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Junge Künstler spielen neue Musik

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Nur in Epodien mit einem sehr gefestigten, dominierenden Zeitstil — wobei wir unter „Stil“ die Summe aller Lebensäußerungen einer Gemeinschaft begreifen — spricht das Schaffen der lebenden Künstler das Gefühl und den Kunstverstand der Zeitgenossen unmittelbar an. Etwa seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts stehen die Schaffenden, soweit es sich nicht um Epigonen handelt, gleichsam auf Vorposten und sind ihrer Zeit zumeist um ein Menschenalter und mehr voraus. So ist es ganz natürlich, daß die junge Generation, die Jugend, leichter zu ihren Werken Zugang findet. Jugend, das große Erbe der Vergangenheit pflegend' und der neuen Kunst dienend — das ist natürlich und erfreulich!

In beiden Richtungen wirkt das C ol 1 e-gium musicum unter Kurt Rapf. In seinem II. Orchesterkonzert erklangen — eine verdienstvolle Wiederaufführung — das Hornkonzert Nr. 2 von Haydn (Prof. Franz Koch), Mozarts Klavierkonzert A-Dur (Kurt Rapf) und, als neues Werk, Malipieros aus dem Geiste der venezianischen Madrigalkunst inspirierte, harmonisch und klanglich sehr moderne Ricer-cari für elf Soloinstrumente. — Das IV. Kammerkonzert war ausschließlich zeitgenössischen Werken gewidmet. An der Grenze zwischen Spätromantik und Moderne steht die Toccata und Fuge in mixolydischer Tonart von Felix Petyrek, und S. C. Eckhardt-Grammatt£:s Bläserquartett (Uraufführung), eine achtunggebietende kontrapunktische Arbeit, deren innere Notwendigkeit man aber nicht immer spürt. Im Stil des Komponisten — modern, intelligent, auf Klangschönheit und Abwechslung bedacht — spielte E. Bertschinger die fünf Melodien für Violine und Klavier op. 35 von S. Prokofieff. — Das VI. K a m-' merkonzert brachte die Uraufführung der von der österreichischen Kulturvereinigung vergebenen Kompositionsaufträge. Die drei jungen Komponisten, die im dritten

Lebens Jahrzehnt stehen, verbindet die starke

Beeinflussung durch die Gregorianik. Am deutlichsten ist dies spürbar in Paul Angerers Konzert für Viola, Cembalo und fünf Blasinstrumente. Unter dem starren Stilprinzip ist das Persönliche nur mehr an einzelnen Stellen spürbar. Kurt Lerpergers vier Abendlieder, von A. Prunk sehr musikalisch und tonsdiön interpretiert, unterordnen den hymnischen Text durchaus der musikalischen Form und gelangen — in der Nachfolge des „Marienlebens“ von Hindemith — zu einer nicht immer überzeugenden, aber neuen und eigenartigen Einheit von Wort und Ton, abseits romantischer Stjmmungs-malerei. Anton Heillers Stärke (Sextett für drei Blas- und drei Streichinstrumente) liegt in den bewegten Sätzen, in denen sich ein ursprüngliches Musikantentum mit Elan und Kraft entfaltet. Je weiter und entschiedener er sich von der Gregorianik entfernt, um so persönlicher und lebendiger wfrkt seine Musik.

Weniger befriedigte das IV. Kammer-konzert „Neue Musik“. Nach einer-melodischen und klangschönen Sonate für Violine und Klavier (W. Barylli und K. Rapf) des in Frankreich lebenden österreichischen Komponisten A. Spitzmüller fiel das Streichquintett von E. Komauth, op. 40 — epigonal in den Ausdrucksmitteln und niveaumäßig nicht mehr als gehobene Unterhaltungsmusik — stark ab. Ernst Kreneks Streichquartett Nr. 7, 1943/44 in Amerika entstanden, bezeugt, daß diesem originellen und produktiven Komponisten die spekulative Befassung mit der Zwölftontheorie schlecht bekommen ist und selbst einen rhythmischen Elan gebrochen hat. Wir sind überzeugt, daß dieses Werk nur das unwesentliche Produkt einer vielleicht notwendigen Entwicklungsphase des hochtalentierten Komponisten ist.

Auch Alfred Uhl (geboren 1909) hat sich mit den Strömungen und Theorien der neuen Musik auseinandergesetzt. In seiner

„Vergnüglichen Musik“ für acht Blasinstrumente dominiert durchaus die persönliche Note, ein natürliches Klangempfinden und unbeschwertes Musikantentum. Diese Komposition ist um so erfreulicher, als sie — ohne zu parodieren — einen frisch-fröhlichen Ton in die zeitgenössische Musik trägt, die das Problematische bevorzugt, oft und allzusehr Grau in Grau malt und das Divertimento fast ganz vernachlässigt. Es spielte die Bläser-Kammermusikvereinigung der Wiener Symphoniker. —

Der junge polnische Pianist Jan G o r -b a t y ist ein ausgezeichneter Techniker und geschmackvoller Musiker mit persönlicher Note. Seine Palette ist reichhaltig: er spielt Bach und Mozart ebenso eindrucksvoll wie die Werke der Modernen, unter wel.hen ihm die Kompositionen seines Landsmannes Szymanowski besonders zu liegen scheinen. Seine Interpretation der drei Sätze aus „Petruschka“ von Strawinsky, einem ungewöhnlich schwierigen Werke, war eine Meisterleistung.

Die Stärke der jungen Pianistin Irene Schneidmann liegt, von einem natürlichen, unverbildeten musikalischen Gefühl geleitet, in der Wiedergabe langsamer Sätze und lyrischer Kleinkunst. Mjaskowskis „Erinnerungen“ op. 29, eine Folge scharf kon-turierter Stimmungsbilder, und die vSarabande tut Debussys Suite pour le piano gelangen ihr besonders gut.

Anton Fietz, der österreichische Preisträger beim Genfer Musikwettbewerb, spielte den Solopart in Chatschaturians Violinkonzert sehr sauber, rhythmisch exakt und schwungvoll. Ein gutes Gedächtnis verlieh seiner Interpretation unbedingte Sicherheit. Das interessante Werk des russischen Komponisten macht an die Virtuosität des Soloinstrumentes erstaunliche Zugeständnisse (in einer überdimensionalen Kadenz und im dritten Satz), fesselt aber im ersten Satz durch die rhythmische Prägnanz und Unbekümmertheit seiner Themen.

Peter Stadien, London, vermittelte uns in einem Konzert des Tonkünstlerorchesters unter Bogo Lescovic die Bekanntschaft mit dem 3. Klavierkonzert von Bela Bart6k, dem letzten und — wie uns scheinen will — auch reifsten und zugänglichsten Werk des jüngst verstorbenen großen ungarischen Komponisten. Hier ist der Endpunkt eines Weges sichtbar, den man nicht ohne Teilnahme und Erschütterung verfolgt: von stürmischen jugend-werken über fast experimentelle Kompositionen zur Einfachheit der großen Meister (besonders im Adagio religioso), unter die vielleicht nach vielen Jahren, auch Bart6k mit seinen besten Werken gezählt werden wird.

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