6546935-1947_20_09.jpg
Digital In Arbeit

Impressionisten

Werbung
Werbung
Werbung

Ein Bild von Monet gab der Kunstrichtung des Impressionismus den Namen. Nicht die Dinge, sondern der Eindruck von den Dingen, das Netzhautbild, wird wiedergegeben. Daher wird das Persönliche der Auffassung, der Technik wichtig wie nie zuvor. Insofern bedeutet Impressionismus äußersten Subjektivismus. Als Stil setzt der Impressionismus eine gesteigerte und verfeinerte Eindrucksfähigkeit voraus, die man als Reizsamkeit bezeichnet hat. Die vollkommene Wiedergabe dieser Reizeindrücke ist das höchste Ziel der Schule. Jede Wertung, jede Tendenz fehlt. Innen- und Außenwelt fließen ineinander über, die Konturen verwischen sich: Form wird als Zwang empfunden und als akademisches Schema negiert. Die Nachbarkünst Dichtung und Musik nehmen diese Anregungen auf und wenden sie auf ihre Technik und ihr Material an.

Aber romanisches Gefühl für Maß, Begrenzung und Klarheit schufen auch dieser neuen, freien Kunst ihr Gesetze. In der Musik waren es die Meister Faure, Debussy und Ravel, deren scharfer Kunstverstand das Spiel der Linien und der Farben überwachte. Sie haben Werke geschaffen, ohne die nicht nur die Musik Frankreichs ärmer wäre, ärmer an Schönheit, an Anmut und an Farbe. Wie hörten bereits klassisch gewordene Lieder und Kammermusikwerke dieser Meister in einem Konzert der jugendlichen Preisträger des Pariser Conservatoires, der Pflanzschule so vieler und verschiedenartiger Talente, die sich — selbst aus einer Hauptstadt kommend — dem Kunsturteil der Musikmetropole Wien stellten.

Neben dem westlichen gibt es einen östlichen Impressionismus, der zunächst an den Namen Mussorgsky geknüpft ist und auf dem Wege über eine freie, unakademisch Behandlung der Folklore zu ähnlichen Resultaten gelangt wie die neuen französischen Komponisten. Scriabin schreibt Klavierwerke, in denen die Technik und Ausdrucksskala dieses Instruments beträchtlich erweitert wird. Er scheitert bei dem Versuch, die impressionistische Technik auf die symphonische Großform zu übertragen und bedeutende Vorwürfe zu gestalten: untaugliche Mittel an einem dem Autor wesensfremden Gegenstand angewandt.

Die Wirkung des Impressionismus war und ist auch heute noch sehr bedeutend. Kaum einer unter den neueren Komponisten hat | nicht eine impressionistische Phase durchlaufen. Deutlich spürbar — und zum Teil von sehr vorteilhafter Wirkung auf die immer sprödere Harmonik, die immer selbständigere und rücksichtslosere Stimmführung — ist die impressionistische Technik in einigen Frühwerken Honeggers, zum Beispiel in seiner 1. Violinsonate (1921), und in Prokofieffs „Fünf Melodien“ (1920 bis 1925). Beide Werke spielte E. Bertschinger, von K. Rapf begleitet, in einem Kammerkonzert der Universal-Edition.

In Österreich hat dieser west-östliche Impressionismus eine sehr eigenartige Umbildung erfahren. Sie ist am deutlichsten im Gesamtwerk von Joseph Marx spürbar, zu dessen 65. Geburtstag eine Reihe von Feierstunden und Festkonzerten veranstaltet wurden, in denen ein bedeutender Teil seines Opus erklang. Neben den Anregungen durch die modernen Franzosen und Mussorgsky bestimmt der Einfluß der heimischen Tradition, besonders das Werk Hugo Wolfs, sowie die heimische Landschaft mit ihrer Folkl ore die Tonsprache von Joseph Marx. Während sich die Werke der französischen Impressionisten durch zarte Farben, durchsichtigen Klang und klare Konturen auszeichnen und zuweilen etwas fragil und morbid wirken, leuchten uns, besonders in Marx Orchesterwerken, lebhafte, satte Farben entgegen. In seinem Verhältnis zur Folklore und mit seiner Vitalität steht Marx näher bei Ravel als bei Debussy, welcher der erste Entdecker dieses neuen Zauberreiches der Klänge war. Die Marxschen Lieder aber tragen in ihrer Sangbarkeit ein ausgesprochen österreichisches Gepräge. Ein Glanz von Italienischem, zuweilen auch ein Hauch von Slawischem liegt in der Melodik und Harmonik dieses südöstlichen Romantikers. Die Reihe der bis etwa 1912 geschriebenen Lieder hat den Ruhm des Komponisten begründet und sichert ihm einen Platz in der Musikgeschichte der Jahrhundertwende. Die beiden späteren Streichquartette (in modo classico und in modo antico) versuchen eine der Faktur und dem Wesen des Komponisten nicht gan* gemäße Stilisierung und zeigen einen ähnlichen Stilbruch wie einige Kompositionen Respighis, die es unternehmen, alte Kirchentonarten zu erneuern. Prachtvoll entfaltete sich der jugendliche Schwung und der Klangsinn des Komponisten in der Tondichtung „Feste im Herbst“, von den Symphonikern unter Clemens Krauß interpretiert. Es gibt unter den lebenden Komponisten kaum einen, der einen so wohlklingenden Orchestersatz schreibt.

Groß ist die Zahl der Marx-Schüler, nicht nur in Österreich, sondern auch im Ausland. Unter den Komponisten der jüngeren Generation m Erik Werba ein Vertreter der Marxschen Richtung. Seine „Fünf Gesänge für hohe Stimme, Flöte, Streichorchester und Harfe“ zeigen eine schöngeführte melodische Singstimme und klingen in der aparten Besetzung ganz ausgezeichnet. Die lyrische Suite Werbas erwies, daß der Impressionismus — mag er auch als Kunstströmung überwunden sein — immer noch lebendig nachwirkt und sich in der Kleinkunst wohl noch für lange Zeit einen Platz behaupten wird. (F. Litschauer führte das Werk im 3. Konzert des Wiener ^Kammerorchesters auf; Ilona Steingruber war die Solistin).

Impressionistische Stilmittel eignen sich besonders für die Wiedergabe von Landschaftseindrücken und Stimmungen. Zur Darstellung des Dramatischen, des antithetischen Charakters symphonischer Themen, geistiger Spannung und gedanklicher Auseinandersetzung sind sie wenig geeignet. Auch nicht, wenn es sich um Fragmente aus der mehr stimmungs- als gedankenschweren Welt Zarathustras handelt. Strauß schrieb seine Tondichtung „Also sprach Zarathustra, frei nach Nietzsche“ im Jahre 1896. Ob man sich an die detaillierte Inhaltsangabe der Partitur hält oder das Werk als Nachklang begeisterter Nietzsche-Lektüre auffaßt — der Musiker hat mit dem Werk seine liebe Not! In dem einen Fall regen sich Bedenken gegen die nacherzählende — philosophische Tondichtung; ist man bestrebt, sich an Einzelschönheiten zu erfreuen, so wird man dabei nur allzuoft durch Stellen gestört, deren Banalität nur noch durch den dafür verschwendeten Aufwand an Klangmitteln überboten wird. Zum Jubeln der Geigen, Dröhnen der Hörner und Schmettern der Trompeten, zu brausendem Orgel- und Glockenklang tanzt Zarathustra das „Tanz-und Spottlied auf den Geist der Schwere, den allerhöchsten, großmächtigsten Teufel, von dem sie sagen, daß er der Herr der Welt sei.“ Heute, nach 50 Jahren, empfinden wir Zarathustras Wiederkehr als sehr unzeitgemäß. Auch uns drückt der Geist der Schwere, aber im dionysischen Tanz wird er nicht überwunden. (Clemens Krauß, der hervorragende Strauß-Dirigent, dem wir eine Reihe wahrhaft authentischer Aufführungen von Strauß-Opern zu danken haben, dirigierte die Philharmoniker im 8. Abonnement-Konzert).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung