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Konfrontation der Zeugen

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Woher dieses Licht, was zwingt dem dämmerigen Wintertag soviel Leuchten ab? Tiefes, strahlendes Grün fängt den Blick, beruhigend wie eine Oase in dein vielfältigen Geflimmer. Und da man näher tritt, fügt sich auf dem Smaragdhintergrund eine stille Szene zusammen. Ein Steinbänklein, kaum angedeutet, darauf in Purpur und Amethystrot die Jungfrau, ein durchaus wienerisches, rundliches, spitzenumrieseltes Gesichtchen vertrauensvoll lauschend zu einem Jünglingsengel erhoben, der mit rötlichem Gefieder und goldenem Gewand vor ihr aufblitzt und mit Eifer wunderbare Erklärungen abgibt. Kein Beiwerk stört, in selbstverständlicher und ungebrochener Einheit stehen das Totum der Natur als grüner Hintergrund und Mensch und Engel zueinander in einer gemeinsamen geschöpflichen- Beziehung. Ein sänftigender Bann scheint von diesem Bildwerk auszugehen, so daß man beinahe vergißt, auf das darunter angebrachte Täfelchen zu schauen. Da steht: Verkündigung, aus dem Wiener Stephansdom, um 1340.

Es ist eine der wenigen Scheiben, die von den mittelalterlichen Glasfensterzyklen des Chors von St. Stephan erhalten geblieben sind. Das österreichische Museum für angewandte Kunst zeigt sie mit über 60 anderen Glasbildwerken in einer Sonderausstellung derart, daß man vor den Fenstern eines Saales eine Mauer aufgestellt hat, in welche diese Glaskunstwerke eingelassen wurden. Nun leuchten sie in den dunklen Raum, und man kann die Tafeln so nahe betrachten, wie es an ihrem einstigen Standort nie möglich gewesen wäre, ja, man kann sie berühren, und fühlen, wie uneben, geädert, gestriemt, blasig das Glas ist, verwittert und versintert oft, wie Gestein. Edler Stein ist es ja auch, nicht in Jahrtausenden tellurischer Entwicklung entstanden, in den Feuern der Erdtiefe, wohl aber in Jahrtausenden menschlichen Forschens und Sehnens, und in den vom Menschengeist entfachten Feuern der Schmelzöfen. Im Altertum nur in geringen Mengen herstellbar und • meist für Zwecke des Totenkults verwendet, wurden das Glas und seine hohen Möglichkeiten erst vom Abendland völlig entdeckt. Künstler und Mönche, Fürsten und Alchimisten und namenlose Werkleute an den Bauhütten mühten sich, es zu einem Mittel zu läutern, durch das ihre Vorstellungen von einer transzendenten Welt ausgedrückt werden konnten. Wenn die Apokalypse von den „Edelsteinmauern“ des himmlischen Jerusalem berichtet, dann sollten die gläsernen Mauern der Kathedralen mit dem Juwelenglanz ihrer Farben auch den Abglanz an beseligender und verpflichtender Bedeutung schenken.

Die „geheime Glaskunst“ blühte — von Byzanz über Venedig ebenso wie vom Westen lernend — auch in Österreich, doch ist nur wenig erhalten. Dies wenige ruhte zudem in Depots, bis es anläßlich der Renovierungsarbeiten um St. Stephan hervorgeholt wurde, um nun, über ein halbes Jahrtausend hinweg, in ein tiefes Gespräch mit uns zu treten.

Die frühen Scheiben des Albertinischen Chors zeigen ihren Stil einer bereits idealisierenden Verklärung der Geschlossenheit der mittelalterlichen Welt am reinsten in der eingangs beschriebenen Verkündigung von 1340. Andere Tafeln, aus etwas späteren Jahrzehnten, wie die der Anbetung der Könige und der Steinigung des hl. Stephanus, weisen bereits eine stärkere Individualisierung auf, ja dörperische Derbheit scheint sich einzumengen, wenn die Könige etwas dicklieh und geschäftig um das Kind drängeln und einer von ihnen lässig an seine Krone tippt wie an einen Krämerhut.

Völlig deutlich wird das Neue, das sich anbahnt, in den sogenannten Herzogsfenstern, einem bisher fast unbekannten Hauptwerk österreichischer mittelalterlicher Kunst, das um 1370 entstand. Es handelt sich um zwei Fenster, aus je neun Tafeln bestehend (zwei fehlen), die von Herzog Rudolf IV. und seinen Brüdern für eine heute nicht mehr genau lokalisierbare Herzogskapelle in St. Stephan gestiftet wurden. Sie stellen die Väter und Großväter dieser ehrgeizigen Generation dar, zurück bis zum berühmten Urgroßvater, Rudolf I. von Habsburg. Es ist eine der frühesten Darstellungen einer Herrscherreihe im sakralen Raum und besonders auffallend durch die starke Betonung der Machtinsignien. Wie da die Ahnherren dieser jungen Dynastie, die damals mit den Luxemburgern, mit Valois und Anjou um den Ruhm höchster kultureller Aktivität und Modernität wetteiferte, in Purpur und Hermelin thronen, mit Wappen und Zeptern und Kronen prunkend, von den üppigen Frisuren bis zu den burgundischen Schnabelschuhen (gleichfarbig mit dem Wams!) „auf der Höhe ihrer Zeit“, scheinen sie sich von der umrahmenden Architektur nur mühsam bändigen zu lassen. Denn noch thront jeder der Fürsten in einem zierlich gotischen, aber bereits naturalistisch perspektivisch dargestellten Prunkraum, der sich in den bekrönenden Tafeln zu phantasti-fchen Bögen, Galerien und Türmen emporhebt. Es ist eine Kathedrale, ein zartes und strenges „Gehaus“, Symbol der Gemeinschaft, die die Herrscher umfängt und bindet. Unerhört lebendig blicken diese jedoch aus ihrem Schrein, wohl noch nicht porträtähnlich, doch treffend charakterisiert: Rudolf I., hart und mystisch, trägt das Adlerwappen des Reiches; Rudolf IL, frühverstorben, Gemahl der Tochter Ottokars von Böhmen, mit leidendem, wie erloschenem Ausdruck; und da ist auch Albrecht IL, dicklich, ernst, „ain warer vatter des Frieds“, wie die Zeitgenossen ihn nannten, der den Neubau von St. Stephan begann, Vater jenes kühnen Rudolf IV., der die Wiener Universität gründete, die als eine der ersten Hochschulen Europas die „via moderna“ in den Wissenschaften zu lehren begann. Das Persönliche wirft sich in diesen Fürstendarstellungen förmlich aus dem Allgemeinen und Traditionellen heraus, es sucht auch im Beschauer die Persönlichkeit, den Menschen, die erkennende Seele. Und die ganze bunte umrahmende Kathedrale, drängt sie nicht mit ihren Türmen in das Morgenrot und Mittagblau und Eisgrün eines neu, persönlich, naturhaft erlebten Himmels?

Merkwürdigerweise nein. Genau besehen hat dieser Himmel ein zartes Muster, Blätter und Granatäpfel. Ein Teppich ist es, ein Vorhang, der die ganze Darstellung abschließt. Ein österreichisches Kompromiß, der lächelnde Wiener Vorbehalt: Kulisse nur ist die Kathedrale, und die Fürsten sitzen in ihrem Gehaus wie die Akteure im Mysterienspiel. Die sakrale Bedeutung, nicht mehr ganz geglaubt, wird in der Maske des Theatralischen über profane Zeiten hinweg gerettet. Michael Weinwurm, lapicida, wie er in den Urkunden heißt, Baumeister dei Herzöge, von dem die Impulse zur Ausstattung des Rudolfinischen Baues, vielleicht auch zur Gestaltung des Südturmes ausgegangen sein dürften, wird auch zum Entwurf der Herzogsfenster in Beziehung gebracht. Eine starke Persönlichkeit, noch gläubig, doch vom Geistessturm der erwachenden Moderne gestreift, hat er vielleicht bewußt den alten Traum der Einheit, der augustinischen Una Civitas Dei, in das Kunstwerk des Domes gebannt, nur mehr als ästhetische Vision, doch gerade damit wie in seismographischen Kurven die Nebenlinien seiner Zeit festhaltend.

Zweihundert Jahre später hat man die gotischen Scheiben als lichthemmend ausgewechselt und den Dom mit Fenstern aus hellem geschmelztem Glas versehen, weitere hundert Jahre später, im beginnenden Barock, wurden ungemalte Tafeln eingesetzt. Um 1900 schenkte das Domkapitel die Reste der mittelalterlichen Glasmalereien den Wiener Städtischen Sammlungen und dem Kunstgewerbemuseum, während man — Symptom eines neu heraufziehenden Weltgefühls —1 drei der alten Chorfenster wiederherstellte und die übrigen Lichtgaden nach Entwürfen nazarenischer Künstler neugotisch einglaste. Daß diese romantischen Versuche einer Rückkehr dem zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen, hat seine geheime Notwendigkeit.

Heute stehen wir, auf den Trümmern' all dessen, was seit einem halben Jahrtausend zur Herrschaft gelangte, mit dem „Nichts“ als Hintergrund, Aug in Aug vor den Fürsten von 1370. Konfrontation der Zeugen. Dort der flammende Aufbruch, jäh aufschießendes Glück kaum erst geahnter Freiheit, Menschen, denen das „Gehaus“ zu eng wird. Und hier, vor dem Glas, die Zeugen für den Zusammenbruch so vieler Illusionen.

Wir müßten aber nicht Österreicher sein, wenn wir nicht dem mit irgendwie ironischer Exaktheit gemusterten Vorhanghimmel und -hintergrund, diesem wienerischen Vorbehalt, einen langen Blick schenken wollten. Ein „Spiel vor Gott“, ein Theater der ganze Aufbruch mit Zeptern und Wappen und Schnabelschuhen? Und die ewige Einheit blieb dahinter verborgen, gewahrt, trotz allem? Und Kulissen waren es, die wir einstürzen sahen? Dann müßten wir jetzt, endlich, vielleicht wieder das Totum sehen können, das dahinter ruht, die riesige, ungebrochene, unstörbare Seinsgemeinschaft, und dürften — erprobter als die lieblichen frühen Gestalten von 1340 — neuer Verkündigung gewärtig sein?

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