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Kultur für alle Sinne
Achtung! Alle, die vom 14. - 24. August in Oberösterreich unterwegs sind, sollten die Augen und Ohren spitzen. Nicht Geisterfahrer, sondern Feldbetten unter freiem Himmel, Jugendliche, die alltagsgemäß am Stadtplatz von Steyr Zähne putzen und ähnliche Dinge sind zu entdecken. Das „Festival der Regionen” ist schuld an der Sinneserweiterung. Eine achttägige Wanderung mit dem Stamm der „Tonga” aus dem Zam-besital in Zimbabwe bildet den krönenden Höhepunkt. Aber man muß sich auch nicht alle acht Tage dem Festival widmen, sondern kann sich auf einzelnes beschränken.
„Entdeckungsreisen zu den Alltagswundern”. Ein Kunstevent, das unter diesem Motto läuft, kommt ohne Eintrittskarten oder Bekleidungsvorschriften aus. Gefragt sind Eigenschaften wie: Interesse, Neugier, Entdeckungslust. Über 100 Schauplätze in Oberösterreich warten darauf, erwandert, benutzt und bemerkt zu werden. So ist auch das Programmheft eine Landkarte. Routen zu Fuß, mit der Rahn, dem Bus oder dem Auto führen zu 26 Kunstevents. Die Eröffnungsveranstaltung in Linz ist ein Fest. „Kunst. Über. Leben.”
Das Musikerduo Klaus Obermaier und Robert Spour spielt ordentlich auf und präsentiert gleichzeitig ein CD-ROM-Projekt, auf dem die Künstler sich selbst zurückgenommen haben, um dem Publikum die Möglichkeit zum Spielen und Experimentieren zu geben. Audiovisuell sehr anregend aufbereitet, kann man seine eigenen Musikstücke basteln. Die Klangbausteine dazu kommen aus der Region: 39 Musikschulen haben akustische Logos eingeschickt, in Zusammenarbeit mit Lehrern und Schülern. Vom Jazz bis zur Blasmusik findet sich alles. Außerdem konnten die Schüler individuelle Klänge einsenden. So ergibt sich für jede Schule ein dichter, sehr unterschiedlicher Klangteppich.
In den vier Wänden eines Kubus kann man nun von Klavier zu Blech, Geräuschen oder Stimmen springen.
Damit lassen sich aus Schülerelementen Eigenkompositionen schaffen. Jeder Schüler wird über eine Zeichnung oder ein Foto ein bißchen als Mensch hinter dem Ton erlebbar. Pausenzeichen oder das Schullogo bilden weitere Gestaltungselemente, und so wird das Publikum auch selbst zum kreativen Künstler.
Wer vom Elitekulturtempel Salzburg in die Region anreist, kann sich schon in der Bahn auf das Festival vorbereiten. Aus der Sicht des Lokführers wurde jeder Streckenteil fotografiert, eine Fotoarbeit von Peter Lacher und Textspenden von Pendlern an den Waggonscheiben ersetzen die übliche Ausstattung. „Zärtliche Zöllner” heißt die Performancegruppe, die sich um die Autofahrer kümmert. Sie erlebt zwischen zwei Autobahnstreifen Einsamkeit in der Masse der Stauenden. Dazu ist Schuberts „Winterreise” zu hören. -
Kunst im Alltag bedeutet aber auch, daß Familien in Oberösterreich, die bei der „Tisch-Transaktion” der Künstlergruppe „Die Fabrikanten” mitwirken, ihren eigenen Tisch mit Information zur eigenen Familie in eine andere Wohnung gebracht haben. Dafür gibt es einen fremden. Sind sich die Tauschpartner aufgrund der Daten im Tisch sympathisch, können sich Freundschaften und Kontakte entwickeln. Das Alltagsleben mit dem Fehlen der vertrauten Tischlade
ändert sich außerdem. „So an faden Sonntag da-ham, wo der Papa fernschaut und die Mutti kocht, wo ma Karten spielen, was man tut, wenn man nix zu tun hat, keinen Plan, kein Ziel ”, hat Patsi, 20, im Kopf, wenn sie an Alltag denkt. Mit fünf anderen Jugendlichen wird sie am 14. August auf dem Stadtplatz von Steyr öffentlich Alltag leben: Schlafen, Zähne putzen, aufs Klo gehen, einkaufen, lesen, fernsehen.
„Ist doch lässig, daß so was passiert in Steyr”, freut sich Agnes, 18. „Ich möchte alles, was man allein macht, woanders machen. Da wird mehr bewußt, was man mit seiner Zeit anfangt,” so Birgit, 16. Alltag hinter vier Wänden zu thematisieren, ist beinahe ein Tabubruch, die Menschen, die am Stadtplatz ihre Einkäufe erledigen, tun jeder für sich dasselbe wie die Jugendlichen in ihrer Performance, die eine Reflexion zum Leben auslösen soll.
Auch eines von 50 Feldbetten zu entdecken, kann die Sicht von Natur, Welt und Nacht wesentlich verändern. Auf einer Landkarte sind die Standorte zu finden, die jedem Geschmack das Richtige bieten: Es gibt sie in der Stadt, auf entlegenen Waldwegen, an Seepromenaden oder anderen schönen Orten. „Ich hatte immer den Traum, an einem Tag wie heute die Nacht unter den Sternen zu erleben,” sagt Sigi Meinhart, der diqse Retten entworfen hat. 30 Jahre beträgt die Lebensdauer der designten Möbel aus unbehandeltem Holz und Metall. 120 cm mal 210 cm lassen bequem zu zweit drauf ruhen, oder zu mehrt ein Picknick am Feldbett abhalten. Entdeckungsreisen zu Alltagswundern heißt sehen, schauen, riechen, schmecken, feiern und unter Umständen auch andächtig werden.
Abends in Ohlsdorf, irgendwann zu Einbruch der Dunkelheit, dringt Musik durch die offenen Türen der Kirche nach draußen. „Musik für einen Kirchenraum” von Max Nagl überwindet als Klang den Raum, lädt ein zum Zuhören und Sinnieren. Meßwein und Rrot stärken für den Heimweg. Sinne haben mit Essen, Genuß und Feier zu tun. Auch auf der achttägigen Wanderung mit dem Stamm der „Tonga” aus Zimbabwe wird musiziert und getanzt. Österreicher und Schwarze müssen bergfest sein: Immerhin geht die Route durchs Tote Gebirge. Sechs Stunden Wanderung pro Tag und erlebnisreiche Abende. Die Kultur der Tonga, ihre Musik und ihr Tanz werden die Lagerfeuerromantik prägen. Das Abschlußfest schließt den Kreis: Wieder geht es um Musik und Feiern. „Der menschliche Körper als Perkussionsinstrument.” In Bad Ischl ist am 24. August erwünscht, was sich sonst bei Kulturveranstaltungen nie gehört: so heftig wie möglich klatschen, stampfen, pfeifen, schuhplatteln.
Auf in die Begion, aber Achtung: Die Teilnahme an diesem Festival könnte ihre Wahrnehmung nachhaltig verändern.
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