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Kulturpolitik im Grenzland

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„Wir (die Steiermark) haben für die anderen, weil wir am Haustor stehen, mit den Erfahrungen des Grenzlandes das Gespräch zu führen, mit denen, die immer noch unsere Nachbarn sind, unsere Nächsten: wir Steirer mit den Slowenen und Kroaten und den Italienern, die einmal vor 400 Jahren das große Innerösterreich gebildet haben. Das ist unsere, der Grenzmark Steiermark, ,österreichische' Aufgabe, weil wir hier, wo wir stehen, das tun, was Österreich als Aufgabe und unerhörte Chance der Weltstunde wahrzunehmen hat. Die Realität der Grenze wird heute neu gesehen. Sie ist nicht mehr Scheidewand zwischen den Nationalstaaten Die Zeit des nationalistischen und diauvinisti- schen Denkens ist — nach den bitteren Erfahrungen des 20. Jahrhunderts — endgültig vorüber. Wir beginnen, die Völker und die Grenzen zwischen den Völkern in ihrer wahren Bedeutung zu verstehen. Wir beginnen, die Wege, die Straßen, die Brücken, die von einer Seite zur andern führen, wieder zu entdecken. Sie sind älter als das, was sie unterbricht, was Hüben und Drüben voneinander zu trennen scheint

So schreibt der steirische Kulturreferent, Univ.-Prof. Dr. Koren, in dem besonders auch in Jugoslawien und Italien viel beachteten und diskutierten Sonderheft der „Steirischen Berichte“, das den Titel „Die Steiermark und ihre Nachbarn im Süden“ trägt.

Land der Begegnungen

Unter diesen Gedanken stand eine seit Jahren gepflegte kontinuierliche Kulturpolitik, die sich schließlich in Veranstaltungen großen Stils bezeugte wie zum Beispiel in der jährlich im Herbst stattflndenden „Steirischen Akademie“, die unter dem Motto „Die Steiermark, ein Land der Begegnungen“ steht, oder in der Dreiländerkunstausstellung „TRIGON“ oder im „Steirischen Gedenkjahr 1959“, das die im Lande schlummernden Kräfte bis hinein in die letzte Siedlung aktivierte und zu bleibenden Taten und Werken führte. Ebenfalls über die Grenzen der Steiermark und Österreichs hinaus beachtet wurden die großen kulturhistorischen Ausstellungen über „Erzherzog Johann und seine Zeit“ (1959) und „Graz als Residenz. Innerösterreich 1564 bis 1619" (1964) sowie die Gründung des österreichischen Freilichtmuseums unweit von Graz.

Am 11. Juni 1966 wird nun die dritte große kulturhistorische Ausstellung in der „Industriehalle“ im Grazer Messegelände eröffnet, die die umfangreichste Landesausstellung sein wird, die es bisher in der Steiermark gegeben hat. Sie ist jenem Stand gewidmet, dem Bauern, der bis in die jüngste Vergangenheit den größten Teil, ja das Volk an sich darstellte. Die Ausstellung trägt den Titel „Der steirische Bauer — Leistung und Schicksal von der Steinzeit bis zur Gegenwart“. An der Vorbereitung und dem Zustandekommen der Ausstellung haben sich mit wissenschaftlicher Akribie unter Führung des Direktors des Steiermärkischen Landes- archiivs, Univ.-Prof. Dr. Frits Posch,

alle Abteilungen des Joanneums, die Landeskammer für Land- und Forstwirtschaft, ausländische Institute und zahlreiche private Wissenschaftler beteiligt. In den nächsten Jahren sind weitere kulturhistorische Landesausstellungen vorgesehen, zunächst eine, die dem Berg- und Hüttenmann, sodann eine, die dem Händler und Gewerbetreibenden gewidmet ist.

Es handelt sich bei der hier angezeigten Bauernausstellung um eine Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Wissens vom steirischen Bauerntum, das freilich auch für das alpenländische Bauerntum im allgemeinen steht. Dem Städter, aber auch dem Bauern unseres Jahrhunderts soll das Bild dieses Berufsstandes, aus dem wir alle stammen, vor Augen gestellt werden.

Die ersten Früchte

Die Früchte dieser friedlichen, wahrhaft österreichischen und darum europäischen Kulturpolitik

blieben nicht aus. Wir wollen hier nur noch einige weitere Beispiele aus dem Jahre 1966 anführen.

Zur Grazer Frühjahrsmesse 1966 sind 30.000 Besucher aus Jugoslawien eingetroffen. — Anfang Mai gab es in Radkersburg ein gemeinsames Konzert der Musikschulen von Radkersburg und Murska Sobota. Erstmals spielte ein aus vierzig jungen Musikern aus Österreich und Jugoslawien gemeinsam gebildetes Orchester. Zwei Tage später wurde dasselbe Programm „drüben“ in der slowenischen Nachbarstadt Murska Sobota wiederholt. Auf beiden Seiten waren die Veranstaltungen außerordentlich erfolgreich. — Ende Mai stellte die Grazer Lehrerbildungsanstalt unter ihrem Direktor Franz Göbhart auf Anregung von slowenischer Seite Schülerzeichnungen und Werkarbeiten in Marburg aus. Zugleich mit dieser Ausstellung gaben der Chor und die Spielleute der Grazer Lehrerbildungsanstalt ein schönes Konzert, das die Marburger Schuljugend mit Beifallstürmen bedankte.

Dr. Koren dankte den Marburger Gastgebern und meinte, es verwundere allgemein, aber es stimme freudig, mit welch herzlicher Spontaneität es möglich geworden sei, eine große Anzahl von Kulturaustauschen zwischen Österreich und Jugoslawien zu organisieren. Eingeladen von Radio Graz, gab es Anfang Juni ein von der Slowakischen Philharmonie unter ihrem Dirigenten Ludwig Rajter bestrittenes Symphoniekonzert.

Im Dezember 1966 soll nun, angeregt durch das Sonderheft der „Steirischen Berichte“ „Die Steiermark und ihre Nachbarn im Süden“, in Marburg ein Sonderheft der Kulturzeitschrift „Dialog“ erscheinen, das dem Thema „Österreich im Spiegel seiner Literatur“ gewidmet ist. — Zu gleicher Zeit wird in Laibach eine Bibliothekartagung stattflnden, an der Bibliotheksfachleute aus Österreich, Italien und Jugoslawien teilnehmen werden. Die junge Steirische Akademie für Musik Und darstellende Kunst in Graz pflegt die Kontakte nach dem Südosten mit besonderem Eifer, sie gehören zur Zielsetzung dieser vierten steirischen Hochschule. Im Jahre 1966 erfuhren die Austauschkonzerte eine Intensivierung. — Die Grazer Sommerspiele 1966 stehen unter dem Motto „Graz — Tor zum Osten“.

Diesen freundnachbarlichen Begegnungen gingen natürlich zahlreiche andere voraus, wobei die von privaten Gruppen, allen voran das Forum Stadtpark in Graz und die Moderne Galerie in Laibach, besonders wirksam waren. Immer dichter entwickelten sich auch die Begegnungen von Wissenschaftlern, hüben und drüben, und auch die amtlichen Verhandlungen von Regierungsbeamten hüben und drüben um die Grenzübergangs- und Doppelbesitzerfragen waren erfolgreich. Der wirtschaftliche Austausch — dokumentiert an den Beteiligungen bei den Grazer, Agramer und Laibacher Messen — trug beachtlich zur Vertiefung des Verständnisses bei.

Von gestern..,

Nur einem kleinen Kreis aus dem liberal-nationalistischen Lager von gestern will die so fruchtbare Kulturpolitik nicht in sein Weltbild passen; sie wollen die Ergebnisse nicht wahrhaben und unterstellen ihren Landsleuten Würdelosigkeit, sorgen sich um die „Reinheit des deutschen Blutes“ und fragen, wo denn der Beitrag der andern bleibe. Nun, diese Kreise haben übersehen, daß die Zeit reif geworden ist für ein Gespräch, das für die Zukunft unentbehrlich ist.

Die Steiermark kann bei den großen weltpolitischen Konferenzen, bei denen es um die Abrüstung, um den Frieden, um die Zukunft Europas geht, wenig direkt beitragen. Ihre europäische Aufgabe vollzieht sich in den kleinen, nächsten Schritten; sie wird in Graz, Radkersburg, Marburg und Laibach gelöst oder nicht gelöst. Ein freundnachbarliches Gespräch zwischen Ländern untersteht der gleichen Gesetzlichkeit wie das freundnachbarliche Gespräch zwischen Menschen.

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