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Das "Phantom der Lust", eine 1000-Bilder-Ausstellung der Neuen Galerie Graz, geht den Visionen des Masochismus in der Kunst nach.

anchmal muss man ehrlich sein. Und sagen, dass die Tarnung perfekt ist. Ein trügerisches Phantomplakat ist die halbe "Besucherbeute", meinte die Graz-2003-Marketingabteilung und kleidete das Informantenpersonal in schwarze T-Shirts mit dem Aufdruck: Der Mensch ist zum Leiden geboren. Und die sich häutende Schöne auf dem Ausstellungsplakat ist ein gelungenes Beispiel für ein perfektes Sponsoringgeschäft. Aber zu einer Ausstellung möchte man ja verführen, weniger freilich zu Visionen denn zu einem Phantom. Graz, dessen westliche Einfahrtsstraße mit "LOVE" in Neonlettern willkommen heißt - hier wohnen die "Maschinisten der Gefühle" (Die Zeit 6/2003) - macht sich seit Ende April einen Namen als "Welthauptstadt des Masochismus" (Co-Kuratorin Christa Steinle im Katalogvorwort). Und entkräftet damit nebenbei, was den Verantwortlichen des Kulturprogramms vorgeworfen wurde, dass es ohne Grazbezug auskommt.

Leopold von Sacher-Masoch

Dem einschlägigen Schreib- und Praxistrieb des Leopold von Sacher-Masoch (1836-1895), der in Graz beinahe dreißig Jahre lang lebte, ist es zu verdanken, dass man hier derzeit versucht, der schmerzhaften Befriedigung durch Leid und Gewalt künstlerisch gerecht zu werden. Sein in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenes Werk "Venus im Pelz" (1869) dient als Vorlage und Mittelpunkt der Ausstellung "Phantom der Lust", die Peter Weibel mit sicherem Themeninstinkt zusammengetragen hat.

Dass der Name Sacher-Masoch zum Synonym sexueller Entartung stigmatisiert wurde, ist dem Grazer Zeitgenossen und Arzt Richard von Krafft-Ebing (1840-1902) zuzuschreiben. Sein Standardwerk "Psychopathia sexualis" (1890) verlieh Begriffen wie Masochismus, Sadismus und Fetischismus einen fixen Platz in der Nomenklatur der Sexualwissenschaften.

Dem biografisch-historischen Teil und der damit längst notwendigen Aufarbeitung dieser zwei Grazer Persönlichkeiten widmet das Stadtmuseum eigene Räume. Das gesamte Ausstellungsareal der Neuen Galerie ist den Phänomenen des Masochismus in der Kunst vom Ende des 19. Jahrhundert bis zur Gegenwartskunst gewidmet. Die zur Betrachtung der Exponate nötige Distanz schaffen am Boden ausgelegte, kühl glänzende Blechstege. Sie verleiten zum voyeuristischen Kunstblick. Was hier gezeigt und im Sinne des Kurators Peter Weibel die Subjektkonstellationen des 21. Jahrhunderts dominieren wird, lässt erwartungsgemäß nicht locker: Lack und Leder, Strick und Peitsche, Gewalt und Blut, Perversion und Verletzung.

Jugendverbot

Für die Ausstellung wurde ein Jugendverbot ausgesprochen. Man will keine halben Sachen machen, meinte dazu 2003-Intendant Wolfgang Lorenz und entschied sich für ein Alterslimit. Limitiert hätte die massige Schau allemal gehört. So leiden nicht nur die extremen zeitgenössischen Positionen unter dem Zwang der Motivwiederholung, sondern auch an einer schwer einsehbaren Beliebigkeit. Manche hätten auch (und besser) in der Weibel-Ausstellung "M_ars. Kunst und Krieg" zu Beginn des Jahres (Furche 4/2003) Platz gehabt; darunter Arbeiten wie Sylvie Blochers Videoarrangement, Catherine Opies Fotoserie oder Philippe Ramettes Objekte. Ungewöhnlich beeindruckend ist eine in Schwarz-Weiß gehaltene Bilderserie des amerikanischen Fotokünstlers Larry Clark: Man kentert förmlich als Betrachter beim Anblick der in unterschiedlichen Lebens- und Leidenslagen abgebildeten "jungen Armut". Alles Trugbilder der Lust?

Bleibt die Lust metaphorisch in Pelz gehüllt, also streng ästhetisch und distanziert formal, vermag sie mitunter zu fesseln: wie das grafische Bildwerk von Günther Brus, welches die Neuauflage des Buches "Venus im Pelz" illustriert; ebenso Helmut Newtons Fotos in einem verspiegelten Rokokosaal. 80 Jahre früher zeigt Alfred Kubins "europäische Salome", dass die Figur der gnadenlos Mordenden keine heutige Erfindung ist. Die sühnende Praxis der Selbstqual, wie es das mittelalterliche Christentum mit enormen Folgenwirkungen entwickelt hat, kommt trotz einiger Rückblenden in die Geschichte kaum vor, was aufgrund der Unzahl der Bilder merkwürdig erscheint.

Christliche Qualen

Die Positionen der zeitgenössischen Exponate, die sich nicht in Fesselungen, Durchlöcherungen und Verstrickungen ergehen, machen die gelungene Minderheit der Ausstellung aus. Der angeregte Diskurs, Herr- und Knecht-Verhältnisse, soziale Strukturmerkmale und Subjektverformungen einer Gesellschaft im 21. Jahrhundert zu reflektieren, findet in einem umfangreichen Ausstellungskatalog und einem vom Co-Kurator Michael Farin herausgegebenen Katalog mit Quellentexten zur Begriffsgeschichte des Masochismus eine mögliche Fortsetzung. Liegt einem die Praxis näher, lädt das Nobelhotel Erzherzog Johann im Zentrum von Graz zur Nächtigung und vergibt für 220 Euro pro Nacht eine Wanda Sacher-Masoch-Suite für zwei Personen. Gemütlich getarnt und selbstverständlich diskret.

Phantom der Lust

Neue Galerie Graz und

Stadtmuseum Graz

Bis 24. August, Di-So 10-18 Uhr,

Do bis 20 Uhr

www.graz03.at

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