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Kulturpflege im Herzen Österreichs

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Bundesgymnasiums oder verschiedener Berufsschulen, mancher Zweige des kulturellen Lebens und der sozialen und menschlichen Kontakte.

Der Ausbau der Verkehrswege, vor allem die Motorisierung, hat zu vielen neuen Bindungen und zu engerer Wechselwirkung zwischen Naheinzugsbereich und Mittelpunkt geführt. Darüber hinaus hat sich in manchen Bereichen auch die Ausstrahlungskraft der Großstadt Wien seit dem Bau der Autobahn verstärkt und färbt auf Wirtschafts- und Kultur-

leben ab. Die Idee, einen starken niederösterreichischen Zentralraum durch engere Verbindung der Stadtibereiche an der unteren Traisen und am Ortsende der Wachau mit den beiden Schwerpunkten Krems und St. Pölten zu bilden, wie es seit Jahrzehnten von Landesplanern gefordert wird, hat sich bisher in der Praxis nicht durchsetzen können. Unsere Stadt ist trotz beachtlicher Entwicklung im 20. Jahrhundert im wesentlichen doch nur der Hauptort des Viertels ober dem Wienerwald geblieben.

Die reiche historische Vergangenheit der Stadt Krems, die sich in Bau- und Kunstwerken aus allen Stilepochen manifestiert, in steingewordenen Zeugnissen Geist, Formgefühl und handwerkliches Können früherer Generationen überliefert, diese Tradition stellt eine Verpflichtung besonderer Art dar. Unter den österreichischen Städten verfügt Krems in den Altstadtkemen von Krems und Stein trotz mancher Kriegshandlungen und Brände über eine äußerst wertvolle Substanz, die glücklicherweise auch von der ersten Welle der Industrialisierung verschont blieb. Dieser Umstand wurde im 19. Jahrhundert zweifelsohne als Nachteil empfunden, heute wertet man dieses Faktum eher als Vorteil, weil damit weitgehend die Vernichtung der damals geringgeschätzten Baudenkmäler von ehedem unterblieb. Solche historische Stadtkerne bilden — läßt man den ästhetischen Standpunkt beiseite — ein schwerwiegendes und aktuelles Problem, gilt es doch, die alte und erhaltenswerte Bausubstanz mit den modernen Wohnbedürfnissen in Einklang zu bringen, will man nicht Gefahr laufen, daß die Wohnungen von der Jugend gemieden werden. Die ersten Maßnahmen, die von der Stadt Krems in die Wege geleitet wurden, zielten darauf ab, Fassaden und Dächer wiederherzustellen, und in einem Zeitraum von zehn Jahren konnten immerhin 132 Objekte mit finanzieller Unterstützung von Stadt, Land und Bund restauriert werden. Der nächste konsequente Schritt war aber die Althaussanierung. Ein 1965 in Krems abgehaltenes Symposium machte erstmals au* diese komplexe Problematik in vielen österreichischen Städten aufmerksam, und in der Zwischenzeit konnte Krems, immer in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behör-

den, gewisse praktische Erfolge erzielen und wesentliche Grundlagenforschung betreiben, die bei einer landesgesetzlichen Regelung die Möglichkeit bieten wird, in größerem Stil Altstadtsanierung zu betreiben. Wichtigstes Gebot bei verschiedenen Großobjekten wird freilich sein, neue Punktionen zu finden.

Die großen Ausstellungen

Unmittelbarer Anstoß für diese Aktivität auf dem Gebiet der Denkmalpflege und der Alt-stadtsanlerung waren die großen und repräsentativen Kunstausstellungen in der Stelner Minoritenkirche, die Hunderttausende in- und ausländische Besucher anzogen. Diese Gäste zeigten nicht nur größtes Interesse an den zur Schau gestellten Objekten der Romanik (1964) und der Gotik (1967), sondern auch an der Stadt selbst. Die Expositionen mit Ihren wohlfundierten wissenschaftlichen Katalogen haben der Stadt Krems zu internationalem Ruf verhelfen. Ähnlich wie bei der Restaurierung der Minoritenkirche für Ausstellungszwecke, werden nunmehr die einstige Dominikanerkirche und das dazugehörige Kloster In den ursprünglichen, aus dem dritten Viertel des 13. und des frühen 14. Jahrhunderts stammenden Zustand versetzt und darin das historische Museum und das Weinbaumuseum etabliert. Die ehemalige Basilika und der hochgotische Chor dienen zur Aufnahme der Altäre, der gotischen und barocken Skulpturen, der Tafelbilder, des Kunstgewerbes und einer Auswahl von Gemälden des M. J. Schmidt. Kapitelsaal, Refektorium sowie Kreuzgang sind den übrigen Sammlungsgegenständen vorbehalten, so der bedeutenden urgeschichtlichen Abteilung, den Römerfunden aus Mautern, der stadtgeschichtlichen

Sammlung, dem Mobiliar, dem Glas, Zinn und Porzellan, während die volkskundliche Abteilung den Übergang zum Weinbaumuseum bilden wird Auf diese Weise entsteht ein Rundgang durch Kirche und Kloster, und zum erstenmal werden die in der Tat bemerkenswerten Museumsobjekte zur Gänze gezeigt werden können. Mit der Eröffnung dieser Schausammlung, voraussichtlich im Herbst 1971, wird die Stadt Krems, neben Colmar, Köln, Worms, Nürnberg und Regensburg eines der wenigen europäischen „Kirchenmuseen“ und das einzige dieser Art in Österreich besitzen.

Forschungsstätte

Noch ein Gedanke wurde bei den Ausstellungen geboren und mit Jahresbeginn 1969 in die Tat umgesetzt: Die Schaffung einer wissenschaftlichen Forschungsstätte, deren Aufgabe darin besteht, mit Hilfe zeitgenössischer bildlicher Quellen, wie Tafelbilder, Graphik, Buch- und Wandmalerei, Heiltümer, Reliefs usw., alle Bereiche des mittelalterlichen Alltags zu erfassen und auszuwerten. Dieses der österreichischen Akademie der Wissenschaften unterstehende „Institut für mittelalterliche Realienkunde“ hat gleichfalls seinen Sitz im ehemaligen Dominikanerkloster und wird bereits im Spätherbst dieses Jahres gemeinsam mit der österreichischen Galerie in Wien mit einer Ausstellung ans Licht der Öffentlichkeit treten.

Die Stadt Krems glaubt, mit dieser Initiative auf kulturellem Sektor gerade in einer Zeit gewaltiger Umwälzungen, ständiger Spannun-

gen und großer Labilität einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Konsolidierung auf geistig-seelischer sowie auf gesellschaftlichstaatlicher Ebene zu leisten.

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