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Jubiläum und Ausstellung

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Anläßlich des hundertjährigen Bestehens des Österreichischen Museums für Angewandte Kunst wurde in den Museumsräumen in der Weiskirchnerstraße eine umfassende Ausstellung eröffnet, die das „Kunstgewerbe des Historismus“ umfaßt und in dieser Schau gleichzeitig sowohl die Gründungsgeschichte wie das entscheidende Wirken des Museums für Österreich zeigt. Die Gründungsgeschichte ist als Beweis dafür, daß man in Österreich früher manchmal richtig und entschlossen zu handeln verstand so bemerkenswert, daß sie hier in kurzen Umrissen wiedergegeben werden soll.

Für England hatte zur Zeit der ersten Weltausstellung in London 1851 der dort lebende politische Emigrant und deutsche Architekt Gottfried Semper aus der scharfsichtigen Erkenntnis der Folgen der sich mächtig entwickelnden allgemeinen Industrialisierung vorgeschla-' gen, gegen den allgemeinen Stilverfall mit Hilfe von Museen, Ateliers und Vorträgen einen „Volksunterricht des Geschmackes“ in die Wege zu leiten. Diese Anregung führte noch im Jahre 1851 zur Gründung des heutigen „Victoria- und Albert-Museums“, das in Verbindung mit zahlreichen Zeichenschulen eine reformatorische Tätigkeit auf dem Gebiete der Kunstindustrie entfaltete, die den Problemen der industriellen Produktion entgegentrat. Nach elf Jahren Erziehungsarbeit war England auf allen Gebieten des Kunstgewerbes und der Kunstindustrie an die Spitze vorgestoßen und behauptete sich auf der Londoner Weltausstellung 1862 erfolgreich neben Frankreich. Der eklatante österreichische Rückstand in dieser Hinsicht, der auf dieser Ausstellung zutage trat, bewog den damaligen Ministerpräsidenten Erzherzog Rainer, den Universitätsprofessor für Kunstgeschichte und Kunstarchäologie Rudolf Eitelberger von Edelberg noch in London um eine Stellungnahme zu dieser Situation zu bitten und ihn im Anschluß an das Gespräch mit einer Denkschrift zu beauftragen, die konkrete Vorschläge zur Hebung und Förderung der heimischen Kunstindustrie und Geschmacksbildung mit Hilfe eines Museums enthalten sollte. Der noch im gleichen Monat verfaßten Denkschrift folgte bereits im nächsten Jahr die Antwort des Kaisers, die den Auftrag enthielt, unverzüglich an die Realisierung eines österreichischen „Museums für Kunst und Industrie“ zu gehen, um den Aufschwung der österreichischen Industrie durch Bereitstellung von Hilfsmitteln zu erleichtern und die gewerbliche Tätigkeit sowie den allgemeinen Geschmack zu heben. Als erstes „Museum für Kunst und Industrie“ wurde es am 12. Mai 1864 feierlich im Ballhaus eröffnet, ihm eine Schule angegliedert und der Neubau am Stubenring in Angriff genommen, wohin beide Institutionen — Schule und Museum — im Jahre 1871 übersiedelten. Diese entschlossenen und von Weitblick zeugenden Taten machten jenen sieh anbahnenden Aufschwung des österreichischen Handwerks, des Kunstgewerbes und der Kunstindustrie möglich, der in der Zeit der SezeSsion und der Wiener Werkstätte seinen Höhepunkt erreichte.

Die ausgezeichnete Ausstellung des Museums für angewandte Kunst, das längst schon Weltruf besitzt, erweist den nachhaltigen Einfluß den dieses Institut im vorigen Jahrhundert ausübte. So zwiespältig auch manches an der Erscheinung des Historismus sein mag, von unbestreitbarer Höhe sind die handwerklichen Leistungen, bei denen die bewundernswerte Detailausführung immer wieder besticht. Und unter der einem horror vacui gehorchenden alles überwuchernden Schmuckfreudigkeit, die vor allem wenig Maß, aber doch manchmal einen erstaunlichen Geschmack, wenig Eigenständigkeit, aber doch die Fähigkeit vernünftiger Rekapitulation besitzt, entdeckt man Stücke von zeitloser und einmaliger Größe, wie die erstaunlichen Sessel von Thonet, Gläser von Lobmeyer, englische Möbel, Kleider, Schmuck und Modeakzessoirs, die den Besucher der Ausstellung zwingen, seine Meinung über diese Zeit in manchen Punkten zu revidieren, um zu einer objektiveren Wertung zu kommen. So wird die Ausstellung in vielen Objekten zu einer Entdeckung (wozu auch die mustergültige Repräsentation beiträgt), und ist die würdige Jubiläumsfeier eines vorbildlichen Instituts, dessem Leiter und dessen Mitarbeitern man ein dankbares „ad multos rnnos“ zurufen möchte.

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