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In Harnisch gebracht

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DER WIENER RATHAUSMANN IN SEINER WEHR, hoch oben auf ' der Turmspitze, ist ein Wahrzeichen ganz besonderer Art, mit einer kleinen Pointe, die verdiente, in der beliebten Rubrik „Unbekanntes Wien“ festgehalten zu werden. Ein Bildhauer der Ringstraßenzeit — er hieß Josef Heinrich Kaindl — schuP die Figur des geharnischten Wächters. Das Vorbild für die Rüstung des Rathausmannes aber suchte er nicht im Kostümbuch, sondern in der Kaiserlichen Waffensammlung. Er wählte den spätgotischen Harnisch Erzherzog Sigismunds von Tirol, ein Werk, in dem die mittelalterliche Plattnerkunst ihre höchste Vollendung gefunden hatte. Es ist der gleiche Harnisch, den schon Michael Pacher kannte: der holzgeschnitzte heilige Georg am Altar von Sankt Wolfgang trägt die Rüstung-des habs-burgischen Landesfürsten.

Mit größter Genauigkeit geben die Künstler der Gotik auf ihren Bildern die Schöpfungen der zeitgenössischen Plattnerei wieder, aus den römischen Legionären der Kreuzigungsszenen werden blinkende Geharnischte mit offenem Visier und Reiterschwert. Auf Dürers Blatt „Ritter, Tod und Teufel“ erblicken wir den ritterlichen Archetypus der Epoche: Das Haupt deckt der weit über den Nacken ausschwingende „Schaller“, jene Helmform, die kennzeichnend für die gotische Plattnerei diesseits der Alpen wurde. (Übrigens geht auch der deutsche Stahlhelm von 1916 in seiner Gestaltung auf den Schaller zurück.)

Augsburg, Innsbruck und Mailand waren die Zentren der großen abendländischen Plattnerei. Dort entstanden die Harnische der Herrscher und Großen des Reiches. Meisterwerke höchster handwerklicher und künstlerischer Entfaltung, einmalig, unwiederholbar, nur die Stilformen sind ihnen gemeinsam, wie den Kirchen und Skulpturen, i *

KRIEGSMASCHINE MIT MENSCHLICHER ANTRIEBSKRAFT, das ist j der Harnisch seiner Zweckbestimmung nach. In der Sphäre höfischer ritter- ; licher Übungen entwickelt er sich zum ] schweren, durch wuchtige Rüstteile ] verstärkten „Stechzeug“, das für das ] Turnier bestimmt ist. An den glatten, ■ unverzierten Eisenplatten, die Schultern und Arm decken, prallt die gezinkte Turnierstange des Gegners ab, der Kopf steckt in einem gewaltigen Helm wie im Turm eines Panzers.

Während der Renaissance wird der Harnisch zum repräsentativen, prächtig ausgestatteten Kostüm. Gerüstet erscheint der Herrscher auf dem Reichstag, zahlreiche Harnische werden eigens für große staatliche Feiern geschaffen, für fürstliche Hochzeiten und Trauergepränge. Es ist eine Funktionsverschiebung mit deutlichen psychologischen Hintergünden: Der Har-nisch hebt'den Träger ins Übermenschliche, der Plattner baut ihm eine Körperhülle von makellosem Ebenmaß, mag auch der Leib, den das schimmernde Eisen deckt, unvollkommen sein. Der Traum vom Gehörnten Siegfried soheint verwirklicht, unverwundbar schreitet der Geharnischte im Glänze des Ruhms, gefeit gegen Schwertstreich und Lanzenstoß. Unverweslich ist der eiserne Leib, steht jenseits der Vergänglichkeit, die jenen, der ihn besaß, ins Grab stürzt.

Der Schrecken seiner Feinde ist der Geharnischte, uralte Magie erwacht in den „Maskenhelmen“ zum Leben, das Menschenantlitz verlarvt sich hinter grotesken Fratzen: ein dämonischer Hahnenkopf, der Wolfsschädel mit geblecktem Fang.

Den Höhepunkt phantastischer Symbolik erreicht die Harnischkunst in den prachtvollen getriebenen italienischen Prunkrüstungen und Prunkschilden der hohen Renaissance. Kein Fleckchen der Oberfläche bleibt ohne Schmuck, alles ist eingehüllt in eine Überfülle von Sinnbildern, Gestalten, Schlachtenszenen und antiken Motiven. Aus der Schutzwaffe wurde ein metallenes Staatskleid von höchster Vollendung und Prachtentfaltung, das in direkter Weiterentwicklung zum barocken Bühnenkostüm führt. Der herakleische Löwenkopf deckt die Schulter, in der Mitte des Schildes starrt das Medusenhaupt, der Gehar-

nischte ist zum mythischen Heros überhöht, zum Halbgott, prangend im Schmuck aller Zeichen von unüberwindlicher Stärke und triumphaler Macht.

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TIZIAN SCHAFFT IN DIESEM JAHRHUNDERT den Typus des repräsentativen Harnischporträts, dessen Komposition bis weit in die Barockzeit unverändert blieb. Gerüstet, den Blick dem Beschauer zugewandt, die Rechte auf den Kommandostab gestützt, in ausgewogener Haltung, so ist der Herrscher dargestellt. Auf einem Tischchen ruht der Helm mit geöffnetem Visier.

Leopold I. und Josef I. ließen sich in geschwärzten, goldtauschierten Renaissanceharnischen malen. In der Praxis verhielt es sich so, daß sie dem Künstler einige Sitzungen für die Zeichnung des Kopfes gewährten und ihn sodann in die Kaiserliche Waffensammlung — damals ia der Stallburg untergebracht — schickten, wo dieser dann einen vom Kaiser ausgesuchten Harnisch naturgetreu zum Konterfei fügte. So zeigt das Porträt Leopolds I. eine Rüstung Kaiser Maximilians IL, die ihm wohl kaum gepaßt hätte, da der erlauchte Vorfahr von völlig anderer Statur gewesen.

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„HARNISCHE MÜSSEN ,ALT' WIRKEN“ — so meinte man in früheren Zeiten und beließ die Objekte in öffentlichen und privaten Sammlungen in einem stumpfen, grauen Ton, das sah so schön „antik“ aus, vom Hauch der Jahrhunderte angeweht. Bei Bildern liebte man ja auch den dunklen braunen „Galerieton“, und von Harnischen erwartete man keine Authentizität im Sinne der ursprünglichen künstlerischen Gestaltung, sondern subjektive romantische Stimmungswerte. Angesichts einer Ritterrüstung wollte man sich in die ferne Vergangenheit zurückträumen, in eine holde Butzenscheibendämmerung, von gestaltenreichen Historienbildern belebt. Damals gab es in Deutschland Fabriken, die serienweise Dekorations*-harnische aus Blech erzeugten; sie fanden in den Hallen von Bankiersvillen ihren Platz, Börsianer hielten nun mal auf entsprechende Folie.

Allein die prosaische Analyse des schönen altertümlichen Schimmers auf blanken Harnischen lautet: Fett, mit Staub und Schmutz verschmiert. Die Einstellung zum Objekt hat sich grundlegend geändert; der Waffenhistoriker unserer Tage ist bestrebt, dem Harnisch sein ursprüngliches Aussehen wiederzugeben. Blanke Harnische hatten, dank der hochentwickelten Fertigkeit der Harnischfeger, zur Zeit ihrer Fertigung etwa den Glanz und die Helligkeit von Nickel. Der künstlerische optische Zusammenhang von glattem Eisen, bildlicher Ätzung und goldener Verzierung soll voll zur Geltung kommen.

Die Ergebnisse sind überraschend.

Bei der sachgemäßen Entfernung des Schmutzes, den man früher so gern euphemistisch als „Patina“ bezeichnete, kommen nicht selten ungeahnt schöne Einzelheiten zutage, und der Experte findet neue Anhaltspunkte zur fachlichen Bestimmung der Objekte.

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DER GROSSE FEIND HEISST ROST. Ihm gilt das Hauptaugenmerk des Harnischrestaurators. Der Waffensammlung des Kunsthistorischen Museums in der Neuen Hofburg, wo die Harnische aus habsburgischem Besitz zur größten fürstlichen Leibrüstkammer der Welt vereinigt wurden, ist eine moderne Restaurierungswerkstätte angeschlossen. „Unsere Bestände sind seit rund 400 Jahren nach museologischen Gesichtspunkten erhalten und gepflegt worden. Wir haben es also nie mit einer dicken Rostschicht zu

tun, sondern nur mit dem natürlichen Veränderungsprozeß des Eisens“, sagt Dr. Bruno Thomas. Seit etwa zwanzig Jahren leitet er die Waffensammlung, ein Wissenschaftler mit ausgeprägten künstlerischen Neigungen, ein Humanist mit den Gaben eines geistreichen Causetrrs. Als Fachmann erlangte er internationalen Ruf.

Früher, so führt er aus, bekämpfte man die unvermeidliche Rostbildung auf mechanische Art: Man schmirgelte den Belag einfach weg. Dadurch ergibt sich, auf lange Sicht, ein nicht zu unterschätzender Substanzverlust des Eisens. Heute arbeitet man mit chemischen Entrostungsmitteln. Die Werkstätte verfügt über einen eigenen Entrostungsraum mit Bottichen, die „nach Maß“ gebaut wurden. Die längste Schwertklinge, der größte Helm und die größte Harnischbrust der Sammlung finden darin Platz.

Blaugrau angelaufen, matt und unansehnlich kommen die Metallteile aus dem Entrostungsbad. Aber nach einer gründlichen Nachreinigung blinken sie ganz so wie feinst, als noch der längst vergessene Harnischfeger seine Kunst übte. Ein schützender Kunstharzbelag vervollständigt die Behandlung.

Oberster- strenger Grundsatz der HaTnischrestaurierung ist: Erhaltung sämtlicher Einzelheiten des Harnisches. Die brüchig gewordene Original-belederung unterklebt der Restaurator sorgfältig mit neuem Leder, die alten Nieten und Schrauben, die bei der Konservierung entfernt werden, kommen beim Zusammensetzen wieder an ihre Stelle. Nur im äußersten Fall fügt man ein neues, durch Farbe und Material deutlich als Ergänzung erkennbares Stück ein. Originalgetreue Nachbildung aber ist als Fälschung verpönt. „Wenn bei einem Harnisch beispielsweise die Handschuhe fehlen, dann müssen wir ihn eben unvollständig ausstellen. Das ist besser, als wenn man Handschuhe anfügte, die vielleicht sogar stilistisch passen, aber nicht zu der Garnitur gehören.“

Zwei Restauratoren sind in der Neuen Hofburg an der Arbeit. Museen

aus allen Bundesländern schicken Harnische und Waffen zur Instandsetzung und Konservierung nach Wien. Zur Zeit gibt es in der Werkstätte viele Objekte aus der Burg Forchtenstein; sie werden für die Neuaufstellung restauriert. Die kulturgeschichtliche Bedeutung der Forchtensteiner Sammlung ist der Öffentlichkeit fast unbekannt, aber Fachleute nennen die burgenlän-dische Feste ein „Ambras des Ostens“.

WIR ÖSTERREICHER besitzen nicht nur die größte fürstliche Rüstkammfer der Welt, mit grandiosen Einzelschöpfungen der Plattnerkunst, sondern auch die größte städtische Waffensammlung mit den Beständen des alten Wiener Bürgerlichen Zeughauses. (Nur so nebenbei: Wir haben auch die größte landschaftliche Waffensammlung, nämlich das Grazer Zeughaus.) Wir machen nur nicht viel Worte darüber; der Wolf gang Amadee, der Schubert-Franzi und der Strauß-Schani erscheinen uns halt attraktiver für den Fremdenverkehr als das alte Eisen in den Museen.

Daß die städtische Waffensammlung, die zum Historischen Museum der Stadt Wien gehört, nach einem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf in düsteren, getäfelten Sälen des Rathauses endlich zu verdienten Ehren kommt, ist nicht zuletzt dem Kustos Dr. Walter Hummelberger zu danken. „Hummel“, ein temperamentvoller Prager-Deutscher, ging die Sache mit dem nötigen Elan an. Er wirbelte den Staub von der veralteten, tro-phäenhaften Anordnung und bereitete alles für eine sinnvolle Neuaufstellung der interessantesten Exponate vor, die nun im Museum auf dem Karlsplatz zu sehen sind.

Auch dort gibt es eine Restaurie-rungswerkstätte. Ein alter Meister mit vielen Erfahrungen und eine junge Nachwuchskraft stehen am Werktisch.

Es wird wichtige Arbeit geleistet abseits der großen Schauräume, gute, saubere Arbeit. Die mittelalterlichen Harnischfeger brauchten sich ihrer späten Nachfolger nicht zu schämen.

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