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Keine Kristallstrukturen

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Splitter eines weiteren, 1938 bei Ivuna in Tanganjika abgestürzten Meteoriten werden herbeigeschafft. Eine Sensation bahnt sich an. Denn in beiden Meteoriten finden sich kleine, runde Formen, umschlossen von Doppelwänden, die sich stellenweise verdicken und Ausläufer bilden. Die Gebilde sind gelblichgrün, haben einen homogenen oder körnigen Inhalt und lassen jeden Biologen sofort an bestimmte Mikroorganismen denken, obwohl sie mit keiner Spezies, die er kennt, genau übereinstimmen. Ein Teil der Gebilde hat eine mit winzigen Spießen, Furchen und röhrenförmigen Anhängseln bedeckte Oberfläche. Seltener, aber ebenfalls in beiden Meteoriten deutlich nachzuweisen sind winzige „Schilde“ mit glatter Oberfläche.

Im Orgueil-Meteoriten finden sich außerdem noch dickwandige „Röhren“ oder „Zylinder“ sowie seltsame zehn- oder zwölfflächige Strukturen. Drei dieser Flächen sind dicker und sehen wie Standflächen aus. Die ganze Form ist von einer Art Kranz umgeben, Materie scheint aus der Grundform herauszuquellen und Anhängsel zu bilden. Jeder Laie, der derlei unter einem Mikroskop sähe, würde sofort an Mikroorganismen denken. Doch kein Fachmann ist in der Lage, sie zu identifizieren.

Ein temperamentvolles Für und Wier entbrennt. Eine sogenannte „Chicago-Gruppe“ tut sich zusammen — die Gelehrten, die ihr ange hören, lassen jede Erklärung gelten, nur die eine nicht, daß es sich hier um Überreste von organischem Leben handelt. Ein „harmloser“ Erklärungsversuch scheitert sofort: Es handelt sich bei den seltsamen Formen keinesfalls um Kristallstrukturen. Sie können auch nicht durch die Erhitzung des Meteoriten beim Sturz durch die Lufthülle der Erde entstanden sein.

So konzentriert sich nun alles auf den Beweis einer sogenannten Kontamination, einer Verunreinigung durch irdische Substanz. Meteoriten sind porös. Vielleicht sind Algen, vielleicht ist Blütenstaub in das Innere der Meteonten eingedrungen?

Doch Algen in einer trockenen Museumsluft und noch dazu Algen von völlig neuer, unbekannter Art? Und der gleiche rätselvolle, nicht identifizierbare Blütenstaub in einem Meteoriten, der in Südfrankreich, und einem, der in Tanganjika abgestürzt ist?

Weitere Meteoriten werden untersucht, neue Analysen durchgeführt. Die Trümmer stammen offenbar von einem Himmelskörper, der mit einem großen Wasserreichtum und einer Lufthülle gesegnet und demnach mindestens so groß wie der Mond war. Ein kleineres Gestirn hätte zuwenig Anziehungskraft, um eine Lufthülle festzuhalten.

Die „Optimisten“, die Männer, die an außerirdisches Leben glauben und hier einen Beweis gefunden zu haben glauben, schließen sich in der sogenannten „New Yorker Gruppe“ zusammen. Sie sind fest davon überzeugt, daß es sich bei den rätselvollen Gebilden um versteinerte Zellen handelt, die etwas anders aufgebaut waren als die Zellen irdischer Lebewesen, oder aber um „präzellulare Strukturen“, also Überreste eines Lebens, dessen Entwicklung noch nicht bis zur Zelle gediehen war.

Was sie sagen, ist nicht zu wider legen. Aber auch nicht zu beweisen. Immerhin rang sich sogar der Nobelpreisträger Harald Urey zu der Ansicht durch, es handle sich wirklich um Überreste lebender Organismen. Urey ist mit einem Experiment berühmt geworden, das Geschichte gemacht hat. Er hat in einer Apparatur künstlich Verhältnisse herbeigeführt, wie sie einst, in der Urzeit der Erde, auf unserem Planeten geherrscht haben dürften. Das Wasser in seinem Glasgefäß war so zusammengesetzt wie der „Ur-Ozean“. Darüber lagerte eine Ammoniak- Atmosphäre, denn in einer solchen „giftigen“ Luft hat das Leben bekanntlich nach der Ansicht der führenden Biologen seine ersten Entwicklungsschritte zurückgelegt. Und da diese Ammoniakatmosphäre wahrscheinlich von ungezählten unerhört mächtigen Gewittern durchzuckt war, schmolz Urey Elektroden in seinen Versuchsaufbau ein. Das Wasser wurde auf die richtige Temperatur gebracht — der „Ur-Ozean“ war warm. Der Strom wurde eingeschaltet und die elektrischen Ladungen begannen. Nach einer bestimmten Zeit wurde der Inhalt des Gefäßes analysiert. Zahlreiche Aminosäuren hatten sich gebildet, Vorstufen des Eiweiß, Vorstufen des Lebens.

Damit ist natürlich keineswegs gesagt, daß man Leben künstlich erzeugen kann. Und jener sowjetische Wissenschaftler, der zu sagen pflegt: „Wenn wir einmal Eiweiß herstellen können,' dann krabbelt’s auch“, müßte das erst einmal beweisen. Doch Urey wurde mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, sein Experiment wurde von anderen mit dem gleichen Erfolg wiederholt, und neue Ansichten über die Entwicklung des Lebens setzten sich durch. Einst hielt die Naturwissenschaft seine Entstehung für einen großen Zufall. Heute hält man es für möglich, daß sie durch eine Reihe „begünstigter chemischer Reaktionen“, die sich besonders leicht einstellen, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, vorgezeichnet war.

Weltanschauliche Einwände könnten einem Vorurteil oder einem Mißverständnis entspringen. Auch hier bricht sich ein neues Denken Bahn.

Das Interesse, das heute Teilhard de Chardin entgegengebracht wird, ist kein Zufall, und es ist auch kein Zufall, nicht etwa Ergebnis einer seltsamen Laune, wenn eine hohe kirchliche Stelle bündig erklärte, die Anschauung, es könne auch auf anderen Himmelskörpern Leben existieren, stehe nicht im Widerspruch zur katholischen Lehre.

Doch es ist schwer, sich von alten Denkgewohnheiten zu lösen. Harold Urey rang sich zwar zu der Ansicht durch, bei den Strukturen im Inneren jener Meteoriten handle es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Lebensspuren. Doch gleichzeitig erwähnte er auch sofort die Möglichkeit, es könnte sich hier um irdisches, vor Jahrmillionen auf irgendeine ungeklärte Weise in den Weltraum gelangtes Leben handeln, daß nun, durch den Meteoritensturz, zurückgekehrt sei. Doch wie könnte dies vor sich gegangen sein? Haben wir es hier wirklich mit dem Ansatz zu einer wissenschaftlichen Hypothese zu tun? Oder nicht vielleicht mit einem Zeugnis für eine unbewußte, aber um so mächtigere psychologische Tendenz?

Außerirdisches Leben ist vorerst nicht beweisbar.

Doch ein allzu heftiger Widerstand gegen diesbezügliche Erörterungen könnte sich als ein verzweifelter Versuch entpuppen, die letzten Reste eines Weltbildes festzuhalten, dem bereits mit Kopernikus die Stunde geschlagen hat.

Die US-Weltraumbehörde NASA arbeitet bereits seit Jahren an Geräten, die auf dem Mond landen und feststellen sollen, ob es dort Bakterien gibt. Man weiß heute, daß der Luftdruck auf dem Mars um vieles geringer ist als auf dem Gipfel des Mount Everest, aber man kennt auch die fast unbeschränkte Anpassungsfähigkeit des Lebens, und man hält nahezu alles für möglich. Eine eigene NASA-Konferenz beschäftigte sich mit den Lebensmöglichkeiten auf dem Jupiter — wobei natürlich nur an sehr niedriges Leben gedacht wurde, aber gerade dieses fände dort möglicherweise ideale Bedingungen für Entstehung und erste Entwicklungsschritte. Was darüber hinaus- gehf, ist Spekulation.

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