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Kathedrale zwischen Wolkenkratzern

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Eine harte Tatsache in der Neuen Welt: die hochaufragenden Geschäfts-und Wohnhäuser, die Hochburgen der Manager und Ameisenmenschen, ohne Hügel, Mittelpunkt und überragendes Ziel. — Eine ernste Frage: Wie setzt sich in diesem Gewirr vertikal aufschießender Welt-türme das Gebietende, Ordnende und Beschirmende des Gotteshauses durch? — Eine unermeßlich große Aufgabe, an der sich unsere Besten versuchen, versuchen müssen. Hier spricht einer von ihnen in einer bestüizend neuen und kühnen Sprache. Nicht alle werden ihm ohne Widerspruch folgen. Alle aber müssen wir ihn hören und seine Gründe zu verstehen suchen. „Die Oesterreichische Furche“

Die modernen Großstädte Nord- und Südamerikas sind von Wolkenkratzern beherrscht. Diese dienen ausschließlich profanen Zwecken, sind häufig mutwilliger Ausdruck ungezähmter Spekulationslust, anderseits aber Zeugen hochentwickelter ' Baukonstruktion und oft auch von großer Schönheit. In unserem Gesichtskreis gebührt Corbusier das Verdienst, diesem in aller Welt aufscheinenden Bauwillen, der bisher vielfach in wild aufschießenden Bauklötzen sich austobt, Wege gewiesen zu haben, die in Hinkunft ein erregendes Bild geordneter, allen Ansprüchen auf Wirtschaftlichkeit, Hygiene und Verkehr entsprechender Großräume der neuen Stadt ergeben.

In ihrer Gesamterscheinung und als Stadtbild im ganzen genommen, werden diese Großstädte, im Aufwachsen ihrer Wolkenkratzer geordnet oder nicht, das umgekehrte Bild dessen ergeben, was uns bisher als klassisches Stadtbild vertraut ist: als Dominante über allen Giebeln und Dächern ragt die Burg oder der Stadtturm, richtet sich die Kathedrale auf, gleichsam als Gebet und Ruf Jtum Himmel. Es ist überflüssig, hier Beispiele anzuführen, sie leben im Herzen des Europäers. Die Wolkenkratzerstädte Amerikas haben alle bestehenden Kirchen und Kathedralen samt und sonders zu Boden gedrückt. Und es wird wahrscheinlich auch in Hinkunft nicht möglich sein, die Gestalt einer Kathedrale, ihre Höhenausmaße in Schiffen und Türmen in solcher Umgebung wahrhaft wirksam und eindrucksvoll ins Stadtbild zu setzen. Das Schiff als Haus Gottes über dem Altar für die Andächtigen errichtet, bleibt allein schon durch das Maß der menschlichen Stimme in den bisherigen Grenzen. Der Turm zur Aufnahme der Glocken und als Symbol des Gebetes kann zwar in seiner Höhe gesteigert werden, seine Masse aber wird es nie mit den Klötzen der Wolkenkratzer aufnehmen können. Hier müssen andere Wege gefunden werden.

Als ich vor Jahren nach Brasilien berufen wurde, um für die aufstrebende Industriestadt Belo Horizonte im Staate Minas Gerais eine Kathedrale zu planen, konnte ich den eben geschilderten Schwierigkeiten zunächst insoferne entrinnen, als es mir möglich war, in dieser zwischen Hügeln sich aufbauenden Stadt die Hügeln am Stadtrande mit vorgesehenen Flachsiedlungen ringsum, in denen die Hauptverkehrsader mündet, als Bauplatz für die Kathedrale vorzuschlagen. Damals standen die Wolkenkratzer im Stadtzentrum noch nicht. Heute schießen sie wild und ungeordnet aus dem Boden, und so bin ich über die damals getroffene und von der Stadtverwaltung bestätigte Wahl doppelt glücklich: durch den Kranz der Siedlungen getrennt, herrscht die eben im Aufbau begriffene Kathedrale als Königin mit den schönen bewaldeten Bergrücken als Hintergrund. Das Ausmaß des Baues ist gewaltig. Bei einem Durchmesser dieses Zentralbaues von 70 m schließen die aufragenden Bogcnrippen im Zenit mit einer Höhe von 150 m. Die Glockentürme sind gleichsam in das Bogenwerk des Baues eingegliedert, die Gesamtlinie ist ruhig und geschlossen. Sie bildet den wirksamsten Gegensatz zu den Spekulationsbauten der Stadtmitte. Das eigentliche Gotteshaus hat auch hier nur eine Höhe von 30 m, das würde bei einem Durchmesser der Trommel von 70 m und etwa einem flachen Dach gerade die Form eines Gasometers ergeben. Das Stützenwerk aber steigt mit frei aufschwebenden Bögen bis zur erwähnten Höhe und stülpt so eine Tiara über das ganze Gotteshaus.

Aber auch vom Liturgischen her und vom seelsorglichen Standpunkt erwachsen der Kathedrale von heute neue Impulse. Der Hochaltar liegt im Brennpunkt alles Geschehens, also im Zentrum des Rundbaues. Das Presbyterium mit dem Hochaltar, den Chorschranken, Ambonen und dem Bischofsthron liegt etwa 2 m über dem Fußboden des Gotteshauses. Senkrecht über ihm, im weit geöffneten Kuppelrund, ist Sänger- und Orgelchor in der Höhe von 30 m und über ihnen die lichtspendende Lukarne. Die modernen Mittel der Konstruktion erlauben die Einräumigkeit des Ganzen. Von allen Plätzen des 15.000 Personen fassenden Gotteshauses ist freie Sicht zum Hochaltar. Ein Kapellenkranz sorgt für die Unterbringung der Nebenandachten und verleiht nach innen und außen Maßstab.

Bei einem Fassungsraum von 20.000 Andächtigen, wie er für den Entwurf einer Kathedrale in Rio de Janeiro verlangt wird, reicht das einfache Rund nicht mehr aus. Eine zweischiffige Anlage, die in zwei Armen im Bogen gegen das Rund des Pres-byteriums läuft, ermöglicht Uebersicht und geordneten Verkehr. Diese Erwägung führte mich zu der neuen Form einer Kathedrale für Rio. Hier gab es keine Flucht an den Stadtrand, in der Hauptavenue, umgeben von Wolkenkratzern bei einer Mindesthöhe von 80 m, soll dieses Werk Bestand haben. Es ist der Gegensatz zu den durchaus kubischen Formen der Hochhäuser gesucht und aus de Erwägungen seiner Grundrißgestaltung gefunden worden.

Ein Dichter schreibt über dieses Werk: „Dem dimensionalen blutleeren Gerippe der Wolkenkratzer will ein rettendes Manifest zuvorkommen: zweiflügelig, aus der Gestalt der Taube des Heiligen Geistes gebildet, ,umarmt' der Geist die äußere Welt; die monotone Vertikale wird ' durch den impulsiven Flügelschlag des Lebendigen geschlagen ...“

Wenn nun, wie in einem dritten Fall, der mir vor kurzem als Aufgabe gestellt wurde, der Fassungsraum des Gotteshauses ein normaler, also nur zwei- bis dreitausend betragen soll, die neue Pfarrkirche aber auf einem Platz und umgeben von 60 m hohen Gebäuden gedacht ist, schien es mir nötig, bei der gegebenen Einschränkung an Höhenausmaß dem Gotteshaus in seiner Gesimsführung eine Kurve zu verleihen, die gegen den Vertikalismus der Umgebung Bestand hat. In dem Entwurf dieser Pfarrkirche für Copacabana, einem der schönsten Stadtviertel Rios, ersieht man deutlich, daß der Glockenturm als solcher neben den Massen der Wolkenkratzer sich kaum halten kann. Das Eigenleben des Schiff körpers hebt das Gotteshaus aus dem Werk der Umgebung. Für das Innere ergeben sich bei Beibehaltung der äußeren Kurve für die Decke des Schiffes in Hinsicht auf die Wirkung des Hochaltarraumes neue Gestaltungswerte.

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