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KIRCHENMUSIK - HEUTE, MORGEN

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In eine ereignis- und spannungsreiche Zeit fiel der V. Weltkongreß Mr katholische Kirchenmusik. Hatten seine Vorgänger, dnie Kongresse von Rom 1950, Wien 1954, Paris 1957 und Köln 1961 mehr oder weniger innermusikalisch-künst- lerische Anliegen, so galt es bei dieser ersten postkonziliaren Großveranstaltung, die Musik mit der Liturgie zu konfrontieren und zu zeigen, wieweit die Forderungen der Konzilsreform in die Praxis umgesetzt werden konnten beziehungsweise in welchen Konturen sich die Gestalt einer Neuen Kirchenmusik abzuzeichnen beginnt. Das Ergebnis war positiv, und für den Künstler anregend.

Zunächst muß die Stellung der Musica Sacra in der postkonziliaren Liturgie Umrissen werden. Die Constitutio de sancta liturgia, promulgiert am 4. Dezember 1963, widmet ihr ein eigenes Kapitel (Kapitel VI mit den Artikeln 112 bis 121). Auch hier wird — wie in allen vorhergegangenen päpstlichen Enuntiationen — die Musica sacra als wesentlicher Teil der Liturgie bezeichnet: cantus sacer, qui verbis inhaeret neces- saraam vel integralem liturgiae sollemnis partem efficit. Damit ist die Bedeutung und Berechtigung der Musik in der feierlichen Liturgie klar ausgesprochen, ja der ausdrückliche Hinweis auf den „thesaurum pretii inaestimabilis“, auf den Reichtum von unschätzbarem Wert, den die überlieferte Musik der Gesamtkirche darstellt, unterstreicht den Charakter der Kirchenmusik als wahre Kunstmusik, denn nur durch die höchste kompositorische Qualität kann die Tonkunst ihrer eigentlichen Aufgabe nachkommen, Gott zu verherrlichen und die Gläubigen zu erbauen.

Daraus ergibt sich aber auch, daß sowohl rein musikalische Wertungen als auch dilettantische Vorstellungen von der Liturgiefähigkeit der Musikgattungen Fehlurteile sind: im ersten Fall handelt es sich um den berüchtigten, von allen Päpsten verurteilten l’art-pour-l’art-Standpunkt, der das individuelle Kunstwerk beziehungsweise den Komponisten verherrlicht, statt Gott, dem Schöpfer die Ehre zu geben, im zweiten Fall wird umgekehrt die Tonkunst beleidigt, weil sie von Menschen beurteilt wird, denen es an den nötigen Fachkenntnissen mangelt. Sowohl Liturgiefähigkeit als auch kompositorischer Wert müssen zusammenfallen, wie es die großen Meisterwerke der kirchlichen Tonkunst beweisen. Das gilt nicht nur für die polyphone Kirchenmusik, sondern selbstverständlich auch für den Gregorianischen Choral, der eigentlichen Musikgattung der katholischen Kirche, und von den kirchlichen Volksweisen alter und neuer Provenienz. Ausgenommen erscheint der Seitenzweig der „geistlichen Musik“, die nicht für den liturgischen Gottesdienst bestimmt ist.

Durchgeführt wurde der Kongreß von der amerikanischen Landesorganisation der CIMS in den Städten Chikago und Milwaukee. Von allen Staaten der USA ist der mittlere Westen noch am stärksten kirchenmusikalisch geprägt und weist eine mehr als hundertjährige Tradition auf: Nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde der Schweizer Kirchenmusiker Johannes Singenberger von Bischof Henny von Milwaukee in die deutsch-polnische Gründung Milwaukees berufen und dadurch ein nordamerikanischer Zweig der Regensburger Schule ins Leben gerufen, dessen Kirchenmusikwerk bis heute spürbar geblieben ist.

Drei Hauptprobleme sind es, welche die postkonziliäre Kirchenmusik bewegen:

• Die Sorge um die Erhaltung des lateinischen Hochamtes und um die Bewahrung der traditionellen Kunstmusik, die in den Augen vieler Reformer durch die Gleichberechtigung der Landessprachen nun überflüssig geworden ist. Artikel 80 der „Richtlinien der österreichischen Bischofskonferenz“ vom 8. Februar 1965 lautet: „Das lateinische Amt soll weiterhin gefeiert werden, nicht nur in Kathedralen, Seminarien und Klöstern, sondern nach Möglichkeit auch in den Pfarrkirchen, wenigstens einige Male im Jahr.“

• Die geforderte Teilnahme des Volkes am Gesänge ist ein weiteres Problem, das pastorale und musikalische Prinzipien betrifft; darüber später.

• Besonders kritisch müssen die Versuche zur Schaffung eines landessprachigen Kirchenliedgutes betrachtet werden. Von einem spontanen „Liederfrühling“ kann überhaupt keine Rede sein und in den meisten bisherigen Schöpfungen triumphieren Dilettantismus und Pauperismus. Daß man in liturgischen Randschichten hier sogar Jazzelemente für das heilige Meßopfer sanktionieren will, wirft ein bezeichnendes Licht auf die erschütternde Unsicherheit unserer Zeit.

Verantwortlicher Träger des Kongresses war zum erstenmal die Consociatio internationalis musicae sacrae (CIMS),

ein Dachverband des gesamten orbis catholicus, der von Papst Paul VI. im ersten Jahr seines Pontifikats mit dem Motu proprio „Nobile subsidium liturgiae“ kanonisch errichtet wurde. Ihr Präsident ist der Kölner Prälat und Kirchenmusiker Prof. Dr. Johannes Overath, und in ihr finden die Kirchenmusiker der ganzen Welt Sammlung und Schutz gegen Übergriffe und Bilderstürmerei aller Art von intoleranten Kreisen, die den großartigen „Thesaurus musicae sacrae“' leichtfertig verschleudern möchten.

Der Kongreß gliederte sich in einen wissenschaftlichen und in einen praktischen Teil. So war die erste Halbwoche Studientagen gewidmet, die im idyllisch gelegenen Rosary- College der Dominikanerinnen von Chikago stattfanden: Ungefähr 130 Teilnehmer, darunter 60 Universitätsprofessoren, Hochschullehrer und führende Komponisten als Experten aus den USA, aus Mexiko, Japan, Frankreich, England, Belgien, Spanien, Holland, Italien, Deutschland, Österreich, Polen, Ungarn, aus der Schweiz usw. behandelten die musikalischen Grundlagen und Folgerungen der in der Konzils- konslitution betonten actuosa participatio populi. Vorschläge zur Lösung kirchenmusikalischer Probleme im Zusammenhang mit der liturgischen Erneuerung wurden ausführlich diskutiert. Die musikalische Merkwürdigkeit des „Kirchen- jazzes“ wurde allerdings nur am Rande gestreift, da es sich nicht um ein musikalisch-essentielles Problem handelt.

Dagegen fand ein Memorandum der kirchenmusikalischen Nationalkommission von England und Wales allgemeine Zustimmung, da sich mu'tatis mutandis jedes Traditionsland angesprochen fühlte. Dabei wurden folgende Prinzipien hervorgehoben:

• Die Entwicklung und Forderung volkssprachlicher liturgischer Gesänge möge nicht überstürzt und hastig von dilettantischen Kräften, sondern von wirklichen Künstlern in verantwortungsvoller Arbeit und mit angemessener Geduld erstrebt werden. Die beste Voraussetzung hierfür biete eine mit guten Texten zunächst nur gesprochene Liturgie in der Volkssprache.

• Bei der Schaffung neuer volkssprachlicher liturgischer Gesänge möge sodann die Eigenart der Sprache wie auch die individuelle Gesangskultur des Landes Berücksichtigung

• Neben diesen Bemühungen möge das lateinische Hochamt einen festen Platz in der Liturgie der Kirche behalten, um einen nicht wiedergutzumachenden pastoralen und künstlerischen Schaden zu verhüten, vor allem in jenen Kirchen, welche durch fachlich gebildete Kirchenmusiker und gute Chöre hierfür die notwendige Voraussetzung besitzen.

Die Musiktage des Kongresses fanden in Milwaukee statt und waren bis zum Rande mit Pontifikalämtern, Eucharistiefeiern, Wortgottesdiensten, Vokal-, Instrumental- und Orgelkonzerten gefüllt. Zur feierlichen Eröffnung hatten sich in der Stadthalle, Auditorium genannt, 7000 Teilnehmer eingefunden. Begrüßungsworte höchster kirchlicher und staatlicher Würdenträger, Ansprachen von Vertretern der deutsch, französisch, italienisch, spanisch und slawisch sprechenden Völker zeugten von der Universalität des Weltkongresses.

Weniger universal waren freilich die musikalischen Darbietungen: ein Choralamt und die Messe in e-Moll von Anton

Bruckner — die eine glänzende Wiedergabe erfuhr — waren so ziemlich die einzigen Gesänge, die von der alten Kraft des vinculum linguae liturgicae Zeugnis ablegten. Sonst war es für den nicht englisch Sprechenden schwer, sprachlich mitzukommen, und ein Lord have mercy kann einem anderssprachigen Katholiken ein Kyrie eleison kaum ersetzen. Gerade hier zeigte sich das Problem der linguae vernaculae in der postkonziliaren Liturgie in seiner vollen Gravität: musikalisch gesehen zerfällt nun die gewaltige historische Lateinliturgie in landessprachliche Gruppen mit individuell- stammieshaftem Musikgeist. Dabei stellt der amerikanische Zweig mit seinen 45 Millionen Katholiken ein beachtliches Reservoire dar, das noch lange nicht ausgeschöpft ist. Leider fehlte eine Buch- und Notenausstellung, die den Teilnehmern starke Eindrücke von einem kräftig aufstrebenden Kirchenmusikverlagwesen in den USA hätte bieten können.

Die Proben amerikanischer, liturgischer und geistlicher Musik, die der Kongreß bot, zeigen eine neue Generation im

Aufbruch, der den Cäcilianismus Singenbergerscher Prägung fast vollkommen abgestreift hat. Es versteht sich freilich, daß vor diesem Weltforum nur neue, ja avantgardistische Kirchenkompositionen geboten wurden, die keine echten Schlüsse auf die Durchschnittsarbeit der Kirchenchöre erlauben. Immerhin boten sich zum Teil recht ansprechende, aber auch recht unbekümmerte Lösungen dar, und es scheint, daß die zukünftige katholische Kunstmusik (solange es eine solche noch geben wird) von den USA her starke Impulse empfangen wird, die allerdings durch ihre Beschränkung auf die englische Sprache stark abgeschwächt sein werden. Zudem ist es — nach den Erfahrungen von Chikago und Milwaukee

— jetzt schon eine betrübliche Tatsache, daß sich die früher so stark verbundenen Kirchenkomponisten nun auseinanderleben und in landessprachliche Gruppen zerfallen.

Die vom Konzil mit Nachdruck geforderte actuosa participatio populi ist — künstlerisch-technisch gesehen — bis jetzt ein unerfülltes Ideal geblieben. Noch kein wahrer Komponist hat sich bis jetzt um die Zumutbarkeit seiner Melodien für das Volk gekümmert. Das Volk ist aber keine Elitegruppe gebildeter Kirchenmusiker und notenkundiger Kirchensänger, wie es in Milwaukee so imponierend vorexerziert wurde, sondern die gesamte Kirchengemeinde, vom sechsjährigen Kind bis zum 80jährigen Greis, alle Berufsstände umfassend. Im deutschen Sprachraum dürften Mitterers „Auf zum Schwur“ und vielleicht noch Gollers Klosterneuburger Messe die letzten Melodien gewesen sein, die tatsächlich vom ganzen Kirchenvolk aufgenommen wurden. In der postkonziliaren Kirchenmusik ist von einer ähnlichen „Volksweise“ noch nichts bekannt, und alle auf dem Kongreß gehörten Volksweisen waren viel zu schwierig, unsanglich und zu individuell. Gerade in der Unvereinbarkeit von echt volkstümlicher Melodik und wahrer künstlerischer Haltung liegt die Problematik der Konzilsforderung. Es ist schon richtig, noch zu keiner Zeit vorher wurden den Kirchenkomponisten schwerere Aufgaben zugemutet. Aber nicht jedes Jahrhundert hat einen Palestrina hervorgebracht und nicht immer gelingt ein elementares Kunstwerk auf den ersten Anhieb. Was Wunder, wenn sich hier unentschuldbarer Dilettantismus und unverantwortlicher Pauperismus breitmachen. Dabei wurden auf dem Kongreß Interpretationen stark beachtet, die auch in der still-versunkenen, hörenden Teilnahme an einem Meßkunstwerk eine gottgefällige actuosa participatio sehen.

Prälat Overath hat die Situation der katholischen Kirchenmusik in seiner Predigt in der Kathedrale von Milwaukee folgendermaßen gekennzeichnet: „Die Krisis der Musica sacra in der Liturgie unserer Tage ist auch ein Symptom für den Mangel an gläubiger Erkenntnis der übernatürlichen Dimensionen unserer heiligen Kirche, ihrer höchsten Aufgabe und letzten Bestimmung: der Verherrlichung Gottes, die Himmel und Erde verbindet. Alle irdische Liturgie ist Abglanz der himmlischen Liturgie, von der sie ihre Würde und ihren hohen Rang empfängt. Deshalb nennen wir die Musik einen integrierenden Bestandteil der irdischen Liturgie, Musica sacra, deren Wesen allein vom erlösten und geheiligten Menschen begriffen und gestaltet werden kann Sie muß Anbetung im Geist und in der Wahrheit sein!“

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