Sie werden eigens dazu angelernt, und es dauert bis zu einem Jahr, um aus ihnen vollwertige Arbeitskräfte zu schaffen. Voraussetzungen sind eine gewisse Geschicklichkeit und ein ausgeprägter Farbsinn. Manche von ihnen sind schon 36 oder 40 Jahre hier und haben es im Laufe der Zeit zur wahren Meisterschaft gebracht. Schwer ist es jedoch, entsprechenden Nachwuchs zu finden. Denn obwohl das Weben eine interessante Arbeit sein kann — das bestätigt die Besitzerin, die ebenfalls dieses Handwerk erlernt hat —, löst es bei vielen jungen Mädchen doch die Vorstellung von einer etwas antiquierten und mittelalterlich anmutenden Beschäftigung aus.

MINISTERIEN, BANKEN, Großfirmen und zahlreiche prominente Privatpersonen zählen zu den Auftraggebern der Manufaktur.

Wandteppiche der Wiener Oper, des Burgtheaters und des Salzburger Festspielhauses wurden von der Manufaktur geliefert.

Vielleicht werden die Wiener Gobelins einmal einen ebenso hohen Wert besitzen wie die alten Prunkstücke aus Frankreich oder Flandern. Und wenn man auch ein großer Kunstfreund ist — auf eine entsprechende Kapitalsanlage möchte man doch nicht verzichten. Und ein Gobelin ist ein hoher und im Wert ständig steigender Kunstgegenstand.

Bemerkenswert ist, daß die Kopien alter Gemälde immer noch mehr Käufer finden als diejenigen moderner. Obwohl gerade aus dem Zusammenfallen traditioneller Webkunst mit modernem Gedankengut sehr eigenartige und reizvolle Werke entstehen, die an Schönheit und Farbenreichtum den Kopien gewiß in nichts nachstehen. Die Manufaktur muß sich daher oft die Bezeichnung „zu konservativ“ gefallen lassen. Denn da sie nur nach

Aufträgen arbeitet, sind es eben meist Teppiche, die historische Vorbilder haben. Und um hier auch öfter die Moderne sprechen zu lassen, müßts sich wohl vorerst einiges am Geschmack der Käufer ändern.

AUCH IM AUSLAND haben die Werkstätten Anerkennung gefunden, dies beweisen die errungenen Preise. Es sind dies: der „Grand Prix“ in Paris in den Jahren 1925 und 1937, die „Goldene Medaille“ im Jahre 1939 in Barcelona und der „Grand Prix“ der Jahre 1935 und 1958 in Brüssel. Letzteren erhielt das Werk von Kokoschka, welches die “Weberinnen monatelang in Atem hielt und auf das sie dann trotzdem stolz waren, weil doch jede von ihnen „etwas“ dazu beigetragen hat.

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