"Körpergefühls-Bilder"

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Maria Lassnigs Malerei in der Sammlung Essl.

Was passiert, wenn zwei Menschen ein und denselben Baum betrachten und sich objektiv darüber äußern? Mindestens drei verschiedene Versionen des Baumes. Des Pudels Kern von diesem alten Witz beschreibt wunderbar das innere Wesen der Malerei, und zwar tierisch ernst. Bereits ein etwas differenzierter Blick auf die so genannten alten Meister zeigt, dass es ihnen nicht darum gegangen ist, irgendein Objekt aus der freien Wildbahn der Natur mit Farbe und Pinsel einzufangen und dann in den Rahmen eines Bildkäfigs zu sperren. Es ging im Gegenteil immer schon darum, zu veranschaulichen, dass genau das nicht möglich ist. Es ging im Gegenteil immer schon darum, den Mehrwert, den die Dinge schon als bloße Dinge uns jenseits der positivistischen Beschränktheit anbieten, sichtbar zu machen. Mit den Bildwerken der Moderne wird dies nun offensichtlicher - und damit auch der Blick für die Vergangenheit geschärft. Auf höchstem Niveau führt dies Maria Lassnig vor.

Kunst, die glücklich macht

Es ist wohl kaum übertrieben, die 1919 in Kärnten geborene Maria Lassnig als die "grande dame" der österreichischen Malerei zu bezeichnen. Es war allerdings ein steiniger Weg, der sie dahin geführt hat. Verkannt und ignoriert blieb sie der Malerei, der Urzustandskunst, wie sie diese nennt, treu. Nur kurze Abstecher zum Trickfilm und zur Skulptur ergänzen ihr Schaffen. In der "Kantate", einem autobiografischen Film, besingt sie ihr Metier: "Ich glaubte an die Kunst und glaubte auch, dass sie / die Menschheit bessern, glücklich machen kann." Und dennoch trat sie nie als Weltverbesserin auf. In einer ihr eigenen Introspektion entwickelt sie "Körpergefühls-Bilder", lässt den unaufhörlichen Austausch zwischen Innenwelt und Außenwelt in einzigartigen Bildwelten zusammenfließen. "Ich trete gleichsam nackt vor die Leinwand, ohne Absicht, ohne Planung, ohne Modell, ohne Fotografie, und lasse entstehen. Doch habe ich einen Ausgangspunkt, der aus der Erkenntnis entstand, dass das einzig wirklich Reale meine Gefühle sind, die sich innerhalb des Körpergehäuses abspielen: physiognomischer Natur, Druckgefühle beim Sitzen und Liegen, Spannungs- und räumliche Ausdehnungsgefühle - ziemlich schwierig darstellbare Dinge." Werden diese schwer darstellbaren Dinge wie bei Maria Lassnig bis in diese klaren und wissenden Bildfindungen durchgetragen, kann man dennoch für die Verbesserung der Welt einiges lernen.

Denn selbstverständlich halten die "Atommütter" die schwarzen Kinder-Särge, die sie niederdrücken, den Betrachtern vor Augen; "Atlas" gerinnt das geschwungene Badetuch zu einem kantigen Gebirge und entblößt den Schönwetterurlaubstraum; der Körper des "Industrieengels" erstarrt zur Säule, wird zur Rotationsachse unkontrollierbarer Flügelschläge; die "Ideenfischer" saugen die am Boden liegende Künstlerin aus; in der "Trauer" taucht diese nochmals kauernd auf, eines ihrer Werke' auf dem Schoß, erschlagen von den bedrohlichen Figuren im Hintergrund, die "Abwehr" scheint nur in einer aus dem Fußball entlehnten Szene tatsächlich zu gelingen. Dokumentiert wird dies alles bloß durch Farbe. Durch "Schmerzfarben und Qualfarben, Nervenstrangfarben, Druck- und Völlefarben, Streck- und Pressfarben, Höhlungs- und Wölbungsfarben, Quetsch- und Brandfarben, Todes- und Verwesungsfarben, Krebsangstfarben - das sind Wirklichkeitsfarben." Bei einer derartigen Farbpalette verwundert es nicht, dass die Betroffenheit auf Seiten der Betrachter umso intensiver ausfällt.

Allerdings bleibt die Palette von Maria Lassnig immer von hellen und freundlichen Farben dominiert. Zum Schmerz bildet ein griffiger und trockener Humor einen erfrischenden Ausgleich. Zum Teil ist er in den bereits erwähnten Arbeiten mitverpackt, zum Teil beansprucht er ganze Bilder für sich. So hat man den Eindruck, als würde der "Heroische Mistkübel" einem die Zunge entgegenstrecken und sagen: Ich bin genauso voll wie Du. Die "Quelle der Weisheit" wiederum entpuppt sich als Spülkasten eines klassischen wcs, mit einer scharf blickenden Eule obendrauf und seitlich menschlichen Beinen dran: Wir wissen schon, dass wir etwas - eine diplomatische Erklärung über den Zustand der Welt etwa - erst dann wirklich verdaut haben, wenn wir jenen Teil davon, mit dem wir aufgrund unserer Konstitution nichts anfangen können, wieder losgeworden sind.

Schrill und behutsam

Die Arbeiten von Maria Lassnig schreien trotz der schrillen Farben ihre Botschaft nicht in die Welt hinaus, zu Bildwichtigkeit aufgeplusterte Geschwätzigkeit ist ihnen fremd. Ohne etwas zu beschönigen, sind ihre Bilder schöne Bilder und verwechseln nicht Betroffenheitserzeugung mit plakativem Schock. Trotz der Schwere von dem, was man antiquiert Inhalt nennen könnte, bleiben sie behutsam. Maria Lassnig wandert wie einst King Kong als "Woman Power" durch die Hochhäuser von New York. Aber in Selbstbeschränkung fehlen ihr die Beine ab den Knien und so schwebt sie durch die Stadt - nicht über der Stadt. Die Balance zwischen dem Innen und dem Außen wird aufrechterhalten. Es gehört schließlich zum malerischen Programm: "Die Malerei ist ein Liebesbeweis an die Welt." Niemand wird freilich die Bilderwelt der Maria Lassnig so erleben wie sie diese erlebt, aber wer davor steht, dem kann man zurufen: Sie werden was erleben!

Maria Lassnig

body. fiction. nature

Sammlung Essl, An der Donau-Au 1, 3400 Klosterneuburg

Bis 28.8. Di-So 10-19, Mi 10-21 Uhr

Katalog: Maria Lassnig, body. fiction.

nature, Klosterneuburg/Wien 2005, 164 Seiten, e 27,-

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