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In Stein geschriebene (Kunstgeschichte

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Unterm Krummstab ist gut leben! Diesen Satz verwendete man anno dazumal in Österreich nur allzu gerne, wenn es um Klöster ging. Niederösterreichs Klöster haben unter diesem Motto eine gemeinsame Initiative für das Jubiläumsjahr 1996 ins Leben gerufen.

In vergangenen Jahrhunderten oblagen den großen Klöstern der Augustiner Chorherren, der Benediktiner, der Zisterzienser, der Kartäuser oder Prämönstratenser umfangreiche Verwaltungen, die Steuereinhebung, die Ausübung der niedrigen Gerichtsbarkeit, sowie Schul- und Pfarrpatronate. Unter Kaiser Joseph II. wurde im Zuge der Reformen ihre Zahl stark reduziert. Niederösterreichs Stifte spiegeln in ihren Gründungsdaten die Entwicklungsgeschichte des Landes wider, sie stellen eine in Stein geschriebene Kunstgeschichte Mitteleuropas dar. Gerade Niederösterreich ist innerhalb Europas besonders „klösterreich”: Romanische Kreuzgänge, gotische Hallenkirchen, barocke Bibliotheken laden ein.

Ob es um die Bewahrung einzigartiger Kunstschätze geht, ob die qualitätvolle Ausbildung in den alten Stiftsgymnasien geschätzt wird, ob es sich um kulinarische Produkte wie Prälatenwein, Heilkräuter oder Stiftskeller handelt, die Präsenz der Stifte in der Öffentlichkeit ist vielfältig, wird von Einheimischen und Besuchern positiv gesehen.

„Stifte als Inseln der Seele” (Friedrich Heer) werden in unseren Tagen immer wichtiger und populärer. Viele Menschen sehnen sich zunehmend nach Ruhe, Abgeschiedenheit und der Möglichkeit des In-Sich-Gehens. Religiöse Fragen, Bedürfnis nach seelischem Gleichgewicht und das Angebot, sich selbst kennenzulernen, führen dazu, daß immer mehr Zeitgenossen zumindest vorübergehend Stille und Besinnungsmöglichkeit, oder einfach nur die positive Atmosphäre der Klöster und Stifte in Anspruch nehmen, um sich zu regenerieren.

Prälat Joachim Angerer und Propst Maximilian Fürnsinn, die Äbte der Stifte Geras und Herzogenburg, unterstützen die Initiative der niederösterreichischen Klöster. Ein informativer Prospekt lädt nicht nur Touristen, sondern auch die Österreicher zum Besuch der Stifte in Niederösterreich ein. Abt Fürnsinn: „Es geht auch um die touristische Erschließung der Klöster. Schwerpunktartig soll es in Hinkunft zu gewissen Tageszeiten regelmäßig kleine Orgelkonzerte, spezielle Führungen, Möglichkeiten zum Gespräch, Teilnahme am Chorgebet und anderes geben. Wir wollen eine niederösterreichische Klösterstraße einrichten.

Außerdem soll auch ein Pilgerweg zu den Klöstern erarbeitet werden. Er soll für die Dauer der Jubiläumsfeiern in Niederösterreich offenstehen. Er wird gezielt an bestimmten Tagen zu bestimmten Klöstern geführt, etwa am Fest eines Haus-Heiligen oder bestimmter Patrone der Orden.”

Abt Fürnsinn: „Man trifft sich an einer Station an einem bestimmten Tag und pilgert zu Fuß, per Rad, mit einem Auto zum jeweiligen Kloster, um dort das Heiligenfest oder einen besonderen Gedenktag des Stiftes zu feiern. Dabei wird es Gottesdienste, Gespräche, Feste, Tage der offenen

Tür und vieles mehr geben.” Durch audiovisuelle Medien unterstützt, will man die geistige Botschaft der Klosteranlagen und ihrer Kunstschätze den Besuchern erschließen, zu Gebet und Nachdenken einladen.

Prälat Joachim Angerer, dessen Kunst- und Bildungszentrum Stift Geras seit mittlerweile fünfundzwanzig Jahren weit über Österreichs Grenzen hinaus bekannt ist, möchte nach eigenen Worten „ein Fenster in die Welt schneiden”: „Geistliches und Kulturelles gehörten unmittelbar zusammen. Das Tausend-Jahr-Jubiläum Österreichs könne nicht ohne das Zutun der niederösterreichischen Klöster stattfinden. Wir müssen uns öffnen, denn gerade wir haben die Aufgabe für die Ausgewogenheit unserer Nächsten und für die geistige Zukunft zu sorgen”, sagt Angerer.

Niederösterreichs Stifte sollen auch Gegenstand einer eigenen Fernseh-reihe sein oder als kleine Beitragseinheiten in „Niederösterreich heute” aufscheinen. Auch in den TV-Religionssendungen, in „Morgenbetrachtung”, „Orientierung” und „Christ in der Zeit” wird mitgearbeitet. Auch an eine Präsenz der Klöster an den Ausstellungsorten der offiziellen Millenniums-Feiern ist gedacht.

Abt Fürnsinn: „Die achthundert-oder neunhundertjährige Geschichte unserer Stifte soll in den Landesausstellungen ihren Niederschlag finden. Immerhin haben diese Häuser in der tausendjährigen Landesgeschichte eine bedeutende Rolle gespielt.”

Rechtzeitig zum Jubiläumsjahr, in dessen Mittelpunkt die beiden Ausstellungsorte St. Pölten und Neuhofen an der Ybbs stehen, wird sich Stift Melk in neuem Glanz präsentieren. Bis Ende des Jahres sollen die 1977 in Angriff genommenen und in mehreren Etappen durchgeführten Restaurierungsarbeiten, die rund zweihundert Millionen Schilling kosteten, abgeschlossen sein. Unter dem Titel „Stift Melk - Geistliches und kulturelles Zentrum” findet vom 30. März bis 3. November 1996 eine Millenniums-Sonderausstellung statt. Joachim Angerer: „Die Besucher unserer Häuser sollen nicht nur die Werke Johann Bergls, Paul Trogers oder Josef' Munggenast besser verstehen lernen, sondern auch die ungebrochene Bedeutung der Stifte Niederöstereichs bewußt erleben!

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