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Innovation animiert die alten Musikgötter

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Die Uberwindung der Schachtel durch ihren Inhalt”, ist der seltsam einfache Wunsch der Gestalter der langen Nacht der neuen Klänge, des Eröffnungsevents im Wiener Konzerthaus am 17. März. Der Wunsch, das Oberste zu unterst, das Innerste zu äußerst zu hören, hat die Wiener Komponisten Dieter Kaufmann und Wolfgang Liebhart zu fantastischen Ideen inspiriert. „Innovative Kunst findet längst abseits der Konzerthäuser statt. Von da - von den Kunstradios, den Daten-bahnen des Internet, aus den Galerien - wollen wir sie in die Hochkultur ziehen”, erzählt Kaufmann.

Die Spannung ist zweifach: Wird es gelingen, das traditionelle Konzertpublikum zur ungewohnten Kommunikation mit den anderen Besuchern zu animieren? Werden die Besucher aus den „Transiträumen zwischen Kunst und Verweigerung” (Kaufmann) in die Tempel der alten Musikgötter mitziehen?

Viel was geplant war, war nicht möglich: die Klangrutsche am Wiener Eislaufverein, die Inszenierung eines Papst-Attentats vom Fenster des Austrophon Studios aus. Diese Ideen hätten - so Kaufmann - das Ziel gehabt, die Grenzen zwischen Kunstwerk und Wirklichkeit zu verwischen, um überhaupt noch berühren zu können. Die Hörer werden aber mit angebotenen Bio-Speisen als eßbare Klänge konfrontiert, mit den Klängen im Kanal, mit Devotionalien von Komponisten: etwa der Zehe des Jean Baptiste Lully!

Ab 17 Uhr „kommt gleichsam die Einladung zum Zirkus”: eine mobile, klingende Radfahrer-Truppe zieht über die Ringstraße zum Konzerthaus. Willkommen ist, wer immer zuhört - auch wenn die Radler dann quer durchs Foyer im Konzerthaus radeln. Jede halbe Stunde gibt es eine Führung durch den Kanal, für dessen Realisation der musikalisehen Bespielung 30 Sitzungen mit Gemeinderäten notwendig waren.

Das einzig „normale” Konzert findet am 17. März um 19 Uhr mit dem Vokalensemble Voces statt und präsentiert „politisch engagierte Musik”. Schon um 20 Uhr im Großen Saal wird das Publikum im „Hallenbad” brüskiert: Statt des Großen Orchesters elektronische Musik - keine Instrumente, aber Tonbänder, 40 Lautsprecher, die in Werken junger Komponisten der elektroakustischen Klasse Kaufmanns an der Wiener Musikhochschule Klangskulpturen entstehen lassen.

Um 22.30 Uhr „zu spät”: eine Hommage an den 1994 verstorbenen originellen Wiener Komponisten Anesthis Logothetis: „Aus welchem Material ist der Stein des Sisyphos” ist eine multimediale Oper, in der Dramaturgie eines Hörspiels, sagt Kaufmann. Die jetzige Realisation, nach Logothetis' eigens kreierter Klangschrift, ist eine Vorstufe zur szenischen Umsetzung. Freunde des Komponisten Logothetis haben bereits erkannt, daß das Material des Steines nichts anderes als „die Frau” sein kann. Die Kunst ist Hinweis auf die Quintessenz des Lebens geworden. Äusklang der langen Nacht ist ein Wettspiel mehrerer Konzerte in allen Sälen des Hauses um Mitternacht - auch das lebensecht.

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