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Koran, Kamele und Kinos

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Zwischen dem ungeheuren sterilen Wüstengürtel der algerischen Sahara im Westen und dem fruchtbaren Nilland im Osten liegt ein weites, ödes und wasserloses Gebiet, die Libysche Wüste genannt, das zum Großteil als Südprovinz des Königreiches Libyen unter dem Namen F e z z a n bekannt ist.

Dieser Fezzan, das antike Phasania der Römer, ist ältester Kulturboden. Während seine nördlichen Oasen und Täler noch teilhaben an der bewegten Vergangenheit des Mittelmeerraumes, hat das südliche Steppen- und Wüstengebiet im Verlaufe der Jahrtausende eine durchaus eigene Entwicklung genommen, die ihren sichtbaren Niederschlag in den baulichen Resten der verschiedenen Epochen dieser Wüstengebiete gefunden hat.

Seit dem 14. Jahrhundert war die Residenz Murzuk, das auch unter der Herrschaft der tripolitanischen Caramanli-Dynastie türkischer Herkunft bis zur Besitznahme des Landes durch die Italiener im Jahre 1930 die Hauptstadt des Fezzan blieb. Erst die Franzosen erhoben 1943 Sebha, einen neugeschaffenen Ort rund um das alte Fort Helena zur derzeitigen Provinzhauptstadt.

Die überaus bewegte Vergangenheit des Fezzan mag vielleicht mit ein Grund dafür sein, daß die Bevölkerung dieses weiten Wüstengebietes vielfach grundverschiedene Charakter- und Rassenmerkmale aufweist. Es leben heute im riesigen Gebiet des Fezzan nur gegen 50.000, Menschen, das ist weniger als die Hälfte der Bevölkerung der Stadt Tripolis an der Küste, der Hauptstadt Libyens.

Im Norden des Fezzan, vor allem im Wadi es Sciati, sind es in der Hauptsache halbnomadisierende Araber, die vor 100 bis 150 Jahren erst von den Küstengebieten des Mittelmeeres her einwanderten. Teilweise ziehen diese Halbnomaden mit ihren Herden von Ziegen und Schafen, früher waren auch große Kamelhcrden keine Seltenheit, monatelang auf die Weide in den nördlichen Djebel, teilweise sind sie aber schon in verschiedenen Oasen des Tales seßhaft geworden.

Nur im westlichen Randgebiet des Fezzan, um die Oasen Ghat und Ghadames sowie im. äußersten Süden gegen die reine Wüste zu, finden sich echte Nomaden, die berüchtigten Tuareg-Stämme der Kel Adjer im Westen, und die Tibbu oder Tedda aus dem Tibesti-Hoch-land im Süden, die nicht selten “einer einzigen Ziege wegen, die sie gerade zu verkaufen haben, den tausend Kilometer weiten Weg vom Tibesti bis Sebha ohne Bedenken auf sich nehmen.

Der größte Teil des Fezzan wird aber von seßhaften, Ackerbau treibenden Familien bewohnt, die eine viele Jahrhunderte alte komplizierte Mischung zahlloser, grundverschiedener Völker und Rassen darstellen. Der Fezzan war ja, abgesehen von dem ständigen Wechsel der Dynastien unterschiedlichster Herkunft, seit dem ausklingenden Mittelalter das ideale Durchzugsgebiet für die endlosen Sklaven-karawanen aus dem Sudan nach dem Norden, zur Mittelmeerküste bis in die neueste Zeit hinein, nachdem bereits das östliche Nachbarland Aegypten unter englischer Kontrolle stand und die westlichen Nachbarn Tunis und Algerien unter französischer Verwaltung den Sklavenhandel aufs schärfste bekämpften. Hier im Fezzan aber fand sich für die geschäftstüchtigen Händler mit dem wertvollen „schwarzen Elfenbein“ ein noch unbewachter Durchlaß

zur Küste, da die libyschen Häfen bis vor wenigen Jahrzehnten keiner europäischen Kontrolle unterlagen.

Wie viele Tause|de und aber Tausende zu Tode erschöpfter Sklaven mögen da Jahrhunderte hindurch am Weg vom Tümmo-Ge-birge über Gatrun, Murzuk und Sebha zur Küste im Wüstengebiet des Fezzan liegengeblieben sein, die, wenn sie noch Kraft genug besaßen, um sich bis zum nächsten Wasserloch weiterzuschleppen oder eine Oase zu erreichen, ein rviosaiksteinchen mehr in dem bunten Völkergemisch des Fezzan bildeten. So kommt es, daß wir im Räume der libyschen Wüste alle nur denkbaren Schattierungen der Hautfarbe der Bevölkerung finden, vom tiefsten Schwarz über dunkles und helles Braun bis zum leicht bronzierten Weiß des Bewohners der Mittelmeerküste.

Heute gibt es freilich im Fezzan keine Sklaven mehr. Libyen, und somit auch der Fezzan zählen zu den modernsten Staatsgebilden Afrikas, und die Verbindung zwischen Nord und Süd, also zwischen der Küste und der Provinzhauptstadt Sebha wird durch Radio-telephonie und die Flugzeuge einer regelmäßig verkehrenden libyschen Fluggesellschaft aufrechterhalten. Telegraphen- oder Telephonleitungen über Land sowie Eisenbahnen gelten heute schon als längst veraltete Einrichtungen und sind im Fezzan unbekannt. Nur für Gütertransporte kommen Lastkraftwagen noch neben den alten und sehr selten gewordenen Kameltransportkarawanen in Frage, die auch für die unbegüterten Fezzan-Bewohner die einzig erschwingliche Reisemöglichkeit darstellen.

Viele schwarze Siedler haben es mit der Zeit durch Ausdauer und Schlauheit zu einigem

Wohlstand gebracht und Zutritt zu einflußreichen Stellungen erlangt. Sie und die kapitalskräftigen meist aus dem Norden zugewanderten Händler und Verwaltungsbeamten machen zusammen vielleicht ein Fünftel der Bevölkerung des Landes aus. Wer tüchtig ist und über genügend Verbindungen verfügt, kann es zu etwas bringen und wer Geld hat, kann über die anderen uneingeschränkt herrschen, im Fezzan ebenso wie überall in der freien Welt. Die weniger Tüchtigen oder weniger Erfahrenen, meist sind es dunkel pigmentierte Familien kleiner Oasen, die weit ab von den größeren Verkehrszentren seit Jahrhunderten den Boden für andere mit eigener Hand bebauen und weder Radio noch Füllfeder kennen, arbeiten für ihre moderneren und aufgeschlosseneren Mitbürger und erhalten für diese Tätigkeit, die vom frühesten Morgen bis tief in die Nacht hinein aus Wasserziehen, Säen und Ernten besteht, ein Viertel bis ein Drittel der Ernte als Lohn. Man nennt diese „Wasserzieher“ im Fezzan „Dschebbad“.

Ob Sohn eines Beamten, Händlers oder „Dschebbads“, sie haben alle die gleichen Rechte im Fezzan, „hell“ und „dunkel“ stehen einander gleichberechtigt zur Seite, sowohl in den Aemtern der neuen vielverzweigten Verwaltungsbehörden als auch im Geschäfts- und Wirtschaftsleben, beim Besuch der“ staatlichen Schulen und beim Dienst in der gut (englisch) organisierten Polizei, vorausgesetzt, daß sie über Geld und die nötige Bildung oder Verbindung verfügen. Beides können sie allerdings nur dann erwerben, wenn sie fleißig zur Schule gehen, was für gewöhnlich einem „Dschebbad“ wegen der anstrengenden Arbeit am Brunnen und am Feld nicht möglich ist. Neben der zum Schulbesuch erforderlichen Zeit müßte allerdings der Dschebbad auch noch die nötige Energie aufbringen, sich wirklich zu betätigen. Aber gerade daran scheitert es für gewöhnlich endgültig. Die seit Jahrhunderten eingefleischte Lethargie und das bewußte Ablehnen jeder Initiative oder Verantwortung seitens des größten Teiles der Bevölkerung des Fezzan ist geradezu erschreckend und für unsere „westlichen“ Begriffe einfach unfaßbar.

Was wir Europäer als einen tiefsten Stand an Zivilisation bezeichnen möchten, damit ist der alte Fezzani aus Vaters Zeiten noch lange zufrieden. Er verwendet in althergebrachter Weise die Arbeitskräfte seiner Familie und Herdentiere zur Schaffung des täglichen unvorstellbar bescheidenen Lebensbedarfes, er ist damit reichlich zufrieden und wünscht sich und seinen Kindern nichts darüber hinaus. Wohnkultur, elektrisches Licht, Telephon, moderne Straßen, Bibliotheken oder Spitäler haben für ihn als armen Wüsten- oder Oasenbewohner keinen greifbaren Wert und interessieren daher nur ganz wenig. Ja selbst Bildung ist in den Augen des alten abgeklärten Fezzaners nur ein ganz relativer Begriff, denn er und seine Altersgenossen hatten ja in den Koranschulen auch nie mehr erlernt als einige vage Begriffe vom Lesen und Schreiben des Koran, was für einen Bewohner dieser weltfernen Stein- und Sand-wüsten bisher völlig genügte.

Verglichen mit der Lethargie und Interesselosigkeit der erwachsenen Bevölkerung des Fezzan erschreckt geradezu die Lernbegier und der Wissensdurst der heutigen Jugend. Radio und Kino, Filmstars und ägyptische Nationalhelden und Lieder, Auto und Flugzeug sind selbst dem kleinsten Knirps in der abgelegensten Oase des Fezzan ganz vertraute Begriffe, die nur den einen großen Nachteil haben, daß sie für fast alle hoffnungslos unerreichbar und den meisten nur vom Hörensagen her bekannt sind.

Es sei hier zum besseren Verständnis der Lage festgestellt, daß von den rund 50.000 Einwohnern des Fezzan nur gegen 900 Schüler eine der zwanzig Schulen des Landes besuchen konnten, die von zwei Dutzend meist sehr jungen und bisher recht unerfahrenen eingeborenen Lehrern geleitet wurden.

Während die beiden Nordprovinzen Libyens, Tripolitanien und die Cyrenaika, recht gut mit Schulen jeder Art ausgestattet sind, denn es gibt dort nicht nur Knabenschulen, sondern auch Mädchenschulen, es gibt Mittelschulen, handwerkliche und kaufmännische Schulen, Lehrerbildungsanstalten für Mädchen und junge Män ner und selbst Kindergärten, war die Südprovinz Fezzan seit jeher als richtiges Stiefkind behandelt worden. Der 1952 neu geschaffene Staat Libyen, für den die Vereinten Nationen Pate standen, hat den unbefriedigenden Bildungsstand der Bevölkerung des Fezzan auch bald richtig erkannt und die erforderlichen Schritte unternommen, um den gegebenen Verhältnissen Rechnung zu tragen.

Mit Hilfe eines individuell ausgearbeiteten-Schulungsprogramms der Unesco wird dem Mangel an Bildung und Erziehung im Fezzan an den Leib gerückt, damit diese Provinz nicht dauernd hinter ihren nördlichen Nachbarn zurückbleibe. Darüber hinaus wurde mit Erfolg versucht, durch Einrichten von Arbeitsgemeinschaften in verschiedenen Oasen die bisher recht weltfremden Bewohner der Libyschen Wüste daran zu gewöhnen, hin und wieder eine halbwegs geregelte Arbeit zu leisten, nicht nur zum eigenen Gewinn, sondern auch zum. Teil für das Gemeinwesen. So ist zu hoffen, daß es in absehbarer Zeit gelingen werde, die Bevölkerung aus ihrer altgewohnten Lethargie zu reißen und in eine Aktivität überzuleiten, die für den gegebenen Augenblick allerdings nur bescheidene Verdienstmöglichkeiten eröffnen mag, sich aber in der Zukunft sicher gewinnbringend auch für den einzelnen auswirken wird.

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