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Konstruktion und Bauplastik

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In Österreich waren Rietveld und van Doesburg fast unbekannt. In Wien wurde erst 1922 Behrens an die Akademie berufen. Kieslers Theaterausstellung war 1924. Im gleichen Jahr kam Holzmeister an die Akademie. Das heimatliche Bauen wurde stärker gepflegt. Ich verstehe darunter nicht nur eine Bewegung im engeren Sinne, sondern ein ganzes Klima, in das beispielsweise auch der von mir sehr geschätzte Tessenow und manchmal sogar Strnad gehörten.

Ansonsten war die Wiener Werkstätte mit Josel Hoffmann tonangebend. Ihr standen Adolf Loos und einige jüngere Architekten, die sich zu ihm bekannten, wie Josef Frank, gegenüber. Die scharfe Stellungnahme von Adolf Loos gegen das Ornament führte zu einer Überein-fachung. Damals fiel das Schlagwort vom Bau als „Kas mit Löchern“.

Abstrakte und konstruktive Bauplastik

Dort habe ich angefangen. Ich versuchte, den reinen Kubus, die Schachtelform, aufzulösen und zu einer Bauplastik zu gelangen. In dieser Atmosphäre entstanden die ersten tastenden Versuche.

Der Entwurf für ein Hallenbad (1923) zeigt, was mich damals beschäftigte: Die Uberwindung der Symmetrie, die starke Gliederung, ja das Ausbrechen der Oberflächen des Baukörpers durch Überbetonen einzelner Elemente, wie zum Beispiel der freien Spirale einer auskragenden Stiege, oder die Benützung und das Überbetonen des spitz zulaufenden Grundstücks für die Gesamt-forrni (siehe Bild) — während etwa bei Adolf Loos die Flächen seiner rein kubischen Baukörper ungebrochen waren.

Spätere Studien gehen einen Schritt weiter: zur abstrakten Bauplastik, zum Versuch, die Schwere und das Lasten durch ein freies Spiel schwebender Flächen aufzulö-

sen. Wo aber war da die Grenze zwischen abstrakten Bauformen und einem reinen Formalismus, der Tür und Tor öffnete für eine willkürliche und sinnlose neue Dekorationsform? Es war der Konflikt zwischen willkürlich und sinnvoll, zwischen unkontrolliertem Gefühl und ordnendem Gedanken.

Das Konzept der Spannung

Ich war nie für einen reinen Utili-tarismus empfänglich. Aber ich wollte das Sinnvolle, Geistige als Gegensatz zum Affekt. Wie das rein Gefühlsmäßige zum hemmungslos Triebhaften führen kann, so auch das rein Gedankliche zum Intellektualismus. Aus dieser Krise erwuchs für mich das positive Konzept der Spannung, zum Beispiel zwischen Gefühl und Gedanke oder zwischen

Form und Inhalt. Es ist dies kein weicher Kompromiß, sondern es steht in direktem Zusammenhang mit dem Konzept des Tragischen in unserem Leben.

Dieses Erleben der schöpferischen Spannung führte mich von der rein abstrakten Bäuform zur konstruktiven Form als zweiter Komponente einer Bauplastik; das heißt eine konstruktive Form, die letzten Endes zu Bauplastik wird.

Das räumliche Konzept des Foyers i

in meinem Schauspielhausentwurf 1924 ist frei von jeder sogenannten abstrakten Plastik und auch von jeder Dekoration. Die frei schwebenden auskragenden Konstruktionen der Stiegen bilden eine räum-

liehe Einheit mit dem großen Foyer. Differenzierte Konstruktionen gemeinsam mit den organischen Formen von Gewächsen (es sollte gleichzeitig ein Palmenhaus sein) bilden, festlich beleuchtet, den Rahmen für den gesellschaftlichen Teil des 1 Abends. Durch das Fehlen um-! mauerter Stiegenhäuser ergeben siel freie Durchblicke von den Stieger hinauf und hinunter (siehe Bild).

Der Theaterraum selbst war gedacht als Illusion eines unendlicher Raumes. Der Zuschauer sitzt Ar , einem freien, visuell unbegrenzter. ■ Raum, ohne jeden maßstäblicher Anhaltspunkt: weder Bühnenrahmen noch Logen noch irgendwelche freistehende Pfeiler. Die Idee des unendlichen Raumes als Architektur

oJme Form beschäftigte mich in den folgenden Jahren sehr. Acht Jahre später arbeitete ich an dem Entwurf für eine große Kirche mit diesem Konzept als Grundlage. Diese Auffassung ist aber weit entfernt von Robert Kramreiters Friedenskirche im 10. Bezirk oder seiner Dollfuß-Kirche auf der Hohen Wand. Das Konzept eines unbegrenzten Raums ist auch prinzipiell verschieden von Le Corbusiers Kirche in Ronchamp, einem intimen, begrenzten Raum, der außerdem stark formal gestaltet Ist.

1927 — vor meinem ersten Amerikaaufenthalt — trat ich in das Büro von Josef Frank und Oskar Wlach ein. In Wien stand mir Frank am nächsten, obwohl mir seine Entwürfe zu informell, zu wenig streng schienen. Anderseits waren ihm meine Arbeiten wohl zu spartanisch, zu viel Architektur. Ich achtete seine Qualitäten hoch, und auch er hatte zu mir Vertrauen. Als ich 1931 das Arbeitsamt lAesing

hatte, war er der erste, dem ich es zeigte.

Keine dramatischen Effekte

Es ist schwer zu sagen, welchen Einfluß die 18 Monate bei Frank auf mich hatten. Sicher hat er mich zum Verständnis für das Wohnhaus, überhaupt für das Wohnen hingeführt. Ich glaube, daß ein Wohnhaus von innen her geplant werden muß — die Fassade meines Hauses am Attersee zum Beispiel ergab sich aus einer Komposition der Aussicht, die vorher am naturgroßen Modell studiert wurde. Vor allem ist es das Menschliche, das ein Wohnhaus zu einer so interessanten Aufgabe macht. Ich verstehe darunter einfach den persönlichen Kontakt mit dem

Bauherrn, der dann auch im Haus wirklich seinen Ausdruck findet. Meine besten Häuser sind den Bauherren auf den Leib geschneidert; manche Bauherren sind zu meinen besten Freunden geworden.

Trotzdem ist an diesen Häusern eigentlich nichts zu sehen. Ich habe vielmehr an Details so lange gearbeitet, bis sie so selbstverständlich waren, daß sie nicht mehr auffielen, so daß mancher gesagt hat: „Dazu haben Sie einen Architekten gebraucht?“ Wenn etwas zu dramatischen Wirkungen geführt hätte, habe ich es eher fallengelassen. Deshalb sind die Häuser auch nicht photogen und nur wirklich zu verstehen, wenn man sich darin bewegt. Mehrmals waren Bauherren von Photographien ihrer Häuser enttäuscht, weil sie nicht das wiedergaben, was sie an ihnen schätzten. Diese unformalistische, nicht auf offensichtliche Effekte gerichtete Art zu planen hat mir größte Schwierigkeiten bei Außenstehenden gebracht. /

Differenzierte Architektur

Der Weg, der Raum, das öffnen nach außen, Außen und Innen, Räume in verschiedenen Niveaux, umschlossene Wohnhöfe und offene Terrassen mit Aussicht und nicht zuletzt klar lesbare Formen sind für mich wesentliche Mittel. Die Aufeinanderfolge der verschiedenen architektonischen Eindrücke, die sich im Ablauf einer geplanten Wegführung ergeben, sind ein wesentlicher Bestandteil eines räumlichen Konzeptes.

Die Spannung zwischen einer rationalen Konstruktionsform und einem rein bauplastischen Konzept

blieb für mich bis heute ein wesentliches Kriterium einer vitalen Architektur. Die utilitaristische Erfüllung des Bauprogrammes muß hierbei Voraussetzung bleiben.

Die Meisterschule bietet mir die Möglichkeit, das, was mir als differenzierte moderne Architektur vorschwebt, weiterzuformulieren und auszuarbeiten. Die Meisterschule ist hierfür wie ein großes Laboratorium, in dem wir bearbeiten dürfen, was die allzu praktische Praxis uns verwehrt. Ich hoffe, daß sich daraus eine Kontinuität ergeben wird.

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